Wahlrechtsreform kontra Verfassung   

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Von Gastautor Peter Schewe

Der von der Ampelkoalition vorgelegte Vorschlag zur Reform des Wahlrechts, gemäß dem sich die Sitzverteilung allein nach dem Zweitstimmenergebnis richten soll, wäre ein eklatanter Verstoß gegen Artikel 38 unserer Verfassung. Dort heißt es eindeutig:

 „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“

Nichts von Erst- oder Zweitstimme, nichts von Parteien oder Fraktionszwang, von Parteienfinanzierung u. ä. ist dort zu finden. Den Parteien wird lediglich eine Mitwirkung bei der politischen Meinungsbildung zugestanden (Art.21).

Nach der Verfassung dürfte es also nur eine direkte (unmittelbare) Wahl einer Person geben, denn mit der Zweitstimme wähle ich eine Partei und damit nur indirekt die auf deren Liste stehenden Personen, auf deren Auswahl ich als Wähler keinen direkten Einfluss habe. Die Zweitstimme hebelt somit das im Artikel 38 enthaltene Gebot der Unmittelbarkeit aus.

Sollte nun, wie vorgeschlagen, diese Zweit- zur Hauptstimme werden, d.h. die gewählten Direktkandidaten zugunsten der Listenkandidaten nicht in den Bundestag kommen, wäre ein gewaltiger Schritt in Richtung Parteienherrschaft getan. Dann hätten die Parteien über die von ihr ausgewählten Listenkandidaten einen noch größeren Einfluss auf die politischen Entscheidungen, denn wer nicht spurt, steht bei der nächsten Wahl nicht mehr auf der Liste. Damit wäre der nächste Grundsatz des Artikels 38 ausgehebelt, nämlich die alleinige Verantwortung gegenüber dem eigenen Gewissen, soweit das nicht jetzt schon in Frage zu stellen ist (Fraktionszwang).

Wie sähe denn der jetzige Bundestag nach dem Erststimmenergebnis (direkt Gewählte) aus?

CDU/CSU hätten 143 Sitze, die SPD 121, die Grünen 16, die AfD 16, die Linke 3 und die FDP keinen. Die Regierungskoalition käme auf ganze 137 Sitze, weniger als CDU/CSU (143). Die Gesamtzahl der Abgeordneten entspräch der Zahl der Wahlkreise: 299.

Nur erst durch diesen Mix aus Erst- und Zweitstimme mit Überhang und Ausgleichsmandaten ergibt sich ein völlig anderes Bild und wird das Wählervotum verzerrt:

SPD 206 (+ 85); CDU/CSU 197 (+ 54); Grüne 118 (+102); FDP 92 (+ 92); AfD 83 (+ 67), Linke 39 (+ 36), gesamt 735 Sitze. Allein die Grünen erhalten so das 7,5 fache der Sitze, die ihnen nach der Erststimme zustünden (16), bei der AfD sind es das 5-fache! Die FDP wäre gar nicht im Bundestag vertreten. Einzig die CSU bleibt unverändert bei 45 Sitzen, da sie in Bayern nur ein Direktmandat an die Grünen in München verlor.

Da ist es verständlich, dass die, für die sich das Sitzverhältnis am meisten verschlechtern würde, und das sind gerade die kleineren Parteien (Grüne, FDP und AfD), alles tun werden, eine Reform zu verhindern, die der Erststimme das ihr gem. Verfassung zustehende Gewicht zukommen lässt, nämlich das reine und direkte Personenwahlrecht:

Der Wähler wählt diejenige Person, die seine Interessen und Vorstellungen seines Erachtens am besten vertritt und da alle Parteien und nicht nur die, sondern auch Organisationen, Verbände und Initiativen Kandidaten zur Wahl stellen können, kann der Wähler auch übergeordneten Interessen oder Zielen, wie etwa Klimaschutz u.a. durch die Wahl des diese Anliegen vertretenden Kandidaten seine Stimme geben.

Um auf die Zahl 598 (2 x 299) zu kommen, können die beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen je Wahlkreis in den Bundestag einziehen, so dass auch der Zweitplazierte seine Wähler dort vertreten kann. Stichwahlen würden so überflüssig.

Demokratischer geht es nimmer.



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