Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit sind, oder sollte man präziser sagen, waren das Erfolgsmodell der westlichen Zivilisation. Das Recht auf Meinungsfreiheit wurde in der europäischen Aufklärung als allgemeines Menschenrecht proklamiert. Seither sollte jeder Mensch, aber insbesondere jeder Wissenschaftler, das Recht haben, die Ergebnisse seines Nachdenkens einem breiten Publikum mitzuteilen und damit sogleich zur Prüfung vorzulegen. Die Diskussion um These und Antithese ist ein unverzichtbares Instrument zur Wahrheitsfindung. Nur durch lebendige Diskussion, nicht durch eine Einheitsmeinung, wird die Weiterentwicklung der Menschheit ermöglicht. Das heißt, bestimmend für eine Demokratie sind nicht Harmonie und Einklang, sondern Widerspruch, Streit und Konflikt. Das nicht erst seit der europäischen Aufklärung, sondern seit der klassischen griechischen Demokratie. Im Gefolge der Aufklärung wurde das Recht auf Meinungs- und damit auf Wissenschaftsfreiheit in den Menschenrechtserklärungen, in den Verfassungen der Nationalstaaten und in den Rechtskonventionen übernationaler Gemeinschaften festgeschrieben. Im Grundgesetzartikel 5 steht: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ Angesichts der Realität klingt das wie eine Utopie.
Das Recht auf Wissenschaftsfreiheit ist nicht nur ein Abwehrrecht gegen öffentliche Eingriffe jeder Art, auch staatlicher, sondern ein Schutzrecht. Es soll den einzelnen Wissenschaftlern den nötigen Freiraum für ihre Forschungen gewähren und die Verbreitung wissenschaftlicher Inhalte schützen. Das betrifft ausdrücklich auch Positionen, die kontrovers zur Mehrheitsmeinung auf einem Gebiet stehen. Kritische Positionen sollen nicht ausgeschlossen, sondern einbezogen werden. So sieht der erkämpfte Standard aus. Leider ist er nur noch auf dem Papier der einschlägigen Deklarationen intakt. In der Realität steht die Meinungs-, und Wissenschaftsfreiheit längst unter schwerstem Beschuss.
Wir leben in einer Zeit, da man sich ernsthaft fragen muss, was noch unter Wissenschaft verstanden werden kann. An den Universitäten wird sich zunehmend mit unwissenschaftlichen Zeitgeistthemen beschäftigt, ob es an der TU Dresden um schwangere Väter oder an der KMU Leipzig um eine angebliche globale Durchschnittstemperatur geht, die so hoch wie seit 120 000 Jahren nicht mehr sein soll.
Dafür wird die seriöse Forschung vernachlässigt oder gar als störend empfunden. So werden an der Uni Leipzig die Forschungen an den durch die Braunkohleförderung freigelegten Erdschichten, die hunderttausende Jahre abbilden und belegen, dass es immer kürzere Warmzeiten gab, die von längeren Kaltzeiten abgelöst wurden, in der Diskussion um die angeblich menschengemachte Klimaerwärmung nicht berücksichtigt, weil vermutlich als störend empfunden.
Inzwischen gibt es in Deutschland 146 Genderprofessuren an Universitäten und 50 Genderprofessuren an Fachhochschulen. Das ist mehr als die Anzahl der Pharmazieprofessuren (191). Dagegen gibt es nur noch 8 Professuren für Kernforschung.
Dabei brauchen wir in unserer Zeit der multiplen politikgemachten Krisen echte Forschung, um Lösungen zu finden. Ohne Wissenschaftsfreiheit werden wir Freiheit und Wohlstand verlieren.
