Von Gastautor Hans Hofmann-Reinecke
In Deutschland war zuverlässige, unauffällige und preiswerte Stromversorgung einst Selbstverständlichkeit. Heute ist sie weder zuverlässig, noch unauffällig noch preiswert. Dass sie überhaupt noch funktioniert, das ist flexiblen und cleveren Nachbarn zu verdanken – und den deutschen Verbrauchern, die sich mit allem abfinden.
Versailles und seine Folgen
Soziologen schreiben es dem „Gesetz der unbeabsichtigten Folgen“ zu, wenn eine große Anstrengung genau das Gegenteil des gewünschten Ergebnisses bringt. Historisches Beispiel sind die drakonischen Verträge von Versailles. Durch sie wollten die Siegermächte des ersten Weltkriegs verhindern, dass Deutschland jemals wieder zu militärischer Bedeutung käme. Das war die Absicht, das Gegenteil war die Folge. Nur zwei Jahrzehnte später begann Deutschland den brutalsten Krieg aller Zeiten. Um sich aus den „Fesseln von Versailles“ zu befreien, hatte man all seine Energie in den Aufbau der Streitkräfte investiert. Die Maßnahme „Versailles“ hatte das genaue Gegenteil dessen hervorgebracht, was beabsichtigt war.
Gegenwärtig befindet sich die Welt abermals in einem Krieg, dessen Ziel jedoch nicht die Zerstörung von Lebensraum ist, sondern dessen Erhaltung. So wird jedenfalls behauptet. Der Feind ist das CO2, und alle Staaten der Erde haben sich gegen ihn verbündet. Formalisiert wurde diese Allianz durch das Pariser Abkommen von 2016. Der Einsatz, mit dem sich die einzelnen Nationen an dem Kampf beteiligen ist nun sehr unterschiedlich, doch eines ist klar: Deutschland sieht sich als Bannerträger an der Spitze einer globalen grünen Armee.
Das Atom und die Kohle
Die Regierung hat unter dem Titel „Energiewende“ einen Feldzug begonnen, der dem Feind CO2 bislang jedoch keine Verluste beibringen konnte. Insbesondere auf dem wichtigsten Schlachtfeld, der Versorgung mit elektrischer Energie, lief bisher alles schief.
Und das kam so:
Der durchschnittliche monatliche Bedarf Deutschlands liegt bei 36 000 Gigawattstunden. (Eine GWh ist das Millionenfache einer Kilowattstunde, die uns Verbrauchern eher geläufig ist, und für die wir 30 Cent bezahlen müssen.) Der Löwenanteil dieses Bedarfs wurde und wird aus deutschen Kohlekraftwerken geliefert. Bis 2015 leisteten auch Kernkraftwerke einen Beitrag von monatlich rund 8000 GWh, also knapp ein Viertel des Gesamtbedarfs. Diese wurden, etwa zeitgleich mit dem Pariser Abkommen, schrittweise stillgelegt. Seit April 2023 hat Deutschland keine Kernkraft mehr.
Das war eine sehr paradoxe Maßnahme, denn Kernkraft war in Deutschland die einzige wesentliche, zuverlässige und CO2-freie Energiequelle. Besagte 8000 GWh fehlen nun in der Bilanz, und man muss Strom importieren, um die Versorgung sicherzustellen. Früher konnte man noch Strom exportieren. In der Graphik unten stellen die Balken die monatliche Bilanz seit 2015 dar: die blauen Balken Export, die roten Import. Die Zeitpunkte des Abschaltens der einzelnen KKWs sind durch schwarze Punkte dargestellt, daneben das Kürzel der jeweiligen Anlage, etwa LLI2 = Isar 2. Die dramatische Zunahme von Importen seit April 23 ist offensichtlich.
Einer der Lieferanten ist Frankreich, aber hier ist man nicht nur glücklich über den deutschen Kunden. “Es ist ein Widerspruch, einerseits massiv französischen Atomstrom zu importieren und andererseits jeden Text und jede Gesetzgebung in der EU abzulehnen, die den Mehrwert dieser kohlenstoffarmen Energieform anerkennt”, sagt die französische Energieministerin Agnes Pannier-Runacher, „Jedes Land muss seiner Verantwortung nachkommen, die eigene Versorgung sicherzustellen und einen Beitrag zur Stabilität des europäischen Netzes zu leisten” (Handelsblatt 6.7.23)
Was die Ministerin offensichtlich nicht weiß: Deutsche Politik ist schon seit einiger Zeit immun gegen Argumente. Ideologie kennt keine Logik.
Wind und Sonne
Der aggressive Ausbau von Wind- und Solarkraft ist nicht die Lösung. Ihr Beitrag korreliert in keiner Weise mit dem Bedarf, und es wird immer Zeitspannen geben, in denen sie nichts liefern. Um Stromsperren oder Blackout vorzubeugen muss der Bedarf also jederzeit zu 100% durch konventionelle Kraftwerke gedeckt sein. Diese müssen rund um die Uhr im Hintergrund in Bereitschaft stehen, sei es bei uns oder bei unseren Lieferanten im Ausland. Fazit: Wind und Sonne erlauben es nicht, ein einziges konventionelles Kraftwerk stillzulegen, egal wie viele Windmühlen und Panels man noch installiert.
Die Marktpreise von Strom entwickeln sich entsprechend Angebot und Nachfrage und bei Überangebot sind sie sogar schon ins Negative gerutscht. Es ist gut vorstellbar, dass Deutschland dann für die importierte GWh 150 000 Euro zahlen muss, für den exportierten, überschüssigen Wind- und Solarstrom aber nichts bekommt, weil ihn niemand brauchen kann.
