Von Gastautor Sven Lingreen
Ist es politische Unterbegabung oder absichtliche Verwirrungstaktik, daß wir neben dem Europaparlament und der Europäischen Kommission noch dreimal die Kombination aus Europa und Rat haben?
- Europarat
- Rat der Europäischen Union oder Rat oder EU-Ministerrat
- Europäischer Rat
EU-Ministerrat, Europäischer Rat und Europarat – was ist der Unterschied? (t-online.de)
Wer nämlich wissen möchte, wer den russischen Sender RT verboten hat, um zu erfahren, ob dieser Personenkreis dieses Verbot überhaupt europaweit aussprechen durfte, kann sich nicht auf die deutschen Leid-Medien, sorry vertippt, Leitmedien verlassen. Denn da berichtet man quasi unisono, daß die „EU“ oder „Brüssel“ RT verboten hätte und alle Plattformen ob Kabelanbieter oder Internetprovider müssen sich national sofort daran halten. Anstatt den Bürger über Gesetzgebungsstrukturen in Europa aufzuklären, lässt man die üblichen Verdächtigen quer durch die Ampel-Parteien zu Wort kommen, die das Verbot als alternativlos begrüßen.
RT wurde vom Rat der Europäischen Union verboten. Vorsitz in diesem ersten Halbjahr 2022 hat Frankreich inne. Der Vorsitzende ist also gerade Jean-Yves Le Drian, der amtierende Außenminister Frankreichs. In seinem Wikipedia-Eintrag findet sich dazu nichts. Allerdings kann man dort lesen, daß er als Verteidigungsminister Syrien bombardieren ließ… Die Exekutive der EU-Länder stellt also die Mitglieder eines Rates, der für Europa zur Legislative werden kann, indem er z.B. RT verbietet? Die Leitmedien verzichten gerade auf solche die Menschen verwirrenden Details zur Frage nach der Gewaltenteilung in Demokratien.
Der Rat der Europäischen Union hat jetzt also den Beschluss 2022/351 (kein Gesetz) gefasst, das RT-Verbot als Artikel 4g an den Beschluss 2014/512 aus 2014, der nach der Krim-Krise gefasst wurde, einfach „anzuhängen“. Der Beschluss im Jahr 2014 wurde allerdings gefasst, um Ausrüstungen, Geldmittel, Technologien usw. nicht nach Russland liefern oder zumindest kontrollieren zu können, damit diese nicht zur Destabilisierung der Ukraine verwenden könnten. Interessant, daß man einen Beschluss, der direkt und positiv auf die Ukraine wirken soll, jetzt so erweitert, daß er bestimmte Informationen für alle Europäer verhindern soll. Es entwickelt sich eine völlig veränderte Wirkrichtung weg von der Ukraine hin zur betreuten Meinungsbildung in der ganzen EU.
Ist es Propaganda, wenn unsere Leitmedien fast rührselig über eine ukrainische Braut im Tarnanzug berichten, die ihren ukrainischen Soldaten heiratet und zufällig die Klitschko-Brüder vorbeikommen und gratulieren? Ist es Propaganda, wenn im Internet Videos kursieren, die auf ein Denkmal für die getöteten Kinder der Ukraine seit 2014 hinweist und fragt, wo Europa in all den Jahren war? Oder sind es nur die Seiten einer Medaille, über die man sich selbst eine Meinung bilden sollte? Es gibt keine Einheitsmeinung in Demokratien, sonst wären wir alle am Wahltag der Meinung, nur die eine Einheitspartei zu wählen…
Wie aber wird aus diesem Beschluss eines EU-Organs ein in Deutschland (und jeweils den anderen EU-Staaten) umsetzbares Recht? Wie will man Kabelnetzbetreiber, Internetanbieter und Sender zwingen, RT abzuschalten, wenn man keine Strafe nach nationalem Recht androhen kann? Wie funktioniert dieser Mechanismus, daß schlagartig alle Betreiber unisono RT das Licht ausgeknipst haben, obwohl vermutlich noch gar kein rechtliches, straf- und vor allem geldbewehrtes Zwangsmittel vorliegt?
Gleichzeitig bemüht sich die Medienanstalt Berlin Brandenburg, RT Deutschland eine Strafe von 25.000 EUR aufzubrummen, weil die „ohne Sendelizenz“ weiter Inhalte verbreiten. Der Tagesspiegel u.a. berichteten. Warum dieser Umweg, wo doch das „Verbot durch die EU aus Brüssel“ sofort umgesetzt werden könnte? Oder erfolgt das doch nur vorauseilend durch die Diensteanbieter?
Über diese Zusammenhänge im europäischen Recht sollten Medien, die zwangsweise von der gesamten Bevölkerung finanziert werden, auch informieren müssen, um genau diese grundlegenden Informationen unabhängig liefern zu können. Stattdessen die tägliche Ausbringung von Trivial-Themen-Nebel, um Relevantes darin untergehen zu lassen oder das aus der Corona-Hysterie adaptiere Angsterzeugungs-Management, jetzt mit Bildern aus der Ukraine, die manchmal aber auch schon aus 2014 oder Syrien stammen.
Auch Plattformen wie Gettr.com unterwerfen sich zügig der Forderung nach RT-Abschaltung, weil es gesetzlich so vorgeschrieben wäre. Eigentlich wollten sie zensurfrei sein, aber die europäische Gesetzgebung ist offenbar so verworren, daß es hoch spezialisierte Anwälte bräuchte, das zu durchsteigen. Das Risiko vermeiden zu wollen, ist zwar verständlich, aber auch bitter im Abgang.
Erinnert sei da auch an Jean-Claude Juncker, der einst sagte: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter.“ Da rutschte dem Sommelier des Elfenbeinturms mal die Wahrheit heraus.
Wir sollten uns wieder bewusster werden, wer uns regiert und wir sollten wieder klarer wählen, wer uns regieren darf. Dazu brauchen wir aber Informationen, um uns selbst ein Bild zu machen. Ein Pendel schwingt nach beiden Seiten. Um den Pendelschlag ganz zu verstehen, muß man dessen ganze Bewegung sehen.
Die europäischen Völker wählen ein Europaparlament. Nur das sollte über so weitreichende Entscheidungen wie die Einschränkung der Pressefreiheit für die ganze EU entscheiden dürfen. Um Europa zu stärken, brauchen wir die Abschaffung von Konstruktionen und Räten, die sich wie in einem Haus mit An- und Umbauten im Laufe der Zeit angesammelt haben. Dazu reicht ein Frühjahrsputz nicht mehr aus. Manchmal bedarf es einer Kernsanierung. Und das Fundament dazu kann nur der Wille für einen dauerhaften Frieden in ganz Europa und unser Verständnis für die Bedürfnisse aller Partner sein. Darüber müssen aber die Bürger als Wähler entscheiden, nicht Eliten in Elfenbeintürmen.
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Der Vorsitz im Rat der EU – Consilium (europa.eu)