Von Hans Hofmann-Reinecke
Noch nie hatte die Bundesrepublik eine Regierung, die so sichtbar bemüht war, sich von allem Deutschtum zu distanzieren, wie die aktuelle; und noch nie hatten wir eine, deren Repräsentanten so präzise dem Bild entsprechen, das man im Ausland vom Deutschen, vielleicht sogar vom „hässlichen Deutschen“ hat.
Die vollkommene Wahrheit
Zu diesem Thema soll zunächst Leo Tolstoi zu Wort kommen, in dessen Roman „Krieg und Frieden“ er den deutsche General Pfuel charakterisiert. Tauschen Sie diesen Namen nach Ihrem Gutdünken gegen den einer aktuellen Persönlichkeit aus, um zu sehen, ob Tolstois Eindruck auch noch heute zutrifft (ich wähle den Phantasienamen „Haber“).
Beginn des Zitats
Herr Haber war einer jener Leute mit einem unerschütterlichen, fanatischen Selbstvertrauen, wie man sie nur unter den Deutschen findet, weil nur die Deutschen Selbstvertrauen haben auf Grund einer abstrakten Idee – der Wissenschaft, das heißt, der angeblichen Erkenntnis der vollkommenen Wahrheit. Der Franzose hat Selbstvertrauen, weil er sich persönlich als Geist und Körper für unwiderstehlich bezaubernd hält, sowohl für Männer, als für Damen. Der Engländer hat Stolz und Selbstvertrauen darum, weil er ein Bürger des besteingerichteten Reichs der Welt ist und darum als Engländer immer weiß, was er zu tun hat und überzeugt ist, dass alles, was er als Engländer tut, unzweifelhaft gut sei. Der Italiener hat Selbstvertrauen, weil er von lebhaftem Temperament ist und leicht sich und andere vergisst. Der Russe hat Selbstvertrauen eben deshalb, weil er nichts weiß und nichts wissen will, weil er nicht glaubt, dass man irgend etwas sicher wissen könne. Der Deutsche besitzt ein stärkeres und widerlicheres Selbstvertrauen als alle anderen, weil er sich einbildet, er wisse die Wahrheit, die Wissenschaft, die er sich selbst erdacht hat, aber für absolute Wahrheit hält.
So war auch Herr Haber.
Zitat Ende
Das tote Pferd
Welche Wissenschaft, die er selbst erdacht hat, hält nun der heutige Deutsche für absolute Wahrheit? Nehmen wir ein Thema von großer Tragweite für unser Land: die Kernenergie. Im Lichte der Erkenntnis der absoluten Wahrheit verkündete der Kanzler: „Das Thema Kernkraft ist in Deutschland ein totes Pferd“.
Auf genau dieses tote Pferd aber haben im Dezember 2023 während des Weltklimagipfels mehr als 20 Länder gesetzt: Die Vereinigten Staaten, Armenien, Bulgarien, Kanada, Kroatien, die Tschechische Republik, Finnland, Frankreich, Ghana, Ungarn, Jamaika, Japan, die Republik Korea, Moldawien, die Mongolei, Marokko, die Niederlande, Polen, Rumänien, die Slowakei, Slowenien. Schweden, Ukraine, Vereinigte Arabische Emirate und das Vereinigte Königreich. Sie alle haben eine Erklärung zur Verdreifachung der Kernenergie verabschiedet.
Konnten sie die absolute Wahrheit in des Kanzlers Worten nicht erkennen? Diese Geisterfahrer! Aber was schert das die deutsche Regierung. „Viel Feind – viel Ehr‘“.
