Aus dem Leben eines Taugenichts

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Inspiriert von der künstlichen Aufregung über Hubert Aiwanger, der es gewagt hat, von Taugenichtsen in unserer Regierung zu sprechen, habe ich mich Josef von Eichendorf zugewandt. Da das Buch trotz Amazon Prime noch nicht bei mir angekommen ist, habe ich mir die zauberhafte DEFA-Verfilmung der Novelle mit Dean Reed angesehen.

Man kann sich den Film bei Amazon Prime schon für unter 5 Euro leihen. Man wird den Einsatz nicht bereuen. Es war nicht alles schlecht in der DDR. Die DEFA produzierte während ihres Bestehens nicht nur immer wieder Filme, die sofort, oder nach kurzer Aufführungszeit, verboten wurden. Sie war unschlagbar in der Verfilmung von klassischer Literatur. Die „Wahlverwandtschaften“ nach Goethes Meisterwerk sind Klassen besser als die Hollywood-Produktion.

Aber zurück zum „Taugenichts“. Dieser Film ist etwas ganz Besonderes, denn der Hauptdarsteller ist Dean Reed, ein amerikanischer Sänger, Songwriter, Schauspieler und Drehbuchautor. Er begeisterte mit seinen Songs sein Heimatland, er rockte die amerikanischen Billboards oder den Madison Square Garden. Auf seiner Tour durch Lateinamerika musste die Polizei die Straßen sperren, damit Reed zu seinen Auftrittsorten kam, wo die Zuhörer des “Magnificent Gringo”, zu Hunderttausenden zählten. Dean Reed war aber auch politischer Aktivist.

Als solcher störte er sich als empathischer Mensch an Ungerechtigkeiten, für die sein Heimatland aus seiner Sicht die Verantwortung trugt. Er engagierte sich gegen Atomtests der USA und nahm an verschiedenen Freidesaktivitäten, die überwiegend von Linken organisiert werden, teil. Nachdem er die amerikanische Flagge von den Verbrechen der amerikanischen Regierungen reingewaschen hat, geht Reed für ein paar Jahre in die Sowjetunion und wird zum Beatles- und Rolling Stone-Ersatz zwischen Leningrad und Perm. Die Diktatur der Sowjets mit ihren Lagern hält er für so etwas wie ein notwendiges und deshalb nicht vermeidbares Übel. Er bleibt schließlich in der DDR kleben, weil er in Leipzig, wo er seinen Film über Chile vorstellte, seine zweite Frau Wiebke kennenlernt, die er Jahre später für die schönste Schauspielerin der DDR, Renate Blume, verlässt. Er lebt in der DDR ein Leben, das nichts mit der DDR zu tun hat. Er reist, lernt den kubanischen Diktator Fidel Castro kennen, befreundet sich mit ihm und singt für Jassir Arafat. Er tritt aber auch vor dem Arbeiterclub in Bitterfeld auf. Bei den Weltfestspielen der Jugend 1973 wird er von den Besuchern aus aller Welt im Walter-Ulbricht-Stadion, umbenannt in Stadion der Weltjugend, gefeiert.

Für die SED war er ein propagandistischer Glücksfall, für die DEFA ein Sechser im Lotto. Im „Taugenichts“ kam der amerikanische Götterliebling besonders gut zur Geltung. Eichendorff wäre entzückt gewesen, hätte er den Mimen seiner Novellen-Figur kennengelernt. Reed war ein absolut glaubhafter Darsteller eines liebenswürdigen Außenseiters, der mit seinen Liedern und akrobatischen Kunststücken besonders die hochgeborenen Damen begeisterte. Auf einer Bootstour mit der Gräfin (Hannelore Elsner) sang er „Die Gedanken sind frei“, obwohl das Lied verboten war. Als zeitweiliger Zollwärter, an einer Station, an der niemand vorbeikam, weil kein Weg dorthin führte, wurde er über die Ewigkeit der Gesetze belehrt, deren Befehlen man folgen musste und fragte, was denn wäre, wenn diese Gesetze unsinnig geworden seien. Unerhörte Gedanken für die DDR. Er verliebte sich in eine schöne Frau, die er für die Gräfin hielt, beschloss aber, nach Italien zu ziehen, weil sie ihm unerreichbar schien. In Italien traf er auf Rinaldo Rinaldini, war aber bald mit dessen Raubzügen, an deren Sozialverträglichkeit er zweifelte, nicht einverstanden. Bevor es zum Bruch kam, erreichte ihn die Nachricht aus Deutschland, dass seine Angebetete ihn liebte, weil sie, wie sich am Ende herausstellte, keine Gräfin, sondern die Nichte eines Schlossangestellten war.

