Der Kanzler mit den selektiven Gedächtnislücken

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Von Gastautorin Annette Heinisch

Selektive Demenz ist eine Krankheit, unter der besonders häufig Politiker leiden. Sie wissen plötzlich nichts mehr, das aber ganz genau. Das ist schwierig durchzuhalten, selbst dann, wenn man der Kanzler ist. Aber eines nach dem anderen.

Bei der erneuten Anhörung vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft bleibt Scholz seiner Strategie treu: Er wisse von nichts, habe aber definitiv niemanden und nichts beeinflusst, auch nicht beim Steuerverfahren Warburg, denn das tue er nie.

Zu Anfang der Befragung muss er Namen, Beruf, Wohnort und Alter angeben. Dabei die erste Überraschung, als Beruf gibt er Rechtsanwalt an – manche hielten ihn für den Kanzler, aber vielleicht hat er das vergessen. Man weiß es nicht.

Anschließend verliest er eine Art Verteidigungsschrift, die beweist, dass er seinen Beruf beherrscht. Er zitiert aus Presseartikeln, danach ist klar: Man könne ihm nichts nachweisen. Vorsorglich betont er ausdrücklich, dass er die Cum-Ex – Geschäfte für absolut illegal hält, Steuerstraftaten nicht für Kavaliersdelikte und überhaupt ein hartnäckiger Kämpfer für Steuergerechtigkeit sei. Er betont, dass letztlich dem Staat kein Schaden entstanden sei, weil die Warburg Bank später die zu Unrecht erstattete Steuer zurückgezahlt habe und auch keine Verjährung eingetreten sei. Es sei völlig in Ordnung gewesen, die Rückforderung nicht geltend zu machen, weil man sie nach einer strafrechtlichen Verurteilung auf dieser Grundlage hätte geltend machen können.

Er habe mit vielen Vertretern der Stadtgesellschaft geredet, sozusagen ein offenes Haus gehabt, es sei gut, dass die Leute nicht gewusst hätten, wie leicht man einen Termin bei ihm hätte bekommen können. Aufgrund der Menge an Gesprächen könne er sich an Einzelheiten nicht erinnern. Allerdings sei sein Parteifreund Alfons Pawelczyk ein langjähriger Weggefährte gewesen, auch an Johannes Kahrs kann er sich erinnern. An mehr aber nicht, das meiste erfährt er offenbar aus der Presse.

Auf Vorhalt, der Anwalt von Olearius (Mitgesellschafter Warburg Bank) habe ausgesagt, man besuche den Bürgermeister nicht, weil man ihn mal wieder sehen wolle, bleibt Scholz bei seiner Strategie. Er wisse von nichts, habe aber sicher keinen politischen Einfluss ausgeübt.

Ein langes, sogar auffällig langes Zögern gibt es auf die Frage, ob er in seiner Zeit als Bundesfinanzminister über den Steuervorgang Warburg Bank informiert worden sei. Hier räumt er nur ein, vor der Befragung im Bundestag informiert worden zu sein. Das ist keine Antwort auf die Frage, es wird aber nicht nachgehakt. Offen ist, ob diese Erinnerung mit denen der Beamten übereinstimmt, die damit befasst waren.

Der Obmann der „Linken“, Norbert Hackbusch, führt aus, dass er den Vortrag von Scholz, wonach der Untersuchungsausschuss zu beenden sei, für anmaßend hält. Dies zu beurteilen sei nicht dessen Sache. Dass das Gedächtnis des Kanzlers eigentlich hervorragend funktioniert, zeigt dann seine Reaktion auf kritische Fragen von Hackbusch, dem er dessen frühere Reden in der Bürgerschaft vorhält. Auch als Scholz Ansichten des früheren Finanzsenators Peiner über das übliche Prozedere in der Finanzverwaltung vorgehalten werden, zieht er mit den Worten, „ich will ja nicht gehässig sein, aber…“ über diesen her und beweist dabei ein fulminantes Gedächtnis. Dass er damit die Glaubhaftigkeit seiner Ausführungen endgültig zu Grabe getragen hatte, ging ihm erkennbar erst eine Sekunde zu spät auf.

Ein weiteres Mal hätte der Ausschuss nachhaken können: Scholz wird vorgehalten, dass er in acht Wochen zwei Treffen mit den Warburg Gesellschaftern gehabt hätte, den Mitgesellschafter Olearius von sich aus angerufen und diesem gesagt habe, dass dieser ein vorbereitetes Schreiben direkt an den Finanzsenator geben solle. Dies hat Olearius dann gemacht, seine Assistentin hat das Schreiben persönlich dem Finanzsenator überbracht. Scholz war also durchaus intensiv mit der Sache befasst. Vor diesem Hintergrund diverser Aktivitäten wurde er gefragt: „Was haben Sie getan, dass Hamburg die 47 Millionen bekommt?“. Antwort Scholz: Jedenfalls keinen Einfluss genommen.

