Eine Perle aus der Provinz: „Die Hochzeit des Figaro“

Veröffentlicht am

Über das Theater Nordhausen habe ich an dieser Stelle schon häufiger geschrieben. Natürlich ist da viel Lokalpatriotismus dabei, vor allem aber die Überzeugung, dass gute Theaterproduktionen es verdienen, einem größeren Kreis bekannt gemacht zu werden. Durch Kultur wird uns vermittelt, woher wir kommen und was uns geprägt hat. Wenn das kulturelle Erbe nicht gepflegt wird, vergessen wir, wer wir sind.

„Die Hochzeit des Figaro“ war die erste Premiere der neuen Spielzeit und sie war ein Paukenschlag.

Als sich der Vorhang während der Ouvertüre öffnete, blieb mir beim Anblick des Bühnenbildes die Luft weg. Bühnenbildner Wolfgang Kurima-Rauschning und die Kostümbildnerin Birte Wahlbaum hatten sich entschlossen, das Geschehen nachts in eine Galerie zu verlegen. Die Wände prangten in Schillers Himmelblau und in den Goldenen Rahmen standen die handelnden Personen vor unterschiedlichen Gemälden. Als die letzten Besucher die Galerie verließen, stiegen sie aus ihren Rahmen.

Der Anblick war ein Fest für die Sinne und ich hatte sofort das Gefühl, nie ein schöneres Bühnenbild gesehen zu haben. Wahlbaums Kostüme sind immer hervorragend, aber hier hat sie sich selbst übertroffen. Es mangelte auch nicht an witzigen Details. Zum Beispiel zeigte Bartolo (Thomas Kohl), der streng wie ein Kirchenmann daherkam, mit Sockenhaltern garnierte nackte Waden. Dagegen wirkte Cherubino (Rina Hirayama), der eingangs als Statue am Ende der Bildreihe stand, wie mit Zement übergossen. Die Gräfin (Zinzi Frohwein) trug einen Mops im Arm, der Ersatz für die mangelnde Zuwendung des Grafen. Nur was der schwarze Schwan als Rettungsring um den Bauch des Grafen (Damien Gastl) sollte, erschloss sich mir nicht.

Dann entfaltete sich auf der Bühne ein wahres Feuerwerk. Mozarts Librettist Da Ponte hat das von Kaiser Joseph II verbotene Stück „Der tolle Tag“ von Beaumarchais ( „Wenn ich dieses Stück genehmigen würde, , müsste ich konsequenterweise  gleich die Bastille einreißen“) als Opernlibretto annehmbar gemacht, indem er die „sittenwidrigen“ Stellen einfach wegkürzte oder umschrieb, und die Personenzahl verringerte. Übrig blieben genug mit Intrigen angereicherte Irrungen und Wirrungen, bis am Ende vier Paare zueinander fanden.

Im Film „Amadeus“ von Milos Forman erklärt Mozart Kaiser Joseph II, warum mit Musik das Durcheinander von vier Stimmen hörbar gemacht werden kann. Joseph II war von der Oper dann so angetan, dass er gleich noch eine bei Mozart bestellte: „Cosi van tutte“.

Der „Figaro“ trat nach seiner Premiere einen regelrechten Siegeszug durch die Bühnen Europas an. Er wird bis heute für die feine Zeichnung der Charaktere geschätzt.

Die Besetzung in Nordhausen wird dem voll gerecht.

Der schwierigste Part ist wohl der des Grafen. Sein Schöpfer Beaumarchais sagte über ihn, er müsse „vornehm“ mit „Grazie und Ungezwungenheit“ gespielt werden. Seine Verdorbenheit dürfe nicht „seine guten Manieren beeinträchtigen“. Beaumarchais wäre entzückt, wenn er Gastl hätte sehen können. Er war der perfekte Graf, dem jede Frau alles verziehen hätte.

Die quirlige Susanna war Yuval Oren, die schon bei den Schlossfestspielen in „Schiwago“ als Tonia geglänzt hat, wie auf den Leib geschnitten. Neben ihrer zauberhaften Stimme brachte sie ein lebendiges Minenspiel und graziöse Bewegungen ein. Sehr gelungen war ihr Zusammenspiel mit der Gräfin, der Frohwein die erforderliche Würde und Anmut verlieh. Auch Anja Daniela Wagner überzeugte als Marcellina, die schwierigste weibliche Figur im Stück.

Meine Favoritin ist aber Rina Hirayama, die den Cherubino mit bewundernswertem Einsatz spielte. Sie überzeugte sowohl als schreckensstarre Figur in turbulenten Auseinandersetzungen, als auch als flatterhafter Jüngling, der von seinen Gefühlen getrieben wird. Man spürte förmlich den künftigen Don Giovanni. Als Hirayama die Arie „Sagt schöne Frauen, die ihr sie kennt…“ sang, schmolz das Publikum dahin. Hirayama bekam dann beim Schlussapplaus die ersten Bravo-Rufe, denen verdienterweise solche für den Grafen, die Gräfin, Figaro und Susanna folgten.

Im bis auf das leidige Gendern hervorragenden Programmheft, kann man von Juliane Hirschmann viel über den Zusammenhang der drei großen Mozart-Opern Figaro, Don Giovanni und Cosi van tutte erfahren und über Da Ponte, der sein Libretto so überzeugend schreiben konnte, weil er ein Leben geführt hat, das reich an ähnlichen Irrungen und Wirrungen war. Ein eifersüchtiger Ehemann entledigte ihn seiner Zähne.

Gibt es nichts zu beanstanden? Doch, auf der letzten Seite des Programmhefts wird darüber philosophiert, dass Mozart möglicherweise den „aufgezwungenen geschlechtlichen Dualismus der Welt“ ad absurdum führen wollte und die „Fremdheit zwischen den beiden Prinzipien zugunsten einer übergeschlechtlichen Harmonie zu überwinden“ suchte.

Im Gegenteil. Mozart war klar – und davon handelt der „Figaro“- dass die Dualität der Geschlechter eine Grundkonstante unseres Daseins ist. Aus ihr folgt das „spannungsgeladene und komplizierte, von Begehren und Ungleichheit, Anziehung und Disharmonie gezeichnete, aufregende, wild bewegte, oft beglückende, oft tragische Verhältnis zwischen den Geschlechtern“ (Chaim Noll). Ohne das gäbe es keine Weltliteratur, schon gar keine Mozartopern, denn die „übergeschlechtliche Harmonie“ würde unser Leben wie Mehltau überziehen.



Unabhängiger Journalismus ist zeitaufwendig

Dieser Blog ist ein Ein-Frau-Unternehmen. Wenn Sie meine Arbeit unterstützen wollen, nutzen Sie dazu meine Kontoverbindung oder PayPal:
Vera Lengsfeld
IBAN: DE55 3101 0833 3114 0722 20
Bic: SCFBDE33XXX

oder per PayPal:
Vera Lengsfeld unterstützen