Unsere nächste Station, die kleine Stadt Palestrina, war schon eine blühende Gemeinde, bevor Rom gegründet wurde. Sie ist ein lohnendes Ziel für Kultur- und Naturliebhaber. Bereits von weitem sieht man das terrassenförmig angelegte antike Heiligtum der Fortuna Primigenia am steilen Monte Ginestro. Auf dessen oberster Ebene befindet sich heute der Palast Barberini, in dem sich das Nationale Archäologische Museum befindet, wegen dem die meisten Besucher nach Palestrina kommen. Zum Palast führen amphitheaterartige Stufen, von denen man eine atemberaubende Aussicht auf das Land hat. Wenn der Betrachter aber nur oben bleibt, entgeht ihm das großartige Ausmaß der Anlage des Heiligtums. Man muss es von unten sehen. Jahrhundertelang war die Anlage überbaut. Im Mittelalter war sie fast komplett von Wohnhäusern bedeckt und geriet in Vergessenheit. Erst durch von Bombardierungen im 2. Weltkrieg verursachten schweren Schäden kam das Heiligtum unter den Trümmern zum Vorschein. Die Stadt fasste den beherzten Entschluss, Grabungen zu veranlassen und die Fundstücke in einem Museum zu präsentieren, das bereits Mitte der 50er Jahre eröffnet wurde. Es erlangte schnell überregionale Bedeutung. Der Höhepunkt der Schau ist das so genannte Nilmosaik, eine wunderbar feine Arbeit, deren Bilderreichtum erstaunt. Von Äthiopien bis zum Nildelta erstreckt sich die Erzählung, die bis heute nicht ganz entschlüsselt ist.
Aber auch alle anderen Ausstellungsstücke zeugen vom Reichtum, der Eleganz und dem Kunstverstand der vorrömischen Bewohner. Über 120 Adelsfamilien waren in Palestrina beheimatet. Nach der römischen Eroberung durch Sulla wurden 80 von ihnen vollkommen ausgelöscht.
Wer bei Palestrina an den Komponisten gleichen Namens denkt, hat recht. Er nannte sich nach seiner Heimatstadt. Sein Geburtshaus kann man besichtigen. Es beherbergt ein kleines ihm gewidmetes Museum. Zwischen 1895 und 1897 haben Thomas und Heinrich Mann mehrere Monate in Palestrina gelebt. Hier fing Thomas Mann an, die Buddenbrooks zu schreiben. Die Straße, in der er Quartier nahm, ist heute nach ihm benannt.
Weiter geht es nach Tivoli, die Stadt, die als Mutter aller Vergnügungsparks gilt.
Als Erster errichtete Kaiser Hadrian eine ausgedehnte Anlage, die Villa Adriana, als Sommerresidenz. Die können wir leider nicht sehen, denn sie ist wegen Personalmangels nicht zugänglich. Ein Problem, das uns immer wieder begegnet, besonders bei staatlich betriebenen Einrichtungen. Es soll eine prachtvolle Palast- und Gartenanlage u. a. mit künstlichen Seen, Wasserspielen und Theatern sein.
Auch im Mittelalter war Tivoli einer der wichtigsten Orte in der Umgebung von Rom. Mitte des 16. Jahrhunderts erbauter der italienische Maler, Antiquar, Architekt und Gartenarchitekt des Manierismus Pirro Ligorio für Kardinal Ippolito d`Este eine Gartenanlage mit über hundert Wasserspielen, -fällen und Fontänen. Um die zu speisen wurde ein Fluss umgeleitet.
Es ist eine Demonstration von Reichtum und Macht, die fast obszön ist. Dazu passt, dass in einer Sonderausstellung in der Villa Leni Riefenstahl mit Ausschnitten ihres Olympiafilms zu sehen ist. Es geht um den Körperkult, der durch die Jahrhunderte betrieben wurde, eben auch von den Nationalsozialisten.
Natürlich genieße ich die Kühle, die durch das allüberall sprudelnde Wasser erzeugt wird, denn wir haben wieder 30° C und Sonne, aber insgesamt lässt mich das Schauspiel eher kalt. Ich empfinde aber Genugtuung bei dem Gedanken, dass wir heute alle, die der Kardinal als gemeines Volk betrachtet hätte, seine Hinterlassenschaften genießen können.
