Theranos revisited: harte Landung hinter Gittern

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Von Gastautor Hans Hofmann-Reinecke

2003 gründete eine energische und selbstbewusste junge Amerikanerin ein Unternehmen für klinische Diagnostik. Sie war der lebende Beweis, dass Frauen nicht nur durch Heirat, Scheidung oder Erbschaft reich werden können, sondern durch eigene Leistung.  Die Mächtigsten Amerikas hofierten sie und investierten in ihr Unternehmen. Sie war damals gerade 19 Jahre alt.  Heute ist sie 39, und vor ein paar Wochen musste sie eine elfjährige Haftstrafe im Bundesgefängnis von Bryan, Texas, antreten. Was war geschehen?  

Finger statt Unterarm

Wir alle kennen das: eine mehr oder weniger freundliche MTA bemächtigt sich unseres Unterarms und sucht nach einer wehrlosen Vene, um eine Kanüle größeren Kalibers in sie zu rammen. Wir beobachten dann, wie unser Blut durch ein Schläuchlein in ein Reagenzglas fließt und hoffen, dass das Ding bald voll ist. Dann aber wird blitzschnell ein neues Glas hervor gezaubert, um seinerseits gefüllt zu werden. So geht das dann weiter, bis genügend Stoff gesammelt ist, um sämtliche Vampire Transsilvaniens zu versorgen.

Ein begabtes und ehrgeiziges Mädchen namens Elizabeth Holmes hasste die Prozedur und beschloss, ein freundlicheres Verfahren zu entwickeln. Es sollte mit einem einzigen Tropfen Blut auskommen, so wie er beim Picken einer Fingerkuppe entsteht. Und nicht nur das, auch die Resultate sollten sofort verfügbar sein, nicht erst ein paar Tage später.

So ersann sie ein System, bestehend aus einer Küvette, dem „Nanotainer“, und einem Analyseautomaten, dem „Edison“, der über Internet mit einem Server kommunizierte. Der Nanotainer vom Format einer Scheckkarte, nahm das Blut auf und wurde dann in den Schuhkarton-großen Edison geschoben, in dem ein miniaturisiertes Labor Messungen durchführte. Die Ergebnisse würden im zentralen Computer weiterverarbeitet und dann dem Empfänger zugeschickt.

Die Edisons würden bei chronischen Patienten mit Bedarf nach regelmäßigen Bluttests stehen, oder aber an öffentlichen Service Points, und natürlich in Krankenhäusern.

THERANOS

Bluttests werden sehr oft benötigt und kosten viel. Elizabeth konnte leicht hochrechnen, dass hier ein gigantisches Geschäft schlummerte, und es dämmerte ihr, dass dies eine Option war, um ihren Kindheitstraum zu erfüllen: Milliardärin werden.

Sie gründete eine Firma im Silicon Valley und nannte sie Theranos – aus Therapie und Diagnose. In der Region fand sie schnell begabte und flinke Ingenieure, die sich an die Arbeit machten, um die Vision der Gründerin zu realisieren.

Die hatte ein paar Semester Chemical Engineering studiert; das war die Grundlage für ihre geniale Geschäftsidee. Es war aber nicht genug für eine realistische Einschätzung der Machbarkeit. Und so traten währen der Entwicklung laufend Probleme auf, welche erst technische Details und dann das Projekt insgesamt in Frage stellten.

Für kritische Stimmen aber gab es kein Pardon. Wer nicht felsenfest vom Erfolg überzeugt war, dem wurde gekündigt – manchmal innerhalb von Minuten. Wenn die Leute nur härter und länger arbeiteten, dann würden alle Probleme gelöst.

Elizabeths größte Stärke war auch ihre größte Schwäche: Sie akzeptierte kein „Nein“, auch nicht, wenn das Nein von der Realität kam. Fakt war, dass man mit dem winzigen Blutvolumen die gewünschten Tests nicht ausreichend genau machen konnte. Und außerdem passte das Minilabor nicht wie geplant in eine Schuhschachtel. Das war nicht die Schuld der Ingenieure.

Von der Gründung in 2003 bis zu seiner Abwicklung 2018 brachte Theranos nichts zu Stande, was den vollmundigen Versprechungen Elizabeths auch nur nahe gekommen wäre. Während der 15-jährigen Firmengeschichte machte die Firma so gut wie keinen Umsatz, verbrannte aber fast eine Milliarde Dollar an Kapital von Investoren und Geschäftspartnern.