Eine weitere „absolute Wahrheit“ ist die Forderung, dass sich in den kommenden Jahren das Tempo der Emissionsminderung in Deutschland angesichts der Verantwortung für den Klimaschutz mehr als verdoppeln und dann bis 2030 verdreifachen muss (so die Aussage des zuständigen Ministeriums). Diese Forderung wird die Bürger Deutschlands teuer zu stehen kommen – und sie ist aus mehreren Gründen sinnlos: neuere Messungen lassen immer mehr Zweifel an der gängigen Theorie zu Global Warming aufkommen; Deutschlands Beitrag zum globalen CO2 Ausstoß ist vernachlässigbar; die großen CO2-Erzeuger China und Indien planen keinerlei Maßnahmen zur Emissionsminderung.
Aber „Klimaschutz“ ist eben ein Teil der Wissenschaft, die Deutschland sich selbst erdacht hat, und für absolute Wahrheit hält. Und man ist stolz darauf, dass man handelt, auch wenn es weh tut, während die anderen Nationen bestenfalls Lippenbekenntnisse beitragen.
Ich weiß, dass ich nichts weiß
Diese traurige Liste „typisch deutscher“ Besessenheiten ließe sich mühelos fortsetzen, es muss allerdings noch ein zusätzlicher Faktor betrachtet werden. Der ist nicht typisch deutsch, sondern spezifisch für die aktuelle Regierung.
Wer noch nie eine Alternative zu seinen Lebensumständen kennengelernt hat, der wird diese spontan für einzig und richtig einschätzen. Man kann sich Alternativen auch beim besten Willen nicht vorstellen, man muss sie erlebt haben. Es gibt da diese zwei Mönche, die sich fortwährend mit der Frage beschäftigen, wie es wohl eines Tages im Jenseits wäre. Um ihre Neugierde zu stillen, vereinbaren sie, dass der zuerst Verstorbene an einem bestimmten Tag zurück auf die Erde kommen sollte, um dem Hinterbliebenen vom Jenseits zu berichten. Da das Treffen vermutlich unter Zeitdruck stattfände, vereinbart man kurze Codewörter, auf lateinisch:
„Taliter“ sollte bedeuten: Ja, im Himmel ist es so, wie wir beide es uns ausgemalt haben. „Aliter“ – es ist anders. Endlich verstirbt einer, und gespannt wartet der Hinterbliebene. Am vereinbarten Termin erscheint wahrhaftig der Besuch aus dem Jenseits! Und was berichtet er?
„Totaliter aliter“.
Nun bringen die meisten Minister und wohl auch die Ministerinnen wenig fachliche Erfahrung für ihr Ressort mit, und vielleicht auch wenig Lebenserfahrung. Für sie ist jetzt alles „totaliter aliter“. Wollen wir unserer Außenministerin ihre märchenhafte Karriere nicht neiden, sie ist ein modernes Aschenbrödel: über Nacht vom Plakat Kleben zur First Lady mit persönlichem Visagisten und eigenen Flugzeugpark. Aber das ist nicht Disneyworld, das ist die raue Wirklichkeit, und da kann es für uns sehr teuer werden, wenn ein unerfahrener Minister seine erste weltfremde Idee für die einzig richtige hält.
Jemand, der sein halbes Leben in einer Fußgängerzone gewohnt hat, glaubt vielleicht, dass Fahrradwege das Wichtigste für den Fortschritt von Peru seien. Nun ja, teuer wird es nur, wenn einem 100.000 km entfernten Land der Krieg erklärt wird und wenn man mit der Regierung Thailands eine strategische Vereinbarung über die Lieferung von Computerchips abschließt.
Je weniger jemand weiß, desto arroganter verteidigt er seine simple Meinung. „Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz.“ Je mehr jemand weiß, desto weniger gibt es für ihn die absolute Wahrheit. Sokrates, dem vom Orakel zu Delphi offiziell bestätigt worden war, dass er der weiseste Mann auf Erden wäre, fasste sein Wissen in einem Satz zusammen: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“.
Unsere Berliner Zauberer aber wissen, dass sie alles wissen. Die Wissenschaft, die sie sich selbst erdacht haben, halten sie für die absolute Wahrheit – und sie ist alternativlos.
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