Kipp-Punkte

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Von Gastautor Peter Schewe

Neulich las ich, dass die Gesamtzahl der im öffentlichen Dienst Beschäftigten erstmals die Fünf-Millionen Grenze überschritten hat.  Allein das Bundeskanzleramt stockt seine Mitarbeiter um 400 auf und wird für 750 Mio erweitert. Im Haushalt für 2023 sind 4.600 neue Planstellen vorgesehen.

Auf der anderen Seite fehlt es überall an Fachkräften, Ausbildungsplätze können nicht besetzt werden, Gaststätten schließen wegen Personalmangels. 45 Mio der 83 Mio Einwohner Deutschlands befinden sich derzeit in einem sozialversicherten Arbeitsverhältnis, wie viele davon produktiv arbeiten, das heißt das Volksvermögen mehren, Mehrwert schaffen und die anderen ernähren, ist nicht bekannt. Ich schätze mal höchstens ein Drittel. Zwei Drittel sind damit beschäftigt, die Arbeitenden zu verwalten und zu betreuen, die bürokratischen Anforderungen zu erfüllen, die Kranken gesund zu machen bzw. zu pflegen, zu forschen usw. usw. Je mehr uns verwalten, umso mehr bürokratische Hemmnisse wird es geben, die wiederum mit mehr Verwaltungsaufwand überwunden, sprich bearbeitet werden müssen. Schließlich will ja keiner umsonst auf seinem Bürosessel sitzen.

Spätestens seit Marx wissen wir, dass nur diejenigen, die mit ihrer Tätigkeit einen Mehrwert schaffen, also beispielsweise aus einem Rohmaterial ein Gerät fertigen oder aus Sand und Zement ein Bauwerk errichten, das Vermögen einer Volkswirtschaft mehren. Allein aus diesem Mehrwert müssen sich alle anderen Ausgaben für Gesundheits- und Altersvorsorge, für Dienstleistungen jeglicher Art, für die Kultur und den Sport, für die Verteidigung und innerer Ordnung, für die öffentliche und betriebliche Verwaltung, für Bildung und Erziehung, für Arbeitslosen- und Sozialhilfe generieren, er allein ist die Quelle von Wohlstand und sozialem Frieden.

Die Frage ist nun, wann der Kipppunkt erreicht ist, wann die Zahl der Mehrwertschaffenden im Verhältnis zur Zahl der Nutznießern dieses Mehrwertes, man könnte sie auch als Leistungserbringer und Leistungsverbraucher nennen, nicht mehr ausreicht, die anderen zu alimentieren. Vielleicht können uns die Volkswirtschaftler da weiter helfen.

Sicher ist jedoch, dass wenn sich dieses Verhältnis immer weiter in Richtung Leistungsverbrauchern verschiebt, irgendwann ein Punkt erreicht sein wird, wo es nicht mehr reicht. Im Rentensystem, wie auch im kranken Gesundheitswesen ist dieser Punkt ja schon längst überschritten, nur durch Steuersubventionen können die Systeme noch ausgeglichen werden. Aber auch die Steuern und Abgaben müssen ja aus dem Mehrwert generiert werden, wir haben keine andere Geldquelle. Auch Rücklagen sind endlich und Schulden müssen zurückgezahlt werden.

Lange hat die alte Bundesrepublik von einer Dienstleistungsgesellschaft geträumt. Schon damals habe ich mich gefragt, wie eine Wirtschaft funktionieren soll, wenn wir uns alle nur noch gegenseitig die Schuhe putzen, die Haare schneiden oder das Auto waschen, eben Dienstleistungen erbringen. Erst später verstand ich, was damit wirklich gemeint war: Alles was stinkt, Schweiß kostet oder die Umwelt belastet wird ausgelagert, dorthin wo die Löhne niedrig und die Ressourcen billig waren. Selbst wollte man nur noch den Handel und das Geldgeschäft betreiben, mit Geld Geld verdienen und davon gut leben. Jahrzehnte hat es funktioniert, das Elend der Leistungserbringer, wozu auch die DDR lange gehörte, wurde ausgeblendet. Das ging nur so lange gut, wie die Mehrwerterbringer diese globale Arbeitsteilung akzeptierten weil sie für sie von Vorteil war. Diese Rechnung geht nun nicht mehr auf und plötzlich stellen wir fest, was uns alles fehlt, weil wir es selbst nicht mehr herstellen wollten oder können. Auch hier ist der Kipppunkt schon erreicht. Noch wollen wir es nicht wahrhaben, noch meinen wir, uns auf dem Gipfel wirtschaftlicher Stärke zu befinden. Aber die Talfahrt hat schon begonnen, zunächst langsam, aber das Tempo wird zu nehmen und es endet erst, wenn wir im Tal angekommen sind. Erst dann werden wir staunend zu den anderen aufschauen und den Weg nach oben suchen. Wie sagte doch neulich ein Kommentator: Die Führungsmacht Deutschland gibt es nur noch im Feuilleton.

