Von Gastautor Peter Schewe
Kein Wort wird in jüngster Zeit so oft gebraucht, oder besser missbraucht, wie das Wort Demokratie. Mehr noch der Begriff ‚undemokratisch‘, was man darunter auch immer verstehen mag.
Demokratie, beschwören die einen, ist der Garant für Frieden und Freiheit, und meinen damit die Fortsetzung und Verteidigung bestehender Machtverhältnisse. Andere sehen in ihr eine Möglichkeit, gerade diese sich im Laufe der Jahrzehnte verfestigten Machtstrukturen aufzubrechen und neue Wege zu suchen und zu gehen.
Die offizielle Definition des aus dem griechischen Wort ‚demos‘ für Volk und ‚kratein‘ für herrschen hergeleiteten Begriffes heißt: Volksherrschaft [Wahrig, Deutsches Wörterbuch].
Die Demokratie garantiert durch Wahlen, dass die Mehrheit bestimmt, wo es lang geht und die Minderheit für die Dauer einer Wahlperiode dieser folgt.
Das setzt voraus, dass eine deutliche Mehrheit des Volkes sich an den Wahlen beteiligt, es eindeutige Mehrheiten gibt und dass das Wählervotum eins zu eins in den Machtinstitutionen umgesetzt wird. Dafür gibt es eine Verfassung, die die vom Volk sich selbst verordneten Spielregeln der Machtzuteilung festlegt.
Aber was, wenn das Volk nicht mehr so will, wie es die Gewählten (die da oben) für richtig halten? Und was, wenn die Spielregeln nicht mehr von allen befolgt werden oder noch besser, den Belangen der jeweils Herrschenden angepasst werden?
Für den ersten Fall gibt es alle 4, neuerdings alle 5 Jahre Wahlen und somit die Chance, neue Mehrheiten zu bilden und die Macht neu zu verteilen. Den zweiten Fall zu verhindern, gestaltet sich schon schwieriger. Ein vom Volk bestimmtes Gericht wacht über die Einhaltung der Spielregeln und nur eine 2/3-Mehrheit der vom Volk Gewählten kann diese verändern.
Man sollte meinen, dass damit ewig und für alle Zeiten das Volk vor Feinden der Demokratie, vor denen, die sie abschaffen wollen um allein und ohne Widerspruch herrschen zu können bewahrt bleibt.
Soweit die Theorie, aber wie sieht es wirklich aus in der Bundesrepublik Deutschland?
Zunächst zu den Wahlen:
Im Art. 38 der Verfassung lesen wir: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“
Nichts steht da von Erst- oder Zweitstimme, nichts von Parteien oder Fraktionszwang, von Parteienfinanzierung u. ä. ist dort zu finden. Den Parteien wird lediglich eine Mitwirkung bei der politischen Meinungsbildung zugestanden (Art.21).
Nach der Verfassung dürfte es also nur eine direkte (unmittelbare) Wahl einer Person geben, denn mit der Zweitstimme wähle ich eine Partei und damit nur indirekt die auf deren Liste stehenden Personen, auf deren Auswahl ich als parteiloser Wähler keinen direkten Einfluss habe. Die Zweitstimme hebelt somit das im Artikel 38 enthaltene Gebot der Unmittelbarkeit aus.
Sollte nun, wie vom Bundestag beschlossen, diese Zweit- zur Hauptstimme werden, d.h. die gewählten Direktkandidaten zugunsten der Listenkandidaten nicht in den Bundestag kommen, wäre ein gewaltiger Schritt weiter in Richtung Parteienherrschaft getan. Dann hätten die Parteien über die von ihr ausgewählten Listenkandidaten einen noch größeren Einfluss auf die politischen Entscheidungen, denn wer nicht spurt, steht bei der nächsten Wahl nicht mehr auf der Liste. Damit wäre der nächste Grundsatz des Artikels 38 ausgehebelt, nämlich die alleinige Verantwortung der Gewählten gegenüber dem eigenen Gewissen, soweit das nicht jetzt schon in Frage zu stellen ist (Fraktionszwang).
Wie sähe denn der jetzige Bundestag nach dem Erststimmenergebnis (direkt Gewählte) aus?
Die CDU/CSU hätten 143 Sitze, die SPD 121, die Grünen 16, die AfD 16, die Linke 3 und die FDP keinen. Die Regierungskoalition käme auf ganze 137 Sitze, weniger als CDU/CSU (143). Die Gesamtzahl der Abgeordneten entspräch der Zahl der Wahlkreise: 299.
