Ein Wort-Gespenst geht um in Deutschland: „Staatsdelegitimierung“

Veröffentlicht am

Von Gastautor Steffen Meltzer

„Rechte“ und „Staatsdelegitimierer“ werden im Herbst auf die Straße gehen, warnte heute erneut eine „herausgehobene Person“ in den Leitmedien. Solche und ähnliche Meldungen lese ich inzwischen fast täglich. Ich habe jedoch noch nicht richtig verstanden, was eine “Staatsdelegitimierung” konkret sein soll und welche objektiven und subjektiven Tatbestände dabei erfüllt sein müssen. Sind damit Menschen gemeint, die an den von der Politik verursachten Energieproblemen sachliche Kritik üben und auf der Straße dagegen demonstrieren? Wird der im Zuge der „Böhmermann-Affäre“ abgeschaffte § 102 StGB („Majestätsbeleidigung“) wieder durch die Hintertür reaktiviert? Ist es zukünftig nicht mehr erlaubt, Politiker zu kritisieren? Handelt es sich vielleicht um eine neue Verfolgungsschwelle, die unterhalb der bisherigen Strafbarkeitsgrenze angesiedelt ist? Werden auch dafür Meldestellen geschaffen, ähnlich dieser? Gilt diese Delegitimierungsgefahr nur gegenüber Nicht-Linken oder beispielsweise auch für die Klebe-Blockierer der „Letzte(n) Generation“, die regelmäßig den Staat und deren Bürger zu erpressen versuchen? Ich las von deren Aktivitäten bisher in keinem Verfassungsschutzbericht.

Wird diese neue Feldpostnummer in Bayern genauso wie in Hamburg gleich gehandhabt oder hängt das von einzelnen Politikern und Behördenleitern, je nach Parteizugehörigkeit, ab?

Nun ja, Delegitimierungen haben auch einzelne Vertreter des Staates den Bürgern ausführlich und jahrelang vorexerziert. Ich denke dabei an die gefallenen Begrifflichkeiten wie „Pack“, und „Mischpoke“. Wenn man sich den Bundestag anschaut, wird man schnell feststellen: Dort wimmelt es von gegenseitigen „Delegitimierungen“ der Person, der Kompetenz und des staatstragenden Amtes. Anbei die entsprechende Beliebtheitsskala der gegenseitigen Beschimpfungen:

  • „Idiot“ (114 x),
  • „Dummkopf“ (64 x),
  • außerdem „Bastard“, „Arsch“, „Arschlöcher“ bzw. „Arschloch“ und „Drecksau“
  • einer gewissen Beliebtheit stellten auch die Bezeichnungen „Hurensohn“ ebenso wie „Dreckschwein“ oder „Dreckschweine“ dar.
  • Eine kleine Erinnerung an die, die so vergesslich sind.

In der Folge möchte ich auf einige Einzelbeispiele unserer delegitimierenden „Vorbilder“ eingehen:

„Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!” geziemte sich Joschka Fischer 1984 an die Adresse des Bundestagsvizepräsidenten zu richten. Wie wir alle wissen, wurde der Mann ohne Berufsabschluss später mit einem Ministerposten in der Bundesregierung belohnt. Nach seiner Politikerlaufbahn  hat sich der Spezialist für Beleidigungen, Faustschläge und Steinwürfe seine karge Pension durch eine Lobbyarbeit und hochbezahlte Vorträge aufgebessert und tut dies noch immer.

Andere legten noch einen Schwung an Beleidigungen oben drauf: Die Linken-Abgeordnete im Thüringer Landtag, Sabine Berninger, ließ 2016 dem erstaunten Leser in einem Facebook-Eintrag über einen AfD-Abgeordneten wissen: „Nein, ich darf einem solchen Wichser nicht aufs Maul hauen.” Offensichtlich die Ouvertüre zum späteren Erfurter Blumenwurf direkt vor die Füße eines frisch gewählten Ministerpräsidenten. Die patzige Blumenwerferin, Susanne Henning-Wellsow, bis dahin Vorsitzende der regierenden Linksfraktion, scheiterte später als Co-Chefin der Bundespartei in geradezu kläglicher Art und Weise.

Es fehlt auch nicht an gut gemeinten Ratschlägen gegenüber dem gemeinen Bürger, der sich frecherweise erlaubt, hochgestellte Persönlichkeiten anzusprechen. So als sich anno 2006 der damalige SPD-Chef Kurt Beck (SPD) auf einem Weihnachtsmarkt unters Volk mischte. Von einen Arbeitslosen, der kritisch auf seine Situation aufmerksam machte, war der Politiker nicht verlegen und wartete mit folgenden Ratschlag auf: “Wenn Sie sich waschen und rasieren, haben Sie in drei Wochen einen Job”. Die delegitimierende (?) Antwort des Gescholtenen: „Ich wasche und rasiere mich und komme dann bei Ihnen in der Staatskanzlei vorbei.” Zur sofortigen Einstellung in den höheren Dienst kann es im Gegensatz zu Joschka Fischer nicht gekommen sein. Immerhin konnte der unrasierte Arbeitslose als Kameramann bei einem Lokalsender anheuern. Das änderte allerdings nichts an seinem Urteil über Kurt Beck: ein arroganter Kerl.

