Kino für das Ohr

Veröffentlicht am

Anstelle einer Rezension veröffentliche ich hier die Einleitung von Jörg Koch zu diesem äußerst lesenswerten Buch.

Im Zeitalter moderner Massenkommunikation ist es kaum noch vorstellbar, dass ein alltägliches Gerät wie der Radioapparat in früheren Tagen eine Rarität darstellte. Noch vor drei Generationen war es ein Ereignis, wenn die  gesamte Familie in der guten Stube oder um den Küchentisch beisammensaß und gebannt den Stimmen und Tönen lauschte, die aus dem bestaunten Wunderwerk der Technik erklangen. Das Radio stand für eine neue Zeit, für eine bislang nicht gekannte Modernität. Heute dagegen ist das Rundfunkprogramm für die meisten Hörer in den Hintergrund getreten, es wird beiläufig gehört und dient, von Nachrichtensendungen abgesehen, vielfach nur als akustische Berieselung.

„Radio” ist die Kurzform für „Radioempfangsgerät”, also ein Gerät, mit dem Hörfunk empfangen werden kann. Umgangssprachlich wird „Radio” auch für einen Hörfunk- bzw. Radiosender oder eine Senderkette benutzt, zum Beispiel „Radio Bremen”. Die Bezeichnung „Radio” leitet sich vom Lateinischen radius ab, was Strahl bedeutet. In der Tat nutzt das Radio elektromagnetische Strahlung zur Informationsübertragung. Würde der Rundfunk heute erfunden, würde man ihn sicher nicht mehr „Radio” nennen, zu sehr ähnelt dieser Name dem Wort „Radium”, das ein strahlendes, radioaktives Element bezeichnet. Zwar wurde die Physikerin und Chemikerin Marie Curie mit zwei Nobelpreisen geehrt (den einen erhielt sie 1903 für die Erforschung der Radioaktivität, den anderen 1911 für die Isolierung des Elements Radium), doch überwiegen bei Weitem die negativen Assoziationen. Und so wäre der Name „Radio” heute wohl zu vorbelastet und eine schwere Bürde für die Vermarktung eines Mediums.

Die Anfänge, Entwicklung und Verbreitung des Radios fallen in eine unruhige Zeit, die mit Schlagworten wie „Ruhrkampf, „Inflation”, „Weltwirtschaftskrise”, „Demokratie ohne Demokraten” etc. in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Mit den Worten „Achtung! Hier Sendestelle Berlin, Vox-Haus, Welle 400 Meter” begann am 29. Oktober 1923 die erste Sendung der Berliner Radio-Stunde und damit zugleich der allgemein zu empfangende Rundfunk in Deutschland. Nachdem dieser sich in den späten 1920er Jahren als „Belehrungsinstrument” etabliert hatte, instrumentalisierte der nationalsozialistische Staat ab 1933 das neue Medium für die politische „Gleichschaltung” des Volkes. Das Rundfunkhören war fortan nicht mehr eine „Privatangelegenheit jedes Einzelnen”, sondern „eine staatspolitische Pflicht” für jeden Volksgenossen.’ Das für die Nationalsozialisten so wichtige Gemeinschaftsgefühl ließ sich mit dem neuen Medium bei hohem Wirkungsgrad und minimalem Aufwand erreichen. Überall im Sendegebiet konnten Millionen Hörer gleichzeitig an den „nationalen Ereignissen” teilhaben. Dank der geringen Zeitverzögerung bei der Übermittlung von Tonaufnahmen gab der Rundfunk den Hörern das Gefühl. geradezu dabei zu sein. Vor allem die über den „Volksempfänger” ausgestrahlte Unterhaltungsmusik war während des Zweiten Weltkrieges „genau so wichtig wie Kanonen und Gewehre”

In den 1950er Jahren beflügelte das Radio mit seinen flotten Rhythmen vor allem aus den USA die Jugendlichen zur Rebellion gegen alles Althergebrachte – zumindest in West-Deutschland. Die Verbreitung des Transistorradios machte die außerhäusliche Nutzung des Rundfunkprogramms alltagstauglich. Ab den 1960er Jahren trat dem Radio zunehmend das Fernsehen als große Konkurrenz an die Seite, und zwar in West-Deutschland genauso wie in der DDR. Nach der kontinuierlichen Programm- und Angebotserweiterung bot der duale Rundfunk ab Mitte der 1980er Jahre eine ungeahnte Vielfalt. Auch im Zeitalter der Digitalisierung und der Allmacht des Internets hat der Rundfunk für viele weiterhin einen festen Platz im Leben. Er liefert Informationen, bringt Struktur in den Alltag und sein Programm gliedert den Tagesablauf.

In diesem Buch möchte ich einen Überblick über die abwechslungsreiche Geschichte des Rundfunks in Deutschland bieten, indem ich in chronologischer Abfolge an wichtige Meilensteine, Moderatoren und Sendungen erinnere. Dabei muss die Entwicklung des Rundfunks in Anlehnung und vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte betrachtet werden.

Das Buch möchte – wie sein Untersuchungsgegenstand – nicht nur Informationen bereitstellen, sondern darüber hinaus Unterhaltung im besten Sinne des Wortes bieten. Nichtsdestotrotz liegt der Schwerpunkt der Darstellung auf der NS-Geschichte, weil der Rundfunk unter dem Hakenkreuz im öffentlichen Leben eine so große Rolle gespielt hat. Aufschluss über diese Epoche bieten zeitgenössische Tageszeitungen und Zeitschriften, vor allem die nicht-gedruckten Quellen des Bundesarchivs Berlin. Darunter fallen Bestände des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, der Reichskulturkammer (RKK), der Reichsrundfunkkammer (RRK), des Reichssicherheitshauptamtes sowie der Reichsrundfunkgesellschaft (RRG). Sie beinhalten Akten, Notizen, Protokolle, Manuskripte, Gutachten, Organisationspläne, personalunterlagen, Tätigkeitsberichte etc.

Genauso lesenswert sind die Einblicke in die Anfangsjahre des neuen Mediums sowie der Überblick zur Hörfunkgeschichte nach 1945, gegliedert in das Rundfunkwesen der Besatzungszonen, der Bundesrepublik, der DDR und des wiedervereinigten Deutschlands von 1990 bis heute. Für Anregungen und Hinweise danke ich Dr. Bernd Braun, dem Archiv des Sender- und Funktechnikmuseums Königs Wusterhausen danke ich für die freundliche Abdruckgenehmigung einiger der Bilder in diesem Buch, und Dr. Peter Kritzinger und vor allem Dr. Julius Alves vom Kohlhammer Verlag für die erneut konstruktive Zusammenarbeit.

Viel Vergnügen bei dem Gang durch 100 Jahre Rundfunkgeschichte und
Radiogeschichten wünscht —

Jörg Koch



Unabhängiger Journalismus ist zeitaufwendig

Dieser Blog ist ein Ein-Frau-Unternehmen. Wenn Sie meine Arbeit unterstützen wollen, nutzen Sie dazu meine Kontoverbindung oder PayPal:
Vera Lengsfeld
IBAN: DE55 3101 0833 3114 0722 20
Bic: SCFBDE33XXX

oder per PayPal:
Vera Lengsfeld unterstützen