Morgens um zwei stand das Schiff still. Ich war gerade kurz aufgewacht und stand auf dem Balkon. Der Lotze, der die AIDAnova durch die Schären führen sollte, wurde an Bord genommen. Als ich kurz nach sechs wieder aufwachte, sah ich, warum für die sichere Einfahrt in Norwegens Hauptstadt ein Kundiger nötig war. Wir mussten uns durch die Schären und Holme praktisch hindurchschlängeln. Wir landeten direkt an der Festung Akershus, die um 1300 errichtet wurde und der man ansah, dass sie erfolgreich den zahlreichen Belagerungen von Dänen und Schweden widerstanden hatte. Bis heute richtet sie ihre Kanonen auf die Ankömmlinge im Hafen, auch wenn sie inzwischen eher wie Dekoration aussehen.
Natürlich erklommen wir zuerst die Festung. Kaum oben begegneten wir einer Reihe hochdekorierter europäischer Generale und Admirale. Auch ein Vertreter des deutschen Heeres war dabei. Sie hatten, außer den Uniformen, kaum etwas militärisches an sich. Ihre zahlreichen Orden hatten sie nicht in tapferen Kämpfen gewonnen, sondern waren die sichtbaren Zeichen des Erklimmens der Karriereleiter. Beschützt wurden die Möchtegern-Krieger von mit MPs bewaffneten Soldaten, einer davon mit langem blondem Zopf. Ach ja, es war 8. Mai und auch in Norwegen wird der Tag des Kriegsendes mit einer Ehrung der Gefallenen begangen.
Von der Festung aus hat man einen atemberaubenden Blick auf Oslo, sofern er nicht vom Kollos der AIDAnova verstellt wurde. Oslo ist sicher eine der schönstgelegenen Hauptstädte der Welt. Verzaubert wird das Ganze von dem speziellen Nordlicht, das es nur in Skandinavien gibt.
Wir begannen unseren Rundgang auf der 9 km langen Hafenpromenade. Wir betraten sie auf der Höhe des Nobel-Institutes. Ich musste daran denken, dass die Jury für den Friedensnobelpreis der Versuchung widerstanden hatte, Ex-Kanzlerin Merkel zu dekorieren. War der Grund dafür, dass sie sich mit der Auszeichnung des damals frisch gewählten amerikanischen Präsidenten Barack Obama blamiert hatte, der in seiner Amtszeit etwa ein halbes Dutzend Kriege verantwortet hat? Wie auch immer: Der Preis ging an eine Friedensaktivistin aus den Entwicklungsländern, deren Namen ich nicht erinnere.
Nur noch wenige alte Speicher, alle aufwändig restauriert, stehen am Hafen. Der Rest ist mit moderner Architektur bebaut. An der Wasserseite eine schier endlose Kette an Restaurants, Cafés und Bars, darüber Büros und weiter hinten Appartements. Während wir daran entlang gingen, überlegte ich, ob ich einige der Gebäude schön nennen könnte, entschied dann aber, dass sie dafür zu kalt wirkten. Ich fragte mich, wie viel historische Substanz abgerissen worden ist. Allerdings muss man von den Terrassen und Balkons einen wunderbaren Blick haben. Auf der Rückseite fanden wir eine Eisdiele mit dem berühmten norwegischen Eis, in die wir prompt einkehrten.
Langsam näherten wir uns dem historischen Zentrum. Allmählich wurden die Neubauten seltener. Als ich von Weitem eine prächtige weiße Gründerzeit-Fassade von straßenlänge erblickte, ahnte ich, wie prunkvoll das alte Oslo war. Beim Näherkommen musste ich feststellen, dass vor diese Fassade ein moderner Betonriegel gebaut worden war, der Geschäfte, Restaurants und Cafés beherbergte. Gemildert wurde der Anblick lediglich durch schöne, mit dunkellila Stiefmütterchen bepflanzte Blumenschalen. Der Straßenabschnitt endete an einem Hang, auf dem eine breite Treppe zum Schlosspark hinaufführte. Der Park stand noch in voller Frühjahrsblüte: blau von Scilla, weiß von Buschwindröschen. Das gelbe Schloss thronte riesig über allem. Eine kerzengerade Allee führte hinunter in die Altstadt, die mit wunderschönen Gründerzeithäusern bebaut ist, die vom Reichtum des Landes zeugen.
Mir war schon vorher aufgefallen, dass es hier keine Spur von Wohlstandsverwahrlosung gibt. Straßen und Grünanlagen sind äußerst gepflegt. Ich konnte keine Flaschensammler entdecken, die in den Abfallkörben nach einem Zusatzverdienst fahndeten. Nur an der Kathedrale, die von einer riesigen Baustelle umgeben ist und nicht betretbar war, sah ich einige wenige Graffiti. Da hatte jemand die Gelegenheit im Baustellenchaos genutzt. Eine Ausnahme bestätigt die Regel.
Den zweiten Stopp machten wir an einem Laden, der norwegische Produkte anbot. Rentierfelle, Strickwaren mit Norwegermuster aus Merinowolle, jede Menge Trolle und Wurst aus Rentier, Elch- und Walfleisch.
Auf dem Schiff waren wir gewarnt worden, solche Produkte auch nur zu probieren. Hier wurden sie von staatlicher Stelle angeboten. Ich kaufte je eine Probierpackung von allen dreien. Weil es verboten war, sie mit aufs Schiff zu nehmen, verzehrten wir sie unter freiem Himmel. Rentier schmeckt am besten, dicht gefolgt vom Walfleisch. Elch ist auch gut, aber etwas herb.
Langsam wurde es Zeit, zum Schiff zurückzugehen. Wir gerieten am Hafen zu sehr auf die andere Seite. Das sahen wir, als wir auf einer Brücke standen und die Lage überblickten. Ganz hinten ragte das AIDAnova-Logo über alle Decks, Dächer und Kräne, etwa 20 Gehminuten entfernt. Unser ungewollter Umweg hatte den Vorteil, dass wir an der Osloer Oper vorbeikamen, die wir sonst verpasst hätten. Das futuristische Werk eines norwegischen Architekten namens Snohetta ragt wie eine Eisscholle zum Wasser hin.
Auf der schräge tummelten sich allerlei Leute, anziehender wird der 500 Millionen-Bau dadurch nicht. Hier hat Merkel, schlecht beraten von ihrer Stylistin, Dekolleté gezeigt. Der damalige norwegische Premier wurde abgelichtet, als er in Merkels Ausschnitt lugte. Das ging durch die Weltpresse.
Witzigerweise befindet sich der Oper gegenüber eien norwegische „Badstub“. Woher die wohl ihr Wasser bezieht?
Wir erreichten die AIDA rechtzeitig und standen auf dem Deck, um das Auslaufen zu beobachten. Ein scharfer Wind machte den Abschied leichter und der Entschluss, Oslo in Ruhe noch einmal zu besuchen.