Hier wurde es einen Moment kritisch, denn Scholz wurde gefragt, wozu denn der Finanzsenator eingeschaltet werden solle, wenn es doch keinen politischen Einfluss gäbe? Scholz gab die in der Sache völlig zutreffende Antwort, dass ein Senator als Behördenleiter dafür Sorge tragen müsse, dass fachlich richtige Entscheidungen getroffen werden.

Mit diesem Satz hat er den derzeitigen Bürgermeister Peter Tschentscher in die Schusslinie gebracht. Bei der Nachfrage, ob es richtig sei, dass Beamte auch ohne ausdrückliche Weisung wüssten, was von ihnen verlangt würde, wenn „von oben“ eine solche Befassung mit der Sache erfolge, verweigerte Scholz die Aussage. „Ich will nicht“, sagte er.

Thematisiert wurde am Rande, ob das nicht eine wichtige Sache gewesen sei, die der Senat hätte „an sich ziehen müssen“ oder ob durch das Aktivwerden von Scholz eine solche Befassung nicht schon vorlag. All das führte jedoch zu nichts, denn Scholz kann sich nicht erinnern, weiß nur noch, dass er bestimmt nichts Falsches getan hat. Er weiß nicht, was seine Parteifreunde gemacht haben oder er mit ihnen besprochen hat. Dass Kahrs und Pawelczyk eingeschaltet wurden, um den Weg zu ihm zu ebnen – er weiß es nicht. Dass tatsächlich genau das Ergebnis erzielt wurde, welches sich die Warburg Gesellschafter erhofften, nachdem sie ihn eingeschaltet hatten – Zufall, an ihm lag es jedenfalls nicht. Ansonsten weiß er es einfach nicht. Pech!

Fazit:

Die Bundesrepublik Deutschland hat einen Kanzler, der an einem schweren Fall selektiver Demenz leidet. Es drängt sich die Frage auf, ob ein Mann, der so große Gedächtnislücken hat, gesundheitlich in der Lage ist, Staatsgeschäfte zu führen. Wer mehrfach Banker zu sich in die Amtsräume zum Gespräch lädt, gegen die ein Steuerstrafverfahren läuft, sich mit ihnen über eine Rückforderung in Höhe von € 47 Millionen unterhält und sich dann daran nicht erinnert, ist ungeeignet für einen hohes Amts. Es dann als ein Gespräch unter vielen darzustellen, ist lächerlich. Es war kein Gespräch über den Gewinner des nächsten Derbys, sondern mit Verfahrensbeteiligten in einem Straf – und einem laufenden Steuerverfahren. Daher hätte er zudem einen Aktenvermerk fertigen müssen.

Ferner hätte bei der Bedeutung der Sache der Senat eingeschaltet werden müssen, zumindest als Bericht, eventuell auch zur Entscheidung.

Das eigentliche Problem liegt in der Formulierung des Untersuchungsgegenstands des Ausschusses:

“Die Bürgerschaft setzt gemäß Artikel 26 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) mit dem Auftrag ein, umfassend aufzuklären, warum der Hamburger Senat, die Finanzbehörde und die Steuerverwaltung bereit waren, Steueransprüche in Millionenhöhe mit Blick auf sogenannte Cum-Ex-Geschäfte verjähren zu lassen, während in anderen Bundesländern entsprechende Steueransprüche durchgesetzt wurden, und inwieweit Personen, insbesondere Senatsmitglieder und Mandatsträger, direkt oder indirekt Einfluss auf die Steuerverwaltung in Hamburg genommen haben.”

Die Senatoren nehmen Einfluss auf ihre Behörde, das ist ihre Aufgabe, dafür werden sie bezahlt. Sie sind zwar einerseits als Politiker dorthin gekommen, sind aber andererseits – worauf der Kanzler richtig hinwies – als Behördenleitung verpflichtet, völlig unabhängig von ihrer politischen Einstellung für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns zu sorgen. Sie müssen dabei schon den Anschein der Parteilichkeit vermeiden. Nicht die Einflussnahme ist also das Problem, sondern die Obskurität des Handelns. Es ist pflichtwidrig nicht zu versuchen, derartige Forderung hereinzuholen. Die Frage, was Scholz gemacht hat, um die € 47 Millionen wiederzubekommen, ist die richtige. Nicht die Einflussnahmen ist das Problem, sondern die Pflichtwidrigkeit des Handelns. Und hier ist es genau umgekehrt: Scholz und Tschentscher müssten darlegen, dass sie ordnungsgemäß gehandelt haben. Nichtwissen reicht dann nicht.



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