Seit ich Luchino Viscontis geniale Verfilmung der Novelle von Thomas Mann zum ersten Mal gesehen habe, ist sie mein absoluter Lieblingsfilm. Er kam Mitte der 70er Jahre auch in die Kinos der DDR und ich habe ihn wohl ein Dutzend Mal gesehen. Einmal wurden in der Thüringischen Provinz die Filmrollen verwechselt, der Schluss des Filmes wurde in der Mitte gezeigt und die Mitte am Schluss. Wenn die Zuschauer das bemerkt haben sollten, habe ich nichts davon mitbekommen. Sie waren zu tief beeindruckt, um Fragen zu stellen. Ein andern Mal nahm ich einen hohen FDJ-Funktionär meiner Sektion Philosophie mit in die Vorstellung. Er maulte etwas, warum er sich dieses bürgerliche Zeugs ansehen sollte, nach Venedig käme er ohnehin nie. Ich sagte ihm, er solle sich einfach am Anfang mit Dirk Bogade ins Boot setzen und mit ihm zum Lido rüberfahren. Er tat das anscheinend, denn er löste über die ganze Länge des Films nicht mehr den Blick von der Leinwand. Danach kaufte er sich alle verfügbaren Schallplatten mit Musik von Mahler, dessen Stücke den Film kongenial untermalen.
Gestern Abend bei Arte habe ich „Tod in Venedig“ nach Jahrzehnten wieder gesehen. Er zog mich erneut in seinen Bann. Nicht nur das. Ich habe viel mehr in ihm gesehen als früher. So ist das mit zeitlosen Meisterwerken.
Dirk Bogarde als Gustav von Aschenbach hat mich schon damals fasziniert, aber was für ein unerreicht großartiger Schauspieler er ist, weiß ich erst seit gestern. Er kann allein mit seiner Mimik alles ausdrücken, wofür sonst viele Worte gebraucht werden. Er sagt in diesem Film nicht viel, denn er ist in Venedig allein und darauf beschränkt, Tadzio zu folgen.
Die Erleichterung in seinem Gesicht, als er am Bahnhof, wo er in den Zug nach München steigen wollte, um seinem Konflikt zu entkommen, erfährt, dass sein Koffer aus Versehen nach Como geschickt wurde und er einen Vorwand hat, um ins Hotel zurückzufahren. Die erwartungsvolle Freude bei der Überfahrt zum Lido, die scheue Anbetung, die er Tadzio bei den seltenen Aufeinandertreffen entgegen bringt – Bogarde ist auf der Höhe seiner Kunst.
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