Am nächsten Tag steht wieder ein Kardinalspalast auf dem Programm. Diesmal ist es der Farnesepalast in Caprarola, wegen seiner fast vollständigen Ausmalung mit Fresken.
Einer der bedeutendsten Paläste der Renaissance und des Manierismus befindet sich am Südostabhang der Monte Cimini, einem dicht bewaldeten vulkanischen Hügel. Ursprünglich ließ Kardinal Alessandro Farnese, der spätere Papst Paul III, ab 1520 von Antonio da Sagnello dem Jüngeren hier eine Festung über einem fünfseitigen Fundament errichten. Die Anlage war so raffiniert, dass sie sogar eine Art Tiefgarage für Kutschen erhielt. Die Bauarbeiten wurden gestoppt, als Alessandro 1534 zum Papst gewählt wurde und erst zehn Jahre nach seinem Tod 1559 wieder aufgenommen.
Auftraggeber und Bauherr war nun sein Enkel, der gleichnamige Kardinal Alessandro Farnese, genannt „il Gran Cardinale“ (der Große Kardinal). Weil sich der Ort auch als Sommerfrische eignete, entschied er sich, die Festung zu einem Residenzpalast umzubauen. Er tat das auch deshalb, weil ihm von seinen Ärzten zu häufigen Aufenthalten in gesunder Luft geraten wurde.
Wer den Palast betritt, dem wird schnell klar, warum Allessandro der Große genannt wurde. Hier ist alles groß: Das Gemäuer, die Säle, die Privaträume, die Malereien. Dem Mann scheint seine Bedeutung zu Kopf gestiegen zu sein, denn er verglich sich selbst mit Herkules, der wiederholt als Motiv in den Fresken auftaucht.
Die oberen Räume werden durch spiralförmige Treppen erreicht, deren wichtigste, die Königstreppe, von atemberaubender Schönheit ist. Der Besucher möchte instinktiv verweilen, um die Pracht zu genießen, wird aber durch ein Schild ermahnt, nicht stehen zu bleiben. Zum Glück gibt es außer uns keine Besucher, so dass wir das Gebot missachten können, ohne einen Touristenstau zu verursachen.
Im Arbeitszimmer umgab sich der Kardinal mit den Abbildern von antiken Philosophen. Die Zeitgenossen, wie Pico della Mirandola scheint er nicht so geschätzt zu haben.
Immerhin wird der Bibliothekar abgebildet, der die Erzählungen für die Fresken geschrieben hat, mit dem dicken Band seiner Niederschriften in der Hand.
In seinem Schlafzimmer feierten die Gemälde die Fleischeslust, auch mit pornografischen Abbildungen.
Die Fresken stellen ein einzigartiges Zeugnis manieristischer Kunst dar. Unter der Leitung der Brüder Taddeo und Federico arbeitete eine ganze Schar von Künstlern daran. Die Basis des Dekors besteht aus Groteskenmalerei, wie sie zu Beginn des 16. Jahrhunderts von Raffael nach antiken Vorbildern neu erfunden worden war. In die Grotesken sind mythologische, allegorische, biblische und historische Szenen eingearbeitet.
Trotz der hohen Kunstfertigkeit fühle ich mich nach einer Stunde wie erschlagen und frage mich, wie man hier leben konnte. Hat man das irgendwann nicht mehr gesehen, oder gewöhnte man sich daran, wie der moderne Mensch an eine grellbunte Tapete?
Ich atmete jedenfalls auf, als ich den Ausgang zum Garten erreichte, der als Landschaftspark angelegt ist. Unter den hohen Pinien ließ es sich gut spazieren. Es ging sanft bergauf, in der Ferne war ein Gartenhaus auszumachen, zu dem eine Wassertreppe führte. Diese Anlage beeindruckte mich mehr als die hunderten der Villa d´Este. Stieg man hinauf und umrundete das Gebäude, öffnete sich ein neuer Raum, bekränzt von schlanken Säulen. Diesen Blick hatte Prince Charles, als er hier als Gast der italienischen Regierung übernachtete. Wir bekamen diese Information just an dem Tag, als aus dem Prinzen nach 70 Jahren Warten endlich ein König wurde.