Im bayrischen Wahlkampf war in den Medien zu lesen, dass die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayrischen Landtag sich Sorgen um die Meinungsfreiheit macht, weil sie bei ihrem Wahlkampfauftritt mit Landwirtschaftsminister Cem Özdemir vom Publikum ausgebuht und ausgepfiffen wurde. Dabei ist es seit Jahren akzeptierte Taktik des rot-rot-grünen Klientel, den öffentlichen Auftritt von Personen, die eine vom Zeitgeist abweichende Meinung vertreten, zu verhindern, oder, wenn das nicht möglich ist, durch Buhrufe und Pfiffe zu stören. Die grüne Jungend ist bei solchen Gelegenheiten immer ganz vorn mit dabei.
Das hat grüne Politiker bisher nicht beunruhigt, sie haben das sogar in der Regel mit klammheimlicher Freude gebilligt.
Erfunden haben diese Taktik übrigens die Bolschewiki. Als der Zusammentritt der durch die Februarrevolution angestoßenen Verfassungsgebenden Versammlung nicht zu verhindern war, ließ Felix Dzierzynski, der spätere Chef der Tscheka, seine Leute mit Trillerpfeifen und Trommeln den Verlauf der Sitzung stören, bis die erstmals durch eine freie Wahl gewählten Parlamentarier entnervt aufgaben. Sogar Lenin hatte erst gezögert, so ein Mittel einzusetzen. Seither gehört es zum alltäglichen Instrumentarium der Linken, bis heute.
Die bayrische Grüne hätte also viel eher Grund gehabt, sich Sorgen um die politische Kultur unseres Landes zu machen. Übrigens: Wer die im Artikel 5 des Grundgesetzes festgeschriebene Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit behindert, ist ein Verfassungsfeind. Mir ist keine Äußerung unseres Verfassungsschutzpräsidenten Haldenwang bekannt, die sich mit den immer häufiger werdenden Angriffen auf die Wissenschaftsfreiheit beschäftigt.
Wie gesagt, stellt die Freiheit der Wissenschaft nicht nur ein Abwehrrecht gegen stattliche Eingriffe dar, sondern ist auch ein Schutzrecht. Es gewährt einem Wissenschaftler den nötigen Freiraum, in dem seine Forschung und die Verbreitung seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse geschützt sind. Wissenschaftsfreiheit bedeutet also, dass es unterschiedliche, zum Teil konträre Positionen geben kann. Eine Einheitsmeinung, die Meinungspluralismus nicht zulässt, hemmt die Innovation, auf die wir dringend angewiesen sind.
Deplatforming, also der Ausschluss bestimmter Gruppen und Akteure im Internet, die neueste Taktik der Feinde der Wissenschaftsfreiheit, ist nicht das einzige Problem, das die Verteidiger der Freiheit haben. Es gibt zunehmend politische Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit. Festlegungen wie „Open access“, die von der Ampelregierung 2021 getroffen wurden, schränken die Wissenschaftsfreiheit ein. Wissenschaftliche Publikationen sollen nur noch in dem von der Regierung bestimmten Form vorgelegt werden.
Außerdem macht eine zunehmende Bürokratisierung und Verstärkung von Verwaltungsstrukturen der Wissenschaft zu schaffen. Dazu gehört die Auflösung der Fakultäten und die Aufsplitterung in immer mehr Fachrichtungen. Im Jahr 2021 gab es 20 000 unterschiedliche Studiengänge an deutschen Hochschulen, Tendenz steigend.
Ein Problem ist nicht nur die Verschulung der Lehre, sondern auch die Mittelverteilung. Vor allem in Kultur- und Sozialwissenschaften fließt Geld nur dann, wenn die „richtigen“ Personen die „richtigen“ Themen bearbeiten. Aber auch in den Naturwissenschaften müssen Antragsteller die Schlagworte einarbeiten, die von den großen Wissenschaftsorganisationen, die über die Verteilung der Drittmittel verfügen, inzwischen vorgegeben werden. Damit sind wir zurück in der DDR. Ex-Kanzlerin Merkel hat geäußert, sich in der DDR für das Physikstudium entschlossen zu haben, weil in den Naturwissenschaften der staatliche Druck weniger spürbar war. Aber auch dort war das Bekenntnis zum Sozialismus notwendiger Bestandteil jeder Jahres- Diplom- oder Doktorarbeit.
