Ich bin kein Romanschreiber, gestand mir Matthias Matussek, der soeben seinen ersten Roman veröffentlicht hat. Aber es steckt einer in ihm drin. Es gibt im Buch immer wieder Stellen, die jeden guten Roman zieren würden, etwa seine Beschreibung des Weges seines Helden und Alter Ego Rico Hausmann vom heimischen Lidl zu seinem Haus, vorbei am Friedhof mit der „Staffel weißer Birkenstämme“, deren „Widerstandskraft ihrer silbernen Umhüllung“, Rico immer wieder erstaunte. Oder die Beschreibung einer zum Selbstmord entschlossenen 78-jährigen Jüdin in Paris, mit gichtigen Händen, aber perfekt manikürten roten Fingernägeln, die sich wie ein Kind in ihren Ohrensessel kuschelt. Man hat sie und ihre Wohnung, ihre Nachbarn und die Wege zu ihren Stammlokalen, förmlich vor Augen.
Man merkt aber auch, dass Matussek beim Schreiben sich den Romantechniken immer mehr annähert. Learning bei Doing, wie man in Neudeutsch sagen würde.
Im ersten Teil „Der Nazi auf der Party“ geht es mehr oder weniger um Matusseks Weg vom gefeierten Spiegel-Starjournalisten zum Paria der Kultur- und Medienblase. Das begann nicht erst mit der Geburtstagsparty zu seinem 65., fand da aber einen vorläufigen Höhepunkt. Neben vielen alten Freunden und Kollegen aus dem Journalismus waren auch etliche neue Freunde und Bekannte aus der staatsfernen, alternativen Szene dabei, u.a. ein Identitärer, also ein Angehöriger einer kleinen Gruppe, die neben den so genannten Reichsbürgern als wichtigster Staatsfeind angesehen wird. Matussek postete Fotos von dieser Party auf Facebook. Innerhalb von Stunden hatte der witzloseste Satiriker aller Zeiten vom ZDF eine Kampagne losgetreten, der sich ehemalige Freunde anschließen zu müssen glaubten. Wie sich Jan Fleischhauer, Kai Dieckmann, Robert Beckmann und Benjamin Stuckrad-Barre dabei verhalten haben, verdient, nicht vergessen zu werden.
Als eine, die dem offiziellen Betrieb, auch als Politikerin, immer ferngestanden hat, staune ich über das Maß an Bereitschaft zu Verrat und Denunziation, zu dem unsere „Prominenten“ willens und fähig sind.
Da ich mir nie eine Show von Böhmermann angesehen habe, war ich erschrocken, wie tief unsere Gesellschaft, die solche Aufritte goutiert, schon gesunken ist. Matussek vergleicht Böhmermanns Nazi auf der Party-Lied, mit dem seine meist jugendlichen Zuschauer regelrecht aufgehetzt werden, mit Goebbels Sportplatz-Rede und man findet keinen Grund, ihm zu widersprechen.
Im zweiten Teil „Bericht eines angekündigten Todes“ nimmt der Roman Fahrt auf. Rico reist nach Paris, um eine lebensmüde Jüdin vom geplanten Selbstmord abzuhalten. An deren Lebensgeschichte blättert Matussek die Verstrickungen deutscher Biografien auf. Natalie war mit Hermann, einem Staatsekretär und Sprössling einer noblen Hamburger Händlerfamilie, verheiratet.
Als sie Verdacht schöpfte, das Familienunternehmen könnte in den Plan der Nazis involviert gewesen sein, jüdisches Eigentum im Generalgouvernement zu arisieren, lässt sie das von einem Historiker überprüfen. Prompt findet der die Firma auf einer Liste der beteiligten Unternehmen.
Matussek zieht keinen Vergleich, aber mir fällt sofort ein, dass allzu viele deutsche Unternehmen nicht die wichtigste Lehre aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben: sich nicht in die Politik einbinden zu lassen. Heute kündigen Banken Konten von Dissidenten, natürlich ohne Angabe von Gründen, entlassen Firmen Mitarbeiter, die mit dem Zeitgeist in Konflikt geraten sind oder dienen sich in ihren Werbungen dem Zeitgeist an. Für Matussek ist dieser Teil vor allem wichtig, weil er klar machen will, wer die wirklichen Nazis waren und warum der inflationäre Nazi-Begriff, mit dem mittlerweile alle belegt werden, die es wagen, die Regierung zu kritisieren, die schändlichste Verharmlosung des Nazismus ist.
Die Titulierung von unbequemen Kritikern als Nazis ist keineswegs nur rufschädigend. Matussek musste erleben, dass er im Video einer linksradikalen Band zum Abschuss frei gegeben wurde.
Im Roman spielt das Gewehr, das im Video auf ihn angelegt wurde, eine zentrale Rolle. Es befindet sich bei einem angejahrten Linksradikalen, der Rico in der entlegenen Ostseegegend, die seine Zuflucht geworden ist, erkennt und verfolgt. Am Ende schreitet dieser Linksradikale, dessen Figur ein Konglomerat von Linksextremisten ist, zur Tat und schießt auf Rico. Dass der Möchtegern-Mörder aber durchaus als Person mit liebenswerten Seiten beschrieben wird, er kümmert sich rührend um eine Drogenabhängige auf Entzug, ist eine der Stärken von Matusseks Buch.
Rico ist zwar von den Linksradikalen ins Visier genommen worden, hat aber überlebt. Die Erleichterung darüber mischt sich mit dem bangen Zweifel, ob eine solche Attacke in der Realität auch so glimpflich ausgehen würde.
Matthias Matussek: Armageddon