Erst durch den Mix aus Erst- und Zweitstimme mit Überhang und Ausgleichsmandaten ergibt sich ein total anderes Bild und das Wählervotum wird völlig verzerrt:
SPD 206 (+ 85); CDU/CSU 197 (+ 54); Grüne 118 (+102); FDP 92 (+ 92); AfD 83 (+ 67), Linke 39 (+ 36), gesamt 735 Sitze. Allein die Grünen erhalten so das 7,5 fache der Sitze, die ihnen nach der Erststimme zustünden (16), bei der AfD ist es das 5-fache! Die FDP wäre gar nicht im Bundestag vertreten. Einzig die CSU bliebe unverändert bei 45 Sitzen, da sie in Bayern nur ein Direktmandat an die Grünen in München verloren hat.
Allein diese Verkehrung des Wählerwillens zeigt, wie sehr sich die Machtverhältnisse trotz unveränderter Verfassung durch ständige Änderungen des Bundeswahlrechtes bereits verschoben haben und das Grundprinzip der Demokratie (Volksherrschaft) immer mehr verwässert wird. Wir werden derzeit von 3 Parteien regiert, deren Zweitstimmenanteil summa summarum nur 52 % beträgt. Bei einer Wahlbeteiligung von 76,6 % entspricht das 40 % aller Wahlberechtigten, was genau dem Zustimmungswert jüngster Umfragen entspricht. Eine Mehrheit sieht anders aus.
Nach Erststimmen würde die Ampelkoalition auch nur über 45,8 % verfügen, dank der Ausgleichs- und Überhangmandate sind es aber immerhin 56,6 %. Wen wundert‘s da, wenn alles versucht wird, die Bedeutung der Erststimmen zu minimieren. Und da sich die Grünen unter den jungen Wählern mehr Zustimmung erhoffen (was sich bei der jüngsten U18 Wahl in Bayern aber nicht bestätigte), wollen sie das Wahlalter auf 16 Jahre herabsetzen.
Nicht mehr der Wähler bestimmt, von wem er regiert werden möchte, sondern die Parteien. Sie wählen die zu Wählenden aus und bestimmen deren Listenplatz und somit die Rangfolge. Der Wähler kann nur noch eine Partei auswählen. Der nächste Schritt wäre dann, dass sich die Parteien zu einem Bündnis, etwa zu einem demokratischen Block zusammenschließen und es so letztlich egal wäre, welche Partei gewählt wird. Dieses System hat die SED in ihrer Scheindemokratie der DDR soweit ‚perfektioniert‘, dass keine Wahl mehr stattfand, sondern nur noch die Bestätigung der ‚Einheitskandidaten der Nationalen Front‘ oder deren Ablehnung durch Ungültigmachen der Stimme oder Nichtteilnahme möglich war, weshalb die DDR-Bürger auch nicht mehr von einer Wahl sprachen, sondern nur noch vom ‚Zettelfalten‘ die Rede war.
Und das alles trotz oder wegen einer vom Volk bestätigten Verfassung.
Damit kommen wir zur nächsten Voraussetzung einer funktionierenden Verfassung, dem Wächter über ihre Einhaltung, dem Verfassungsgericht. Jedes von den vom Volk Gewählten beschlossene Gesetz muss den Regeln der Verfassung entsprechen, darf diesen also nicht entgegenstehen bzw. diese nicht ignorieren. Dazu bedarf es Richter, die unabhängig von Parteien und vom Zeitgeist die Einhaltung der Spielregeln einfordern und bei deren Verletzung einschreiten. Nur wer setzt diese Richter ein, wer beruft sie für dieses Amt? Wer prüft ihre parteiliche Neutralität und Unabhängigkeit? Wer garantiert, dass sie es auch während ihrer Amtszeit sind und bleiben?
Im Art. 94 lesen wir dazu: „Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes werden je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt“ und weiter: „Ein Bundesgesetz regelt seine Verfassung und das Verfahren und bestimmt, in welchen Fällen seine Entscheidungen Gesetzeskraft haben
Also die vom Volk Gewählten und somit letztlich wieder die Parteien bestimmen die Zusammensetzung des Verfassungsgerichtes und üben so indirekten Einfluss auf dessen Entscheidungen aus. Sie legen wiederum über Gesetze die Regeln für das Verfassungsgericht fest und bestimmen, welche seiner Entscheidungen Gesetze werden. Irgendwo beißt sich hier die Katze in den eigenen Schwanz und so wundert es kaum, dass bis 2019 das Grundgesetz 63 Mal mit Auswirkung auf 235 Artikel geändert wurde und somit dem jeweiligen politischen Gewollten bzw. Gewünschtem angepasst wurde.
Dafür beispielgebend ist folgender Fall:
Auf Betreiben einiger Umweltverbände und unter dem Druck der Klimadebatte wurde in Anwendung des Art. 20 a (Schutz der Lebensgrundlagen) die Bundesregierung verpflichtet, ihre selbst auferlegten Klimaziele nicht erst 2050 sondern bereits 2045 zu erreichen, um das Leben künftiger Generationen nicht zu gefährden. Hiermit hat sich das Bundesverfassungs-gericht vom Wächter über die Einhaltung der Verfassung hin zum Gesetzesgeber selbst ermächtigt. Es hat ungeprüft und ohne Würdigung anderslautender Meinungen die vom Weltklimarat propagierten Prognosen über die Klimaveränderung zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und sich damit auf die politische Ebene begeben.