“Ab morgen kriegen sie in die Fresse” so der kernige Spruch von Andrea Nahles bei ihrer ersten „Amtshandlung“ als SPD-Fraktionsvorsitzende. Später bekam sie selbst verbal eins auf ihre Kodderschnauze und trat als gescheiterte SPD-Vorsitzende kleinlaut zurück. Inzwischen erfreut sie sich in der sehr gut bezahlten Funktion der Vorstandsvorsitzenden in der Bundesagentur für Arbeit.  Große Klappe kann sich lohnen, wenn man kein „normaler“ Bürger ist. Dann soll es heißen: „Klappe halten!“

“Wir sind hier in Deutschland, ich rede grad, bitte Maul halten, danke.” Jedem anderen Politiker hätte man diesen „nationalistischen“ strammen Kasernenhofton eines Feldwebels übel genommen. Nicht so dem grünen Bundesminister Cem Özdemir, der sich bei einem Interview gestört fühlte. Empörte Demonstrationen, brennende Kerzen und gemeinsames Singen des Kirchenchores auf dem Marktplatz fielen deshalb aus. Merke, es kommt nicht darauf an, was gesagt wird, sondern wer es sagt.

Zur nächste delegitmierenden Entgleisung: Auch in der christlich-sozialen Union geht es nicht immer wie bei vornehmen Leuten oder Pfarrerskindern zu. Kanzleramtschef und  Merkel-Vertrauten Ronald Pofalla brüllte Wolfgang Bosbach an: “Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen! Du machst mit deiner Scheiße alle Leute verrückt!” Ach ja, es ist allgemein bekannt, dass Verrückte immer von sich glauben, die anderen wären alle verrückt. „Als Bosbach daraufhin in freundlichem Ton auf die in der Verfassung verankerte Gewissensfreiheit der Abgeordneten verwies, erwiderte Pofalla: ‚Ich kann den Scheiß nicht mehr hören‘.“

Wo kommen wir auch hin, wenn Abgeordnete nach ihrer Gewissensfreiheit abstimmen?! Diese ist –unverzüglich- zu delegitimieren.

Martin Lindner, FDP-Bundestagsabgeordneter hatte es auch nicht immer leicht: Der Linke Jan van Aken delegitimierte sein Mandat mit den Worten: “Jedes Mal, wenn hier eine Frau redet, dann macht dieser Macho arrogante Zwischenrufe und krault sich seine Eier.” Der selbsternannte Frauenbeschützer entschuldigte sich zwar kurze Zeit später, das hinderte jedoch Barbara Hendricks (SPD) nicht daran, die sexistische Eskalationsspirale kräftig anzukurbeln: “Er ist der berühmteste Eierkrauler dieses Parlaments”. Die schlagkräftige Dame, auch genannt „Burning Barbara“, soll in der Kantine der nordrhein-westfälischen Landesvertretung, bei einer Diskussion ihre Zigarette auf dem Handrücken des CDU-Politikers Hartmut Schauerte ausgedrückt haben. Die Sozialdemokratin war von 2013 bis 2017 Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Als Ministerin für Reaktionssicherheit, Deeskalation und Zigarettenkonsum hätte sie mutmaßlich ein staatstragendes Risiko dargestellt.

Auch coronaungeimpfte Bürger und Steuerzahler darf man frei von der Fettleber weg ungestraft delegitimieren: „Covidioten“, „Todesengel“ und „Sozialschmarotzer“ sind nur einige ausgesuchte Beispiele aus dem Riesenfundus der Ausgrenzungsversuche aus dem Gemeinwesen. Aber auch hier kommt es bei der öffentlichen Bewertung darauf an wer der Absender und wer der Adressat ist. Die Delegitimierer sind dabei die „Guten“ und die anderen das Gegenteil.

Alles in allem finde ich die gefallenen Schmähungen, Beleidigungen und gegenseitigen Delegitimierungen zwar sehr unschön, aber keineswegs lebensgefährlich. Allerdings könnten sie bei woken Zeitgenossen ernsthafte Verstörungen und Traumatisierungen auslösen.

Die „Luxusprobleme“ vieler Menschen sind andere. Es geht nicht um das „diskriminierende“ Dauerbeleidigtsein als Geschäftsmodelle, oder das politische Postengeschacher, um narzisstische Eitelkeiten oder eine wohlgesonnene Presse. Sondern: Wie können die kommenden Heizkosten gestemmt werden, reicht das Essen bis Monatsende, ist der Sprit für den Weg zur Arbeit bezahlbar, werden die Strompreise und die Inflation das mühsam Ersparte auffressen? Hunger macht böse. Der raue Ton der Straße entsprach noch nie der „intellektuellen feinen Klinge von Schöngeistern“, der vieler Politiker aber auch nicht.

Was man sich selbst zubilligt, muss man erst recht den Protestler und verarmten Menschen zugestehen, die um ein menschliches Dasein ihrer Kinder und Familien kämpfen. Die ständig offene und latente Drohung einer schwammigen „Staatsdelegitimierung“ wird deshalb das Ziel verfehlen, die kommenden Proteste einzudämmen.  Im Gegenteil, es spielt den extremen Kräften in die Hände, die man (eigentlich) vorgibt zu bekämpfen.

Steffen Meltzer ist Autor von  Ratgeber Gefahrenabwehr – So schützen Sie sich vor Kriminalität – Ein Polizeitrainer klärt auf.



Unabhängiger Journalismus ist zeitaufwendig

Dieser Blog ist ein Ein-Frau-Unternehmen. Wenn Sie meine Arbeit unterstützen wollen, nutzen Sie dazu meine Kontoverbindung oder PayPal:
Vera Lengsfeld
IBAN: DE55 3101 0833 3114 0722 20
Bic: SCFBDE33XXX

oder per PayPal:
Vera Lengsfeld unterstützen