Der Kolumnist Michael Andrick hatte in der Berliner Zeitung die Aussetzung verfassungsmäßiger Grundrechte durch die Choronapolitik der Regierung kommentiert: War dies möglich, so ist alles möglich. Der Chefredakteur der Zeitung hatte darauf geantwortet, auch der Verleger und zu einer Weiterführung der Debatte aufgefordert. Der folgende Text ist als Beitrag zu dieser Debatte geschrieben, aber dort bislang nicht veröffentlicht, denn sie konzentrierte sich dann unmittelbar auf Corona. Dagegen ist an sich nichts einzuwenden, allerdings ist das Problem, wie es von Herrn Andrick aufgeworfen wurde, nämlich, daß unser Land „zunehmend Züge eines korrupten Parteienkartellstaats mit repressivem Meinungsregime“ zeigt, in den Hintergrund gedrängt worden. Nun ist bei den neuesten Beiträgen zur Debatte allerdings der Hinweis „Dieser Text ist Teil der Serie „Corona-Debatte“. Alle Texte dazu finden Sie unter: https://www.berliner-zeitung.de/topics/corona-debatte“ nicht mehr vorhanden. Man möchte wohl die Debatte beenden und keine allgemeineren Schlußfolgerungen zum Zustand unsrer Demokratie ziehen.
Von Gastautor Lothar W. Pawliczak
Das war die Botschaft des heiligen Papstes Johannes Paul II. an seine Landesleute und an alle Bürger im sowjetischen Machtsystem: „Fürchtet euch nicht. Habt keine Angst!“ (Josua 10:25; Jesaja 41:10)
Die Arbeiter der Leninwerft in Gdańsk hatten ihre Furcht vor dem System überwunden, waren aufgestanden, hatten Solidarność gegründet. Intellektuelle, Künstler hatten sich angeschlossen, obwohl sie sicher mehr zu verlieren hatten als die Arbeiter. Von denen verloren aber einige ihr Leben. Das sollten wir nie vergessen! Man sollte silberne Stolpersteine überall dort anbringen, wo Opfer des Kommunismus zuletzt gewohnt haben.
Am 7. Oktober 1989 hatten Mutige eine sozialdemokratische Partei in der DDR gegründet, zwei Tage später andere den Aufruf „Die Zeit ist reif – Aufbruch 89“ verfaßt. Die Zeit war schon lange reif, aber die Angst, die die Freiheit vertilgt, mußte überwunden werden.
Seltsame Ironie der Geschichte: Einige der DDR-Oppositionellen haben sich einbinden lassen und schweigen, wo heutzutage Bürgerrechte geltend zu machen wären. Ein gutdotierter Posten enthält auch die Angst, ihn wieder zu verlieren. Aber nicht alle waren einzubinden: Bärbel Bohley, Michael Arnold, Angelika Barbe, Erika Drees, Rolf Henrich, Vera Lengsfeld, Sebastian Pflugbeil, Gunter Weißgerber, …
Daß man auf seinem Posten schweigt und Dinge betreibt, von denen man weiß, daß sie falsch sind, haben inzwischen einige Politiker nach Ausscheiden aus ihrem Ämtern veranschaulicht: Sigmar Gabriel zitierte in einem Gastbeitrag im TAGESSPIEGEL (09.4.2018) einleitend des Philosophen Alain Finkielkraut Definition von „politischer Korrektheit“: „Nicht sehen wollen, was zu sehen ist“. „Die Phase zwischen Machtverlust, Erleuchtung und Weisheit dauerte bei ihm 26 Tage“, kommentierte Nicola Abé das im SPIEGEL (Nr. 16 / 14.4.2018 S. 8). Joachim Gauck, der als Bundespräsident erklärt hatte, „die Eliten sind gar nicht das Problem, die Bevölkerungen sind im Moment das Problem“ und auf einer toleranten multikulturellen Gesellschaft bestand, gleichzeitig aber intolerant von einer Spaltung des Landes zwischen Dunkeldeutschland und Helldeutschland redete, bekannte – kaum aus dem Amt geschieden: „Wohin ein solcher Multikulturalismus aber tatsächlich geführt hat, das hat mich doch erschreckt“ (Zit. nach FAZ 27.09.2019). Nun teilen uns Kanzler Scholz und die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit mit, daß Rente mit 63 ein Fehler sei. Hatten sie nicht selbst Regelungen durchgesetzt, die einen frühen Rentenbezug fördern? Wer von den jetzigen Regierungsmitgliedern wird uns irgendwann mittteilen, daß das sogenannte Bürgergeld ein Fehler ist?
Man weiß ja zur Genüge, was einem Amtsträger passiert, wenn er gewisse Wahrheiten ausspricht. Da droht nicht nur ein „nicht hilfreich“ der Kanzlerin. Nachdem Christian Hirte einem Freund zu seiner von der Kanzlerin mißbilligten Wahl gratuliert und ihn einen „Kandidaten der Mitte“ genannt hatte, mußte er umgehend „auf Anregung der Bundeskanzlerin“ um seine Entlassung als Staatssekretär und Ostbeauftragter „bitten“. Bestrafe einen – erziehe hundert! Der nunmehrige Kanzler muß soetwas wohl nicht mehr selbst erledigen und die Bundesinnenministerin will, daß Beamten allein aufgrund eines Verdachts aufgrund von „Hinweisgebern“ die Existenz entzogen wird.