Der Seiltanz

Theranos wurde im Laufe der Jahre zu einem einzigen Potemkin’schen Dorf, dessen Chefin wusste, dass beim ersten Blick hinter die Fassaden alles zusammenbrechen würde. Diese Paranoia bestimmte ihren Führungsstil. In all den Jahren wurde keinem potentiellen Kunden je erlaubt, die Labors und Werkstätten zu besuchen.

Den größten Deal landete sie bei Walgreens. Die US Pharma-Kette sah eine riesige Chance darin, ihre Filialen – über 9000 in den USA – mit dem Theranos System auszustatten, wo Kunden dann nach dem Einkauf gerade mal einen Bluttest machen konnten. Man modifizierte jede Menge von Läden, um die Geräte dort zu stationieren und bot den neuen Service lautstark an.

Was beim Start des neuen Geschäfts dann allerdings fehlte waren die Apparate von Theranos! Um einen Skandal zu verhindern, oder wenigsten hinauszuschieben, wurde Kunden jetzt Blut abgenommen, so wie früher, und in konventionellen Geräten bei externen Labors analysiert. Das ging natürlich nicht lange gut, und der Schwindel flog auf. Die Partnerschaft, in die Walgreens eine viertel Milliarde gesteckt hatte, endete vor Gericht.

Aber auch der Staatsanwalt kümmert sich inzwischen um Theranos, und die arme Elizabeth muss jetzt der prosaischen Wirklichkeit amerikanischer Justiz ins Auge sehen. Ihr drohen bis zu 20 Jahre Haft wegen schweren Betrugs. Ich bin allerdings sicher, dass sie keine Nacht hinter Gittern verbringen wird, und auch um ihre Finanzen brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Eher schon um ihre Seele (p.s. hier hat sich der Autor 2020 getäuscht).

Zu schön, um wahr zu sein

Walgreens ist ein Konzern, der jährlich um die 80 Milliarden Umsatz macht. Man sollte annehmen, dass deren hartgesottene Manager nicht so blauäugig einer frischgebackenen Unternehmerin Anfang Zwanzig auf den Leim gehen. In solch einem riesigen Konzern, da gibt es Experten für alles, da gibt es Due Diligence bevor man Geld ausgibt, da gibt es standardisiertes Risikomanagement. Wie kann dann trotzdem so etwas passieren?

Die relativ fotogene Elizabeth Holmes war für die Medien so unwiderstehlich wie ein frischer Zwetschgenkuchen für einen Schwarm Wespen. Kein Magazin ohne eine Ausgabe mit ihrem Bild auf dem Titel, keine Talkshow, ohne sie als Gast, und überall gab es Gelegenheit, sie als jüngste Milliardärin von Silicon Valley zu preisen. Sie spielte in der obersten Liga mit, Seit an Seit mit Bill Gates und Steven Jobs. Sie war es, auf die alle gewartet hatten.

Sie war endlich der lebende Beweis, dass Frauen nicht nur durch Heirat, Scheidung oder Erbschaft reich werden können, sondern durch eigene Leistung.

Sie zeigte sich in Gesellschaft von Bill und Hillary Clinton, von Joe Biden und Henry Kissinger, der auch im Aufsichtsrat der Firma saß. Wer möchte mit einer Person wie ihr nicht ins Geschäft kommen? Sei es als Investor oder als Kunde – man hätte dann Zugang zu den gesellschaftlichen Schichten der obersten Stratosphäre. Und Elizabeth verstand es gut, dieses Asset bei ihren Verhandlungen einzusetzen.

Dazu kam ihre hypnotische, engelhafte Ausstrahlung, die es Geschäftspartnern schwer machte, ihr zu widersprechen oder zu widerstehen. So wurden dann Verträge unterschrieben, die bei kühler Betrachtung der Chancen und Risiken kaum zustande gekommen wären. Walgreens war nur eines von vielen Opfern.

Es war übrigens ein gewisser John Ioannidis, Kritiker der Corona Politik und Professor für Epidemiologie der Stanford University School of Medicine, der 2015 die Blutanalysen von Theranos unter die Lupe nahm und ihre Mängel offenlegte. Seine Arbeit brachte damals den Stein ins Rollen, der zur Aufdeckung des ganzen Schwindels und zu Elisabeths Ende führte.

Seine Kritik am PCR-Test zur Diagnose von Corona Infektionen, ein paar Jahre später, fand dann aber weniger Gehör. Wen hätte er damit wohl hinter Gitter gebracht?

Dieser Artikel erschien zuerst im Blog des Autors Think-Again. Sein Bestseller „Grün und Dumm“ ist bei Amazon erhältlich.



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