Politik und Freundschaft
Das ist keine gute Situation, und die extremen Strompreise dämpfen die Begeisterung der Bevölkerung für Energiewende und Regierung ganz erheblich. Dazu kommt die Gefahr von Stromsperren, die bislang nur verhindert werden konnten, weil energieintensive Unternehmen bereit waren, ihren Betrieb zeitweise einzustellen – allerdings für großzügige Entschädigung.
Dass dies auf die Dauer kein Rezept für Erfolg ist, das erkannte man selbst in Berlin, und so plante man den Ausbau eines neuen Standbeins: Strom aus Erdgas. Die notwendigen Kraftwerke müssen zwar noch gebaut, und das Gas muss importiert werden, aber nichts ist unmöglich, oder? Schließlich hat Russland so viel davon, dass es sogar eine Pipeline dafür nach Deutschland gebaut hat. Dazu kam diese Männerfreundschaft zwischen Kanzler Gerhard und Genossen Vladimir, und aus kommunistischen Zeiten gab es noch eine mysteriöse Allianz zwischen Putin und Merkel – was sollte da also schief gehen?
Nun, politische Freundschaften kennen keine Treue, und unsere diplomatische Geheimwaffe Annalena erklärte dann dem Kerl im Kreml kurzerhand den Krieg. Ja, und die Gasleitung durch die Ostsee, die war auch plötzlich „offline“.
Übrigens ist Erdgas keineswegs frei von CO2: je kWh Elektrizität werden da 447 Gramm CO2 in die Luft gepustet, das ist immerhin noch mehr als die Hälfte der 798 Gramm aus Steinkohle. Gas ist also keineswegs „grün“, aber was grün ist oder nicht, das bestimmt in Deutschland nicht die Chemie, sondern die Politik.
Wie auch immer, der Ausfall der Gasimporte aus Russland dient den Regierenden jetzt dazu, die ganze Schuld für die Energie-Misere auf Putin zu schieben.
Schwarzes Gold aus Übersee
Soweit ist die Energiewende also konsequent nach dem „Gesetz der unbeabsichtigten Folgen“ verlaufen. Seit ihrem Beginn ist der Feind CO2 dank Unterstützung durch die Regierung stetig auf dem Vormarsch. Und so wie ein Feldherr nach jeder Niederlage einen neuen Sieg in Aussicht stellt, so stellen unsere politischen Strategen immer neue, noch ehrgeizigere Ziele in den Raum: bis 2030 nur noch 35% der Emissionen von 1990.
Das könnte aber schwierig werden, denn zum Ersatz von Gas und Atom setzt man jetzt ausgerechnet auf Kohle, die bekanntlich den maximalen CO2 Ausstoß hinterlässt.
Da ist einerseits die heimische Braunkohle, die jetzt wieder gefördert und verbrannt wird, aber auch Kraftwerke für Steinkohle werden reaktiviert, bisher 15 an der Zahl, und sie müssen 24 Stunden am Tag laufen. Das modernste und sauberste dieser Sorte konnte allerdings nicht mehr wiederbelebt werden: Moorburg war 2015 ans Netz gegangen und wurde dann 2021 nicht nur stillgelegt, sondern auch gleich unbrauchbar gemacht. Es könnte heute pro Monat mehr als 1000 GWh beisteuern, bei weniger CO2 Ausstoß als alle anderen.
Woher aber soll nun die benötigte Steinkohle kommen? Aus Übersee. Derzeit werden monatlich rund drei Millionen Tonnen importiert, die könnten um die 8000 GWh zu unserem monatlichen Budget von 36 000 GWh beitragen. 35% davon kommen aus USA, 25% aus Kolumbien und nochmal 25% aus Australien. Dort hin sind es gigantische Entfernungen und der Transport hat auch seinen Preis, nicht nur in Dollars sondern auch in CO2. So ein „Bulk Carrier“ bringt uns vielleicht 100 000 Tonnen Kohle, aber er verbraucht auf seiner Reise, etwa von Kolumbien, über 3 Millionen Liter Schweröl; und von Australien sind es noch wesentlich mehr.
Schlimmer geht nimmer
Ziehen wir Bilanz, was die Energiewende gebracht und gekostet hat.
In Deutschland war zuverlässige, unauffällige und preiswerte Stromversorgung einst Selbstverständlichkeit. Heute ist sie weder zuverlässig, noch unauffällig noch preiswert. Dass sie überhaupt noch funktioniert, das ist flexiblen und cleveren Nachbarn zu verdanken – und den deutschen Verbrauchern, die sich mit allem abfinden.
Auf dem Weg in diese Misere wurden Industrielle Werte in astronomischer Höhe vernichtet und ebenso hohe Investitionen in Projekte getätigt, deren Nutzen und Nachhaltigkeit mehr als fraglich sind. Deutschland, einst einer der erfolgreichsten Industriestandorte weltweit, wird heute von Investoren gemieden.
Ja, und diese riesigen Frachter, die mit 100.ooo Tonnen Kohle an Bord, angetrieben von zigtausend-PS-Dieselmotoren Tag und Nacht für Deutschland durch die Ozeane pflügen, die passen auch nicht gut in die idyllischen Bilder der Welt, welche die Grünen einst malten.
Das krasse Gegenteil des von der Energiewende angestrebten Ergebnisses wurde erzielt.
Erleben wir also ein weiteres historisches Beispiel für das „Gesetz der unbeabsichtigten Folgen“? Oder wurde etwa ein ganz anderes Ziel verfolgt als die vorgegebene „Rettung des Klimas“? Haben Sie eine Antwort?
(Der Titel „Logik des Misslingens“ ist Dietrich Dörners gleichnamigem Buch entlehnt).
Dieser Artikel erschien zuerst im Blog des Autors Think-Again. Sein Bestseller „Grün und Dumm“ ist bei Amazon erhältlich.