Es genügte nicht, daß Herr Özdemir, Herr Gabriel, Herr Steinmeier, Herr Kahrs, Frau Kramp-Karrenbauer mit Mischpoke, Pack, Dunkeldeutschland, rechtsradikale Arschlöcher (Entschuldigung, das ist nicht mein Sprachgebrauch, letzteres ein Zitat des SPD-Haushaltssprechers.), Rattenfänger zur Ausgrenzung von Bürgern aufrufen und der Suhrkamp-Verlag, der SPIEGEL und weitere Zeitungen eine Kampagne gegen Herrn Tellkamp betreiben und ihn zum Feind erklären. Auch Verhaftung eines durchgeknallten Vegankochs und Hausdurchsuchung bei einem mißliebigen Familienrichter war offenbar zu wenig. Man braucht echte Staatsfeinde, um Kritiker zum Schweigen zu bringen: Welcher halbwegs vernünftige Bürger möchte schon irgendwie mit skurrilen Reichsbürger-Spinnern[1] in Verbindung gebracht werden? „Von dem Polizeieinsatz mit mehr als 3.000 Beamten gehe ein klares Signal aus“, betonte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Die Frage, welcher Art dieses Signal ist, läßt sich wohl sehr unterschiedlich beantworten.
Eine Beschuldigung, Haßrede zu verbreiten und den Staat delegitimieren zu wollen, also den Vorwurf einer schlechten Gesinnung, kann man nicht widerlegen. Wie soll man glaubhaft darlegen, nicht zu hassen und eine gute Gesinnung zu haben? Diese Vorwürfe können jeden treffen und das verbreitet Angst. Und mit der Verbreitung von Angst haben ja unsere Regierer in den letzten Jahren gute Erfolge erzielt: Die von einem Tsunami ausgelöste Nuklearkatastrophe in Fukushima bewirkte eine Angst, daß in Deutschland Ähnliches passieren könnte und veranlaßte Frau Merkel zu einer Totalwende in der Energiepolitik. Sie stieß damit auf weite Zustimmung. In Angst vor Krankheit und Tod infolge der Coronaepidemie setzten viele Bürger auf den rettenden Staat und akzeptierten erhebliche Einschränkungen der bürgerlichen und kommerziellen Freiheit. Die Angst von Leuten, die letzte Generation zu sein, rechtfertigt erpresserische Handlungen und Blockierung der Bewegungsfreiheit von Bürgern, während die Straftaten nur milde oder überhaupt nicht geahndet werden. Die Regierer – selbst von Ängsten geleitet, etwas falsch zu machen – glauben wohl, die Bürger ängstigen zu müssen, damit ihre Politik akzeptiert wird. Ist das diktatorisch? Nein, aber: Diktatur ist nicht nur Drohung mit Gewalt und Niederschlagung jeden Widerstandes. Diktaturen verbreiten vor allem Angst unter ihren Untertanen. In einer Diktatur kann man sich auf nichts verlassen. Was heute noch richtig war, kann morgen schon falsch und lebensgefährlich sein. So ängstigen Diktaturen. So kriecht Diktatur in die Bürger hinein, macht sie zu Mittätern an sich selbst und an anderen. Und wer Mittäter ist, leistet keinen Widerstand.
Muß ich mich nun ängstigen, weil ich vielleicht mal auf einer Veranstaltung war, wo auch einer der mutmaßlichen Verschwörer gesprochen hat? Immerhin kann ich als milderden Umstand vorbringen, daß ich nicht weiß, was „QAnon-Ideologie“ ist (Ich will es auch garnicht wissen.). Muß ich mich aber ängstigen, weil ich bei Facebook zu erkennen gebe, gewisse Freunde zu haben und daß mir gewisse Beiträge gefallen? Muß ich mich ängstigen, weil gelegentlich einem meiner Kommentare im Internet mangels Gegenargumente mit dem NAZI-Vorwurf begegnet wird? Muß ich mich ängstigen, weil ich diesen Artikel geschrieben und veröffentlicht habe?
Ich weigere mich, Angst zu haben! Mein Maß an Angst ist zu DDR-Zeiten hinreichend gefüllt worden. Sich von den Mächtigen nicht ängstigen zu lassen, ist eine unerläßliche Bedingung der Freiheit. Angst essen Freiheit auf.
Übrigens: „But we will definitely never be afraid again“, sagte der Ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner Neujahransprache 2023.
[1] Der Westberliner Wolfgang Gerhard Günter Ebel war wohl der Erfinder der Reichsbürgertümlerei. Er war bei der von der DDR verwalteten Deutschen Reichsbahn als Fahrdienstleiter angestellt und infolge des Reichsbahnstreiks 1980 entlassen worden. Er klagte dagegen und argumentierte, die DDR-Behörden könnten ihn nicht entlassen, da die Reichsbahn Eigentum des Deutschen Reiches sei, das fortbestehe. Es wurde eine sogenannte Kommissarische Reichsregierung (KRR) gegründet und Ebel bezeichnete sich selbst als „Reichskanzler des Staates Deutsches Reich“. Er wurde schließlich wegen Amtsanmaßung, Titelmißbrauch und anderer Vergehen angeklagt, aber als geistig verwirrt und strafunfähig nicht verurteilt.