Bei all dem kommt mir ein vor vielen Jahren gelesenes Buch in Erinnerung:

‚Die Parkinson‘schen Gesetze‘.

Bereits in den 50-iger Jahren kam der britische Soziologe und Humorist N. Parkinson zu der Erkenntnis, dass sich die Arbeit im Büro genau in dem Maße ausdehnt, wie zu ihrer Erledigung an Zeit zur Verfügung steht, also vorgegeben ist. Es wird also nichts vorzeitig erledigt, sondern wenn überhaupt, dann erst immer zum gesetzten Termin. Desweiteren beobachtete er im britischen Marineministerium, dass sich trotz abnehmender Zahl der Schiffe die Angestellten in der Admiralität erhöhte, während die Zahl der Dockarbeiter, also der Mehrwertschaffenden ebenfalls abnahm (weniger Schiffe = weniger Produktivkräfte = mehr Verwaltung). Er stellte mathematische Formeln auf, nach denen sich die Zahl der Angestellten jährlich um 5 – 6 % erhöht und somit auch der Arbeitsumfang, den sich die Angestellten gegenseitig verschaffen, ständig zunimmt, bis der Punkt erreicht ist, wo alle nur noch damit beschäftigt sind, sich gegenseitig zu informieren, abzustimmen und zu kontrollieren. Neulich vernahm ich bei Lanz, dass im Bundeswehrbeschaffungsamt 15.000 Mitarbeiter beschäftigt sind, der Bundeswehr es aber überall an wichtigen Ausrüstungen bis hin zur Munition fehlt. N. Parkinson sollte posthum für den Wirtschaftsnobelpreis nominiert werden.

Ebenfalls stellte er die Behauptung auf, wonach Entscheidungsgremien mit steigender Zahl ihrer Mitglieder weniger kompetente und somit richtige Entscheidungen treffen. Bei über 21 Mitgliedern wird so gut wie nichts mehr entschieden bzw. die anstehenden Probleme in Arbeitsgruppen oder in die Zukunft verschoben. Optimal wäre die Zahl 5. Auch stellte er fest, dass die Zeit, mit der ein Problem behandelt wird, umgekehrt proportional seiner Bedeutung, seines Umfanges oder seines Wertes ist. Während über den Bau eines neuen Schiffes in zwei Minuten entschieden wurde, verursachte die Anschaffung einer neuen Kaffeemaschine mehr als eine halbe Stunde Diskussion. Der Grund: Während die Sachkenntnis über die Notwendigkeit eines neuen Schiffes überschaubar war, fühlten sich für die Frage einer neuen Kaffeemaschine alle kompetent und zuständig, getreu dem Motto: Es wurde schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem.

Wenn auch seine Beobachtungen und Thesen mehr als Satire aufgenommen wurde, enthalten sie doch einen wahren Kern: Bürokratien wachsen aus sich selbst heraus und alle Bemühungen und Versuche, sie einzudämmen führen letztlich zu noch mehr Bürokratie. Schon allein die Einrichtung einer Stabstelle zum Bürokratieabbau schafft wieder mehr Stellen, erfordert mehr Schriftverkehr und gegenseitige Abstimmungen, Controlling, Untersuchungen, statistische Erhebungen und vieles mehr. Beispiele dafür gibt es zur Genüge.

In diesem Zusammenhang ist noch ein wichtiges Prinzip des amerikanischen Soziologen Prof. Peter zu nennen (Peterprinzip). Es besagt, dass in einer Hierarchie jeder solange aufsteigt, bis er die Stufe seiner Unfähigkeit (Inkompetenz) erreicht hat. Solange also kein frisches Blut nachfließt, erreicht jede geschlossene Hierarchie früher oder später den Zustand völliger Inkompetenz. Nur Austausch durch neue Mitarbeiter und Quereinsteiger können diesen Zustand verhindern. Mit Inkompetenz ist dabei nicht etwa gemeint, dass derjenige etwa zu dumm oder unfähig wäre. Nur für die ihm zugeordnete Aufgabe eignet er sich nicht, ist also nicht kompetent und erfüllt somit nicht die erwarteten Anforderungen.

Dazu ein Beispiel: In einer Schule ist der Posten des Direktors zu besetzen. Der beste, d.h. fähigste, beliebteste Klassenlehrer wird gewählt. Dieser im Umgang mit Schülern sehr kompetente Lehrer muss plötzlich völlig andere Aufgaben administrativer Art übernehmen, die Schule nach außen vertreten, mit Schülern hat er kaum noch direkten Kontakt. Er fühlt sich überfordert. So wird ein guter (kompetenter) Lehrer zu einem überforderten (inkompetenten) Direktor.

All diese in früheren Jahren gelesenen Bücher und damals als etwas satirisch überzogen empfundenen Darstellungen kommen mir in den Sinn, schau ich mir den derzeitigen Regierungsbetrieb, das Agieren unser Politiker und Abgeordneten in Regierung und Parlament an und komme zu dem Schluss: So abwegig sind diese Theorien nicht, sie sind zutreffender als wir es wahrhaben wollen.



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