Von Gastautor Ramin Peymani
Das Ergebnis ist keineswegs überraschend. Und doch geben sich Politik und Medien geschockt. Es ist ein niederschmetternder Befund für eine politische Kaste, die sich und der Bevölkerung jeden Tag vorlügt, die Demokratie zu stärken. Die Verantwortlichen für die Stimmungslage müssen sich in einer repräsentativen Umfrage des INSA-Institus gefallen lassen, dass knapp ein Viertel aller Deutschen Zweifel am Zustand der Demokratie hegt. „Fast jeder Vierte sieht Land auf dem Weg in die Diktatur“ titelte die WELT AM SONNTAG gar zunächst, milderte ihre Headline aber später ab. Ausgeprägt ist dieses Gefühl mit 30% der Befragten vor allem bei denen, die eine solche vielfach noch selbst erlebt haben und eigentlich glaubten, nie wieder in einem totalitären Staat leben zu müssen. Aber auch in den westlichen Bundesländern schließen sich rund 20% der Bürger an. Die Ursache liegt auf der Hand: Eine immer repressiver gegen Andersdenkende vorgehende Berufspolitik hat sich die gesetzlichen Werkzeuge gesichert, um ohne störende Parlamente Bürgerrechte dauerhaft einschränken zu können. Niemand weit und breit, der ernsthaft an einer Korrektur interessiert und zugleich in der Lage wäre, diese durchzusetzen. Allein die Debatte darüber ist verpönt. Wer wagt, den Parteienstaat und dessen Mächtige herauszufordern, gilt als Umstürzler, der bestenfalls darauf hoffen darf, aus dem Diskurs ausgeschlossen zu werden, im schlimmsten Fall jedoch gesellschaftlich „vernichtet“ wird. Passend dazu zeigt eine YouGov-Umfrage, dass fast die Hälfte der Deutschen der Ansicht sind, ihre Meinung nicht mehr frei äußern zu können, wollen sie keine negativen Konsequenzen riskieren. Dies dürfte einer der Gründe sein, warum 15% der Bürger ernsthaft übers Auswandern nachdenken.
Würde man die Zitate der Verantwortlichen ohne Nennung der Namen abdrucken, gäbe es wohl keinerlei Zweifel, dass sie in einer Diktatur gefallen sein müssen
Die polit-medialen Wahrheitsverfälscher bemühen sich nach Kräften, das mit Händen zu greifende Unbehagen kleinzureden und zu betonen, es handele sich ja bloß um eine Minderheit Unbelehrbarer. Dass diese Minderheit gar nicht so klein ist und womöglich aufgeklärter und demokratiefester als viele andere, die sich zur Mehrheit zählen dürfen, lässt sich allerdings immer schwerer leugnen. Die staatlichen Organe haben deshalb ihre Rhetorik verschärft. Regierungskritiker werden inzwischen als Staatsfeinde gebrandmarkt. Wer Zweifel an der Richtigkeit politischer Entscheidungen hat und dafür auf die Straße geht, dem attestiert der Bundespräsident eine „Verachtung für staatliche Institutionen“. Würde man derlei Zitate ohne Nennung der Namen abdrucken, gäbe es für die allermeisten Betrachter wohl keinerlei Zweifel, dass sie tatsächlich in einer Diktatur gefallen sein müssen. Es ist immer die Sprache, derer sich Totalitäre zuerst bemächtigen. Mit der Umdeutung von Begriffen fängt es an, mit der Einteilung der Menschen in Gute und Böse und mit der Ausgrenzung jener Bevölkerungsgruppen, die sich dem verordneten Kurs in den Weg stellen. Doch bei verbalen Attacken bleibt es nicht, wie uns gerade die jüngere deutsche Geschichte gelehrt hat. Bald sind es Maßnahmen, die darauf abzielen, die Betroffenen in ihrer Existenz zu bedrohen, sie einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Das funktioniert auf vielen Wegen. Zuhause abgeholt und nach Hohenschönhausen gebracht wird heute niemand mehr. Es genügt, ihn über irrwitzige, immer neue Regeln von der gesellschaftlichen Teilhabe und in letzter Konsequenz von der Möglichkeit zur beruflichen Betätigung auszuschließen. Diese Stufe ist in Deutschland inzwischen erreicht.
Die deutsche Politik verhindert mit immer rigideren Eingriffen in den Alltag, dass Menschen mobil sind und sich eine gewisse Unabhängigkeit erarbeiten können
Dass sich mindestens jeder Siebte mit dem Auswandern beschäftigt, kann die Herrschenden jedoch nicht kalt lassen. Es gehen immer zuerst jene, die gut ausgebildet sind und einen überproportionalen Beitrag zum Steueraufkommen leisten. Aber auch viele Rentner zieht es zunehmend ins Ausland. Von den Steuern auf ihre Lebenshaltungskosten und Konsumausgaben hat der Fiskus dann nichts mehr. Fast 1,3 Millionen deutsche Staatsbürger haben dem Land seit 2016 den Rücken gekehrt. Seit 2006 ist der Wanderungssaldo aus Zu- und Fortzügen Deutscher ununterbrochen negativ. In der Summe beträgt er allein für die vergangenen sechs Jahre fast 400.000 Menschen. All das sind Zahlen, die zeigen, wie groß der Drang derer ist, die es sich leisten können, Ihre Zukunft in Ländern zu suchen, in denen ganz sicher nicht alles besser und das Leben mitunter gar teurer ist, in denen aber das Gefühl, die über Generationen verteidigten Grundrechte noch zu besitzen, die Nachteile des Verlassens der Heimat und der Distanz zu Freunden und Familie aufwiegt. Derweil bleibt der deutschen Politik nicht viel mehr übrig, als mit immer rigideren Eingriffen in den Alltag zu verhindern, dass Menschen mobil sind und sich eine gewisse Unabhängigkeit erarbeiten können. Corona kam den Herrschenden dabei wie gerufen, und sie haben es, so viel Ehrlichkeit muss sein, ja auch erst zu dem gemacht, was es für sie sein sollte. Wer spricht noch von Niederlassungsfreiheit und Freizügigkeit, den beiden angeblichen Hauptsegnungen der Europäischen Union, die deren Verfechter so viele Jahre lang in Sonntagsreden wie ein Mantra vor sich her getragen hatten? Deutschland bewegt sich immer weiter in die Isolation. Die Vorstellung, dass Bürger wieder am freiwilligen Verlassen des Landes gehindert werden, scheint heute weniger absurd denn je.
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