Von Gastautor Hans Hofmann-Reinecke
Gegenwärtig sind auf der Welt ca. 440 Atomkraftwerke in Betrieb, 55 weitere sind im Bau. Die meisten davon sind Druck- oder Siedewasserreaktoren ( „Light Water Reactor“ = LWR), so wie hier auf der „Achse des Guten“ bereits beschrieben. Sie sind sicher und zuverlässig, aber nicht alternativlos. Heute sind Reaktoren einer neuen Generation im Gespräch: der SMR = „Small Modular Reaktor“, der MSR = „Molten Salt Reactor“ und der DFR = „Dual Fluid Reactor“. Mit letzterem wollen wir uns näher beschäftigen.
Diese Maschine soll einen Großteil des zugführten Treibstoffs verbrennen, ganz Im Gegensatz zum LWR, der nur einen kleinen Prozentsatz nutzt und aus dem Rest langlebigen radioaktiven Abfall macht. Und nun verspricht man sich von diesem Wunderding auch noch, es könne genau diesen radioaktiven „Abfall“ in Energie verwandeln, sozusagen eine nukleare Müllverbrennungsanlage.
Vielleicht. Aber ganz frei von strahlendem Abfall ist der DFR auch nicht. Bei seinem Betrieb entstehen natürlich radioaktive Spaltprodukte, allerdings mit vergleichsweise kürzeren Halbwertszeiten, wie etwa das Jod 131 (8 Tage), Cäsium 137 (30 Jahre) oder Strontium 90 (30 Jahre).
Spaltung und Kettenreaktion
Kernenergie basiert auf dem Effekt, dass sich die Atomkerne von manchen schwereren Elementen in zwei leichtere Kerne spalten, wenn man sie mit Neutronen beschießt. (Neutronen, das sind der eine Typ von Bausteinen, aus denen Atomkerne bestehen. Der andere Typ sind die Protonen, die im Gegensatz zu den Neutronen eine elektrische Ladung haben.) Bei besagter Spaltung entsteht viel Energie und es entstehen auch ein paar freie Neutronen. Die haben in den bei der Spaltung entstandenen Kernen keinen Platz mehr, weil schwere Kerne im Vergleich zu leichten einen höheren Proporz von Neutronen zu Protonen haben.
Die freien Neutronen kann man jetzt dazu verwenden, um weitere Kerne zu spalten, und so bekommen wir einen Prozess, bei dem die Kerne der Ausgangssubstanz in einer Kettenreaktion in Bruchstücke zerlegt werden. In den verbreiteten Leichtwasser Reaktoren (LWR) ist die Ausgangssubstanz das Uranisotop 235, dessen Kern 92 Protonen und 143 Neutronen hat.
Damit die Spaltung funktioniert dürfen die Neutronen allerdings nicht zu schnell sein, man muss man sie erst abbremsen, „moderieren“, sonst würden sie keine Spaltung auslösen. Dazu lässt man sie von ihrem Entstehungsort im Brennstab ein Stück durchs Wasser laufen, wo sie ihre Geschwindigkeit verlieren, bis sie dann auf einen neuen U235-Kern in einem anderen Brennstab stoßen, den sie spalten.
Nicht optimal
Es ist eine Besonderheit des U235 Kerns, dass er sich nur durch langsame, „thermische“ Neutronen spalten lässt. Viele andere schwere Kerne bevorzugen schnelle Neutronen für die Spaltung. Man bräuchte in so einem Reaktor also die Neutronen gar nicht abzubremsen.
Und noch etwas, die geringe Konzentration des U235 im natürlichen Uran, die im LWR Brennstoff auf 4% angereichert ist, bringt es mit sich, dass da in den Brennstäben 96% des nutzlosen, schweren Uran Isotops U238 vorhanden sind (das hat auch 92 Protonen im Kern, aber 146 Neutronen, daher der Name „Isotop“). Diese Kerne werden ebenfalls mit den thermischen Neutronen bestrahlt, aber statt sich zu spalten fangen sie das Neutron ein und „transmutieren“ in andere Substanzen, die radioaktiv sind und zum Teil fürchterlich lange Halbwertszeiten haben. Sie sind die Bösewichte der Kernenergie, für die man seit Jahren in tiefen Salzstöcken nach einem Endlager sucht, damit sie mit ihrer Strahlung niemanden gefährden können.
Die heutigen Reaktoren, die LWRs, sind also alles andere als optimal. Warum aber beherrschen sie dennoch die Szene? Das hat historische Gründe. Es könnte damit zusammenhängen, dass man zu Zeiten des Kalten Kriegs an einem Stoff interessiert war, der sich bei der erwähnten Transmutation von U238 bildet: Plutonium, der Stoff, aus dem die Bomben sind.
Der schnelle Bruder
So kommt es, dass man mit dem LWR viele und gute Erfahrung gesammelt hat, wohl wissend, dass er suboptimal ist, aber auch wissend, dass der Weg zu einem verbesserten, serienreifen Reaktor sehr weit und sehr teuer ist.
Schon früher hat man Reaktoren gebaut, die andere nukleare Brennstoffe verwenden als U235, und die mit schnellen Neutronen arbeiten. Dabei stellte man fest, dass sie nicht nur zur Erzeugung von Energie nützlich sind, sondern dass man einen Teil der üppig vorhandenen Neutronen auch gezielt zur Transmutation von bestimmten Substanzen verwenden konnte. Man konnte also durch Bestrahlung mit schnellen Neutronen einen gewünschten Stoff ausbrüten. Dieser Typ von Reaktor bekam daher den passenden Namen „Schneller Brüter“.