Der frühere Präsident des Verfassungsgerichtes, Hans-Jürgen Papier selbst warnt in seinem Buch „Die Warnung“ vor der Aushöhlung des Rechtsstaates und dem fortschreitenden Vertrauensverlust in die richterliche Unabhängigkeit und somit auch in das Bundesverfassungsgericht selbst.
Auch die DDR hatte eine 1949 geschriebene und 1968 per Volksentscheid geänderte Verfassung und sich trotzdem zu allem anderen, als zu einem Rechtsstaat entwickelt. Seit 1968 war die führende Rolle der SED in der Verfassung und somit die Einparteienherrschaft für alle Zeit festgeschrieben. Eine Verfassung allein ist noch lange kein Garant für einen demokratisch verfassten Rechtsstaat.
Und damit wären wir bei der nächsten und vielleicht wichtigsten Voraussetzung für das Funktionieren einer Demokratie, dem Vertrauen.
Die Herrschaft des Volkes kann nur solange funktionieren, wie ein Grundvertrauen einer Mehrheit des Volkes in die von ihm bestimmten Organe besteht. Dieses Vertrauen muss immer wieder erworben werden bzw. sich erneuern, eine Ewigkeitsgarantie dafür gibt es nicht. Grundlage dafür ist für den Wähler die positive Rückkoppelung, die Bestätigung dessen, was ihm wichtig ist durch das Handeln der von ihm Gewählten. Dazu gehören Ehrlichkeit, Offenheit und Fähigkeit der politisch Agierenden. Nur solange die Mehrheit der Wähler davon überzeugt ist, dass es ‚die da oben‘ besser können und auch tun, kann er ihnen vertrauen und die Verantwortung für das Gemeinwohl übertragen.
Und nur solange ein sicheres Koordinatensystem die Werte einer Gesellschaft bestimmt und sich diese in dessen Rahmen bewegen, nur solange kann Vertrauen wachsen. Mir fällt dazu ein Zitat ein, ich weiß nur nicht von wem: Wer an nichts mehr glaubt, der glaubt alles.
Wir reden viel von den christlichen Werten als Kitt unseres Zusammenlebens und den Grundwerten der abendländischen Kultur.
Wir brauchen alle einen festen, unverrückbaren Bezugspunkt, an dem wir alles andere, was uns erzählt, eingeflüstert oder vorgemacht wird, einordnen können. Wir brauchen ein Ziel, an dem wir uns orientieren. Ohne sind wir allen Zeitgeistereien und Falschmeldungen schutzlos ausgeliefert und verlieren unsere Gewissheiten.
Aber wenn schon der Papst die Welt am Zerbröckeln sieht, er, dessen Glaube doch für viele Orientierung und Halt geben soll, wenn der schon an der Macht Gottes, seine Schöpfung zu erhalten, zweifelt, wie sollen dann die, denen der Glaube an Gott schon länger abhanden gekommen ist, sich noch in der Welt zurechtfinden? Wem sollen sie dann noch vertrauen?
Dann muss es uns nicht wundern, dass die Angst vor Katastrophen, sei es das Klima oder
der nächste Meteoriteneinschlag religiöse Züge annimmt. Wer nicht mehr an den einen Gott glaubt, sucht sich eben andere Götter oder verzweifelt an seinem Leben. Und der kann auch ‚denen da oben‘ kein Vertrauen mehr entgegenbringen.
Wie auch, wenn wie jüngst sich die Parteien wieder mehr Geld aus der Staatskasse zuschanzen wollen, was ihnen das Bundesverfassungsgericht zwar zunächst verwehrt hat, aber nur, weil es nicht ausreichend begründet wäre. Diese wird jetzt nachgereicht und da kommt die ganze Verlogenheit des Systems ans Tageslicht: Digitalisierung und der Datenschutzes wären die Kostentreiber! Wird uns nicht täglich gepredigt, Digitalisierung macht alles einfacher, schneller und somit billiger und wer hat die Datenschutzverordnung erfunden und dem Volk übergestülpt?
Nicht von rechts oder links wird die Demokratie bedroht. Aus der Mitte heraus, aus dem Festhalten an der Macht derer, die sich den Staat und seine Kassen zur Beute gemacht haben, droht die Demokratie zu scheitern. Indem seine Bürger zum Wohlverhalten für höhere Ziele mehr oder weniger gezwungen werden, der Wählerwille pervertiert wird und der bürokratischen Willkür Tür und Tor geöffnet wird.
Wir haben das alles schon zweimal erlebt, brutaler und direkter, aber deshalb ist die gegenwärtige Entwicklung nicht weniger gefährlich für unsere Demokratie.
Peter Schewe
Regenstauf