Der ganze Film lebte von Reeds Charme und Glaubwürdigkeit. Der Mann, der nicht nur umwerfend aussah, sondern auch sechs Sprachen sprach, war ein Phänomen. So sah es wohl auch Hannelore Elsner, die 1973 zwischen zwei Filmen, die sie in der BRD drehte, für eine kleine Rolle im „Taugenichts“ in die DDR kam. Das Honorar in DDR-Mark war kaum der Pull-Faktor gewesen.

Reed schrieb auch Drehbücher. Sein bekanntester und erfolgreichster Film war „Blutsbrüder“, den ich mir gleich am nächsten Abend ansah. An der Seite von Gojko Mitic, der unschlagbare DEFA-Indianer-Häuptling, spielt Reed einen desillusionieren US-Soldaten, der nach einem Massaker an den Cheyennen, das unter amerikanischer Flagge stattfand, die Seiten wechselt und sich den Indianern anschließt. Das Zusammenspiel der beiden begehrtesten Männer in der DDR ist absolut sehenswert. Das sind noch Menschen, keine abgehobenen Kunst-Figuren.

Die Kampagne gegen Aiwanger hat mit zwei köstliche Filmabende beschert. Ich kann allen meinen Lesern nur empfehlen, sich so eine Auszeit vom irre gewordenen Deutschland zu gönnen. Es tut der Seele gut.

Reed konnte auf die Dauer in der DDR nicht glücklich werden. Er war zu groß für dieses kleine Land. Am Ende war er verzweifelt, er sehnte sich nach dem kalifornischen Himmel, aber sein Weg zurück in die USA war wohl versperrt, dafür hatte er sich zu tief mit den Kommunisten eingelassen  – in „Blutsbrüder“ zerbricht seine Hauptfigur in der Eingangsszene als Fahnenträger am Ende die Fahnenstange – ein praktisch unverzeihliches Bild für Amerika. In Chile, seinem zweitliebsten Land, herrschte Pinochet, weshalb es für ihn als Zufluchtsort ausfiel. Die Ehe mit Renate Blume scheint überhaupt nicht glücklich gewesen zu sein, wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was in seinem 15-seitigen Abschiedsbrief steht, den er seinem Betreuer im ZK geschickt hat.

Auch sein Tod ist hohes Drama und wie bei jedem Selbstmord in einer geschlossenen Gesellschaft oder einem geschlossenen System kann man die Restzweifel nicht unterdrücken: War es Selbstmord, dann hat ihn Dean Reed sehr melodramatisch inszeniert: Mit aufgeschnittenen Pulsadern knietief im Zeuthener See – ein echter Indianertod. Natürlich gab es schon bald Gerüchte, dass die Stasi ihre Finger im Spiel hatte – aber nur weil sie auch gemordet hat, geht nicht jede Verzweiflungstat auf ihr Konto. Die DDR war ja ein Selbstmordland, was den Herrschenden jedoch überaus unangenehm war. Zwar gab es sicherlich großen Sorgen um das, was ein Dean Reed noch anstellen konnte, aber der Tod, so wie er stattfand, wäre auch für die Dilettanten von der SED zu selbstschädigend gewesen.

 



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