Heute ist es der menschengemachte Klimawandel, Inklusion oder Diversität, die irgendwie untergebracht werden müssen.
Diese Entwicklung, die mit der 68er Studentenrevolte begann, hat mit Beginn der 90er Jahre Fahrt aufgenommen. Seither steigt die Einflussnahme bestimmter marginaler Gruppen, die sich selbst als strukturell benachteiligt einstufen und daraus weitreichende Ansprüche ableiten. Sie maßen sich das Recht an, über Themen zu entscheiden, die untersucht werden dürfen, oder eben nicht.
Es gelingt diesen Gruppen zunehmend, den Diskurs zu bestimmen.
Das betrifft inzwischen die Themenbereiche Kolonialismus und seine Folgen, Feminismus, Gender-Mainstreaming, Gender-Studies, Familienmodelle, sexuelle Diversität, Gen-Technik, Tierhaltung, Klimaforschung, Energienutzung, Rüstung, Einfluss des Islam und Migration.
Jüngste Addition sind die Corona-Maßnahmen.
Alle diese Gebiete werden mit strengen Vorgaben eingeschränkt, die freie Forschung behindern oder unmöglich machen. Personen, die diesen Vorgaben widersprechen, oder sie ignorieren, werden zunehmend aus dem wissenschaftlichen Leben verbannt.
Die Folge dieses Prozesses ist eine Atmosphäre von Angst und Misstrauen an deutschen Hochschulen. Das erzeugt Wissenschaftler, die sich aus Furcht vor Repressionen in ihren Forschungen einschränken. Damit haben wir ein Phänomen, das in Diktaturen üblich ist. In einer Diktatur hat die Wissenschaft klar politischen Zielen zu dienen.
Ich erinnere an das zentrale Postulat des Lyssenkoismus, dass die Eigenschaften von Kulturpflanzen und anderen Organismen nicht durch Gene, sondern nur durch Umweltbedingungen bestimmt würden. Lyssenko gewann vor allem zwischen 1940 und 1962 eine tonangebende Stellung, da seine Theorie von Stalin gefördert und in die Praxis umgesetzt wurde. Die folgenden schweren Ernteeinbußen wurden angeblichen Saboteuren zugeschrieben. Damit verbunden war ein Feldzug gegen die sogenannte faschistische“ oder „bourgeoise“ Genetik sowie gegen jene Biologen, die sich mit dieser Disziplin befassten. Auch in die DDR schwappte der Lyssenkoismus über. Die SED inszenierte eine „Maiskampagne“, weil der Mais angeblich eine „Wurst am Stengel“ sei. Heute ist der Mais eine „Energiepflanze“. Wer auf die Folgen von Mais-Monokultur hinweist, ist ein Rechter, oder gar Nazi.
Die Praxis, ideologische Dogmen in der Realität umzusetzen, wie wir in der sogenannten Klimapolitik erleben, die ebenso scheitern wird, wie die stalinistische Maiskampagne, wird begleitet von der Diskreditierung von Kritikern. Dieses Phänomen muss man vor dem Hintergrund politischer und hochschulpolitischer Auseinandersetzungen der 60er Jahre sehen. Von 1968 an war es an Hoch- und Fachschulen immer wieder zu Störungen, Einschüchterungsversuchen und Diskreditierungen von Wissenschaftlern gekommen, als Gruppierungen aus dem kommunistischen Umfeld versuchten, Einfluss auf die Forschungen zu nehmen. Dieses Phänomen konzentrierte sich anfangs auf die geisteswissenschaftlichen Fächer. Die „harten“, wie Medizin, Jura, Naturwissenschaften und Technik waren zunächst noch ausgenommen. Das hat sich inzwischen geändert. Wie die Corona-Pandemie und die sogenannte Klimapolitik gezeigt haben, sind inzwischen auch diese Fächer ideologisch unterwandert. An den Universitäten ist inzwischen eine Menage aus ultralinken Studentenorganisationen wie AStA und Antifa fest etabliert.