Der Kardinal Alessandro mag ein schlimmer Finger gewesen sein, aber er hat viel Schönheit hinterlassen, die heute nicht nur seiner Royal Highness, sondern allen zur Verfügung steht.
Das Gegenstück zu den Palästen und ihren Gärten ist der „Heilige Wald“, ein Skulpturenpark, den Vicino Orisini, letzter Feudalherr von Bomarzo, Dissident und Philosoph, in der Mitte des 16. Jahrhunderts in mehr als 30 Jahren anlegen ließ. Er widmete ihn seiner 1564 verstorbenen Frau Giulia Farnese, deren Tod er anscheinend nie verwunden hat. Die Anlage ist einmalig und gibt bis heute Rätsel auf.
Durch einen Obstgarten gelangt der Besucher über einen Bach, der sich durch das Tal des Sacro Bosco schlängelt, in den Heiligen Wald.
Die über 30 Skulpturen und architektonischen Kompositionen aus dem lokal reichlich vorhandenen Peperin-Gestein vulkanischen Ursprungs stehen auf einem etwa 2 km² großen Areal. Neben Monumentalskulpturen, kämpfende Giganten, Frauengestalt auf Schildkröte, Nymphen und Brunnen, gibt es ein kleines Theater im griechischen Stil, ein schiefes Haus und eine von griechischen Vasen umgebene Terrasse, um die sich weitere Monumentalplastiken gruppieren: Neptun, ein Delfin, eine schlafende Frau, ein Drache, Ceres und ein Elefant.
Was diese Figuren bedeuten, was Orsini seinen Besuchern damit sagen will, darüber streiten sich die Gelehrten bis heute. Mir fiel auf, dass die Säulen, die ich vor wenigen Stunden im Park des Farnesepalastes gesehen hatte, hier auch stehen und wie eine Karikatur der Originale wirken. Will sich Orsini über seine prunksüchtigen Zeitgenossen lustig machen, ihnen den Spiegel vorhalten. Und was bedeuten die verschobenen Perspektiven des schiefen Hauses?
Schaurig wird es beim Rachen de Orcus durch den man in eine finstere Kammer steigen kann, in der ich sofort Platzangst bekomme. Wieder draußen quert man eine Freifläche mit einer monumentalen griechischen Vase in der Mitte; vorbei an einer so genannten „etruskischen Sitzbank“ und gelangt zu einer weiteren Terrasse begrenzt von steinernen Pinienzapfen und Eicheln. Auch diese Terrasse ist mit Skulpturen umgeben, dem mehrköpfigen Höllenhund Cerberus, zwei Furien, zwei Bären mit dem Familienwappen der Orsini, Löwen und Sirenen.
Nach dem Tod von Orsini kümmerte sich Niemand um die Anlage, sie wuchs zu. Aber ihr Ruf blieb offenbar lebendig, denn Goethe war hier und kämpfte sich durch das Dickicht zu den Figuren durch. Wenn er Tiefgründiges dazu geäußert haben sollte, ist mir das wenigstens nicht bekannt.
Mitte des 20. Jahrhunderts wurden die verwitterten und völlig zugewachsenen Skulpturen wiederentdeckt. Salvador Dali war 1938 einer der ersten prominenten Besucher des Parks. Er scheint ihn inspiriert zu haben, denn einige seiner Motive verarbeitete er offensichtlich in seinem Gemälde Die Versuchung des Heiligen Antonius von 1946. Im Jahr 1954 erwarben Giancarlo Bettini († 30. Juli 1997) und seine Frau Tina Severi Bettini († 28. Juli 1987) das komplette Areal und kümmerten sich um eine flächendeckende Instandsetzung. Danach wurden Historiker und Kunsthistoriker auf die Anlage aufmerksam. Es erschien eine Reihe von Veröffentlichungen, die das Interesse des Publikums weckten. Heute ist der Park ein beliebtes Ausflugziel und ein Wirtschaftsfaktor der kleinen Gemeinde.
Die fröhlichen Ausflügler, konnte ich beobachten, machten sich wenig Gedanken um mögliche Interpretationen und philosophische Hintergründe. Für sie scheinen die Skulpturen eine Art Disneyland zu sein, geschaffen zum reinen Vergnügen. Selbst wenn das nicht Orsinis Absicht gewesen sein sollte, ist der Zweck seiner Schöpfung nicht verfehlt.