Wie auch immer, schnelle Reaktoren spielen heute weltweit in der Energieversorgung keine Rolle. Das zu ändern hat sich eine Gruppe furchtloser deutscher Ingenieure und Wissenschaftler vorgenommen, unter ihnen, als Berater, der beliebte Autor der „Achse des Guten“ Manfred Haferburg.
Anfangs in Berlin ansässig, heute in Kanada, arbeitet die Gruppe an einem Konzept, das eines Tages alle Energieprobleme lösen könnte.
Der Dual Fluid Reactor
Wie also könnte so ein schneller Reaktor aussehen? Man arrangiert eine ausreichende Menge spaltbaren Materials so, dass eine Kettenreaktion stattfindet. Die dabei entstehende Hitze transportiert man irgendwie zu einem Kessel, in dem Dampf erzeugt wird, der dann eine Turbine samt Generator antreibt.
Dabei ist der Wirkungsgrad umso besser, je höher die verwendete Temperatur ist, sagen wir so um die 1000°C. Zum Abtransport der Hitze kommt jetzt Wasser, anders als im LWR, nicht mehr in Frage; das wäre ohnehin störend, weil es unsere schnellen Neutronen abbremsen würde. Wir suchen also nach einer Flüssigkeit, die bei 1000 Grad nicht verdampft, und die unsere Neutronen in Ruhe lässt. Haben Sie einen Vorschlag? Wie wär’s mit flüssigem Blei?
Kommen wir jetzt zu unserem spaltbaren Material. Das sind Atomkerne, die schwerer sind als „Actinium“, so genannte Aktinide; unter ihnen auch das häufig erwähnte Thorium, gerne auch Material aus verbrauchten Brennelementen der LWRs. Wenn man hier die richtige chemische Verbindung nimmt, dann schmilzt das Zeug bei 1000 Grad ebenfalls. Es würde also nicht, wie beim LWR, in fester Form in Brennstäbe verpackt sein, sondern man könnte es in kommunizierende Röhren füllen, die in besagtes Bad aus flüssigem Blei getaucht sind. Das hätte auch den Vorteil, dass man während des Betriebs neuen Brennstoff in diese Röhren nachfüttern könnte.
Das also ist das Prinzip unseres Reaktors, der mit zwei Flüssigkeiten arbeitet – Blei und Actiniden – die sich in getrennten Kreisläufen bewegen. Daher der Name Dual Fluid Reactor = „DFR“.
Worauf warten wir noch?
Und noch etwas ist attraktiv an diesem Design: bei den herkömmlichen Druckwasserreaktoren herrscht im Reaktorbehälter ein Überdruck von 150 Atmosphären, im DFR aber herrscht kaum Überdruck. Wir brauchen also keine Stahlgefäße mit 20 cm Wandstärke, was die Konstruktion so einer Anlage wesentlich vereinfacht. Zudem ist der Reaktorbehälter viel kleiner, weil man kein Wasser als Moderator braucht und weil das Blei die Hitze besser transportiert.
Worauf warten wir also noch?
Gut, wenn auch die physikalischen Fragen beim DFR gelöst sein mögen, es gibt da noch ein paar technische Details zu klären. Etwa: wo bekommen wir die Pumpe her, welche die vielen Tonnen von 1000 Grad heißem Blei zwischen dem Reaktorkessel und dem Wärmetauscher in Höchstgeschwindigkeit transportiert? Im Baumarkt gibt’s die nicht, und die vom Kanzler besichtigte Turbine für NS1 ist nicht verfügbar.
Oder was ist mit dem Material für die kommunizierenden Röhren, in denen der Brennstoff fließt? Die hängen im heißen Blei und werden aus nächster Nähe mit einem Trommelfeuer aus Neutronen bombardiert. Das muss die Hölle sein. Welches Material hält das über Jahre aus?
Geduld
Und noch eine kleine Kopfrechnung. Wenn solch eine Anlage 300 Megawatt Elektrizität liefern soll, dann sind dazu rund 1000 MW thermischer Leistung nötig. Die entstehen in einem Reaktorgefäß von – sagen wir mal – 10 Kubikmetern Volumen. Das sind also 100 MW pro Kubikmeter oder 100 Kilowatt pro Liter Volumen. Aber Hallo – da darf nichts schiefgehen mit der Kühlung…
Die Dual Fluid Energy Inc. In Vancouver, die an der Entwicklung des DFR arbeitet, ist sich all dieser Herausforderungen natürlich bewusst und ist daher in ihren Prognosen zurückhaltend: 2034 soll der Reaktor einsatzbreit sein. Frau Katrin Göring-Eckardt, die ihre Bereitschaft demonstriert hat, über Atom zu reden, muss also noch etwas Geduld haben.
Aber wenn es klappt, dann ist es nichts anderes, als der Beginn einer neuen Zeitrechnung in Sachen Energie.
(zwei Begriffsklärungen:
- Ist Energie, die aus dem Atomkern gewonnen wird nun Atomenergie oder Kernenergie? Passender wäre Kernenergie / nuclear energy. Aber da für viele Journalisten die Atome und die Kerne und all das irgendwie dasselbe sind, werden die beiden Begriffe synonym verwendet. Und sogar die Organisation, die sich weltweit um die Kernenergie kümmert, nennt sich International Atomic Energy Agency.
- Die Abkürzung DFR für Dual Fluid Reactor könnte missverständlich sein, denn es gibt da schon seit längerer Zeit den „Dounreay Fast Reactor“ an der Nordostecke Schottlands. Ich war einmal in dieser Anlage und hatte ein recht entspanntes Gespräch mit einem Ingenieur, bis ich ihn fragte, woher das Geräusch in diesem dicken Rohr über meinem Kopf käme. Ach meinte er, nichts Besonderes, das sind ein paar hundert Tonnen flüssiges Natrium von 500 Grad, die da durchfließen.)
Dieser Text erschien zuerst auf think-again.org