Der AStA ist einer der Haupttreiber gegen missliebige Wissenschaftler. Mit Hilfe der überall installierten Frauen-Diversity- oder Gleichstellungsbeauftragten werden die Hochschulleitungen unter Druck gesetzt.
Inzwischen ist es gelungen, die von Minderheiten formulierten moralisierenden Ansprüche als zu befolgende Dogmen zu etablieren. Das ist der Unterstützung durch die alten Medien zu verdanken und durch eine Politik, in der die 68er nach ihrem langen Marsch durch die Institutionen angekommen sind. Wie weit das gehen kann, mussten wir im Frühjahr 2020 miterleben, als die Wissenschaft instrumentalisiert wurde, um Zwangsmaßnahmen einzuführen, die politisch nicht durchsetzbar gewesen wären.
Kritiker wurden durch eine an den Stalinismus erinnernde politisch-mediale Kampagne unterdrückt. Wir haben in der Folge in den allermeisten westlichen Demokratien Grundrechtseinschränkungen erlebt, die es in Friedenszeiten bisher nicht gab. Wie sollten „der Wissenschaft“ folgen, wobei die Wissenschaft nur einige wenige Wissenschaftler waren, die sich wie Christian Dorsten, schon bei früheren angeblichen Pandemien, wie der Schweinepest, danebengelegen haben und die sich auch diesmal wieder fatal irrten. Nun, da die Corona-Erzählung in allen Punkten widerlegt ist, soll die Aufarbeitung verhindert werden.
In Kürze wird auch das CO2-Dogma mitsamt der Klimapolitik zusammenbrechen. Im WEF, der Club der Jetset-Clique, die uns das Autofahren verbieten will und auf ihrer Website verkündet, dass wir 2030 nichts mehr besitzen, aber glücklich sein werden, hat bereits eingestanden, dass es nicht gelungen war, die ganze Welt zu impfen. Auch den Klimawandel lässt sich die Bevölkerung nicht so wie geplant verkaufen. Die nächste Angstkampagne zeichnet sich bereits ab: Die Wasserkatastrophe. Aber das wäre ein anderes Thema.
Festzuhalten ist, dass der technische und medizinische Fortschritt, ermöglicht durch die Freiheit der Wissenschaft, den gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung und einen in der Geschichte beispiellosen Massenwohlstand gebracht hat, mit immenser Verbesserung der Lebensqualität und erhöhter Lebenserwartung. Diese in den letzten zwei Jahrhunderten erzielten Erfolge beruhen auf der Objektivität der Wissenschaft, darauf, dass sie ideologiefrei Faktenwissen liefert und nicht durch Normen gefilterte Resultate. Dieser Fortschritt beruht auf der Freiheit der Wissenschaft – Freiheit von politischer Einflussnahme und moralisierenden Bewertungen. Freiheit ist die „condition humaine“. Nur wenn wir ohne aufgezwungenes ideologisches Korsett denken und handeln, sind wir frei. Für Gedanken und Handlungen kann man Gründe finden und Rechtfertigungen verlangen. Vernunft und Freiheit gehören zusammen.
Wir müssen uns mit aller Kraft dagegen wehren, dass, durch eine politisch-ideologische Agenda eine Einheitsmeinung den Wettbewerb der Ideen ersetzen soll. Denn es ist gerade dieser Wettbewerb der Ideen, der den Treibstoff für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft bildet und unser Überleben in einer von multiplen Krisen geschüttelten Welt sichert.
Zum Weiterlesen: Harald Schulze, Alexander Ulfig:
Der Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit Finanzbuchverlag 2022