Der Bahnstreik als Symbol verlogener Sündenbockpolitik

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Von Gastautorin Angelika Barbe

Ja, der Streik ist belastend für Reisende, Berufs-Pendler, Touristen und Autoabstinenzler. Das ist den Kommentaren der Betroffenen  zu entnehmen, die jetzt bei Verkündung der dritten Streikwelle innerhalb von drei Wochen von Medienvertretern dazu befragt werden.

95% der GDL Mitglieder haben für den bundesweiten Streik in geheimer Briefwahl gestimmt, 5% waren dagegen, wobei das Quorum von 75 %  überschritten wurde. 70 % aller Mitglieder haben sich beteiligt. Diese große Streikbereitschaft in der Belegschaft bei der Bahn-AG ist bezeichnend für die Wut der Lokführer, die ihre berechtigten Interessen mithilfe der Gewerkschaft GDL durchsetzen wollen.

Das Management der DB-AG befindet sich in der Auseinandersetzung mit der eigenen Mitarbeiterschaft, nicht mit der Gewerkschaft GDL oder dem Vorsitzenden. Die Bahn AG gaukelt der Öffentlichkeit vor, sie würden den Lokfahrern dauernd neue Angebote machen, was nicht zutrifft. Die Gewerkschaft soll sich im Gegenteil mit einem Zahlungsversprechen begnügen, das erst 2022 einsetzt, und für 2021 eine Minusrunde bedeutet.

Hier lässt das Management eines bundeseigenen Unternehmens es auf den Arbeitskampf ankommen – auch in der Ferienzeit. Im Tarifvertragsgesetz (TVG) wird Bezug auf Artikel 9, Absatz 3 GG genommen. Daraus geht hervor, daß ein Arbeitskampf im Sinne des TVG ein Grundrecht ist, das den Lokführern zusteht.

Der Abschluss der Tarifbeschlüsse des öffentlichen Dienstes, worauf sich die Eisenbahner berufen, wurde als Vorlage für die Einigung vom Bahn Management ignoriert. Gleichzeitig wollen die Bahn-Manager eine Kürzung der Betriebsrenten durchsetzen, was eine Kürzung von 100 € monatlich für einen Lokführer nach 30 Arbeitsjahren bedeutet. Das ist nicht nur ungerecht, sondern in höchstem Grade unsolidarisch.

Gewiss, Bahnchef Richard Lutz und die übrigen Konzernvorstände verzichten auf Boni für das Jahr 2021. Die Topmanager kommen damit einer Forderung des Bundestagshaushaltsausschusses nach. Den Verzicht hatten die Parlamentarier im Gegenzug für geplante Bahn-Milliardenhilfen verlangt. Auch für 2020 hatte es einen solchen Verzicht gegeben. Die Bezüge der rund 5500 leitenden Angestellten und außertariflich Beschäftigten sollen in diesem Jahr ebenfalls nicht erhöht werden.

Allerdings hat sich das Management 20 000 € Altersbezüge gegönnt. Herr Pofalla (CDU) bekommt als Bahnvorstand 1,8 Mill € Jahresgehalt, während Lokführer, die eine hohe Verantwortung für die sichere Personenbeförderung tragen, mit Almosen abgespeist werden sollen. Lokführer arbeiten im 3-Schicht-System, in 60% Nachtdiensten, wobei die LOKs in D noch oft mit keinem WC ausgestattet sind.

Um von eigenem Versagen abzulenken und die wahren Gründe des Streiks zu verschleiern, wird Weselsky als „gewiefter und rücksichtsloser Taktiker“ (NZZ) gebrandmarkt, der die Ferienzeit für den zweittägigen Arbeitskampf gewählt habe, um Druck auf die Bahn-AG zu erhöhen. Damit wird der Vorsitzende der wohl einzigen wirklich durchsetzungsfähigen und noch nicht gleichgeschalteten Gewerkschaft ganz persönlich diffamiert.

SPD-Chef Walter-Borjans kritisierte das Vorgehen der GDL gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (SPD) am 12.8.21: Wirksame Interessenvertretung setze voraus, Kräfte zu bündeln und Verständnis bei den Reisenden zu gewinnen. “Beides gelingt nicht, wenn Beschäftigtengruppen der Bahn auseinanderdividiert und die Kunden durch unangekündigte Streikaktionen düpiert werden.“ EVG und GDL müssten an einem Strang ziehen.“Wir brauchen eine leistungsfähige Bahn mit attraktiven Arbeitsbedingungen.“ So werden von der ehemaligen Arbeiterpartei SPD Berufsgruppen gegeneinander gehetzt.

55 Prozent der Deutschen haben einer Umfrage zufolge kein Verständnis für den Streik.  Das geht aus einer am 12.8. veröffentlichten Yougov-Erhebung hervor. 31 Prozent hat Verständnis für den Ausstand, der seit 11.8. deutschlandweit für Zugausfälle und Verspätungen sorgt. Im Osten ist das Verständnis für den GDL-Streik mit 39 Prozent  höher als im Westen mit 29 Prozent. Gleichzeitig ist der Osten stärker von Arbeitsniederlegungen betroffen, weil vor allem im westdeutschen Regionalverkehr mehr beamtete Lokführer ohne Streikrecht ihren Dienst tun. Wegen des höheren Organisationsgrads der GDL im Osten waren zwischen Berlin, Leipzig und Dresden vor 14 Tagen kaum Züge unterwegs.

Die Bahn AG hatte der Gewerkschaft kurz vor dem zweiten Streik angeboten, über die geforderte Corona-Prämie zu verhandeln, aber keine konkrete Zahl genannt. Die GDL verlangt einen Pandemie-Bonus von 600 Euro pro Mitarbeiter. Weselsky hatte das Verhandlungsangebot deshalb umgehend als zu unkonkret zurückgewiesen.

Im Tarifkonflikt mit der GDL deutete die Bahn ein Entgegenkommen an, legte aber zunächst kein neues Angebot vor. Bahnchef Lutz forderte Weselsky in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland auf, wieder Verhandlungen aufzunehmen (26.8.). Die beiden Streiks der GDL seien «völlig unnötig». Die Unterschiede in den Vorstellungen von Bahn und GDL seien überhaupt nicht so groß, als daß sie die gravierenden Auswirkungen der Streiks für die Mobilität der Menschen und die Versorgung der Wirtschaft rechtfertigten.

Prof. Christian Böttger, Verkehrsexperte, schätzte bei Phoenix ein, daß hier die Bahn blockiert. „Das ist falsch und unfair von der Bahn“. Die öffentliche Kritik am Streit soll den Druck auf die GDL erhöhen. Die Bahn hatte nämlich mit der anderen Gewerkschaft EVG einen weitaus schlechteren Tarifabschluß erreicht, den die GDL nicht mitträgt. „Die Bahn hat sich schon bei den letzten Streiks verrechnet. Es ist eine Machtfrage für die Bahn. Sie will keine Lösung“, begründete Böttger.

Die Bahn ist mit der EVG verbündet, bezichtigt aber die GDL „verantwortungslos zu sein“ und „Schaden anzurichten.“ (Bahn-Sprecher Strauß). Es geht nur darum, einen Sündenbock  zu finden, denn verantwortlich für sämtliches Chaos (Verspätungen, Zugausfälle, ungeleerte Toiletten, verpaßte Anschlüsse, fehlende Reservierungsanzeigen, Streckenstillegungen) bei der Bahn ist  nicht die GDL, sondern Bahnmanagement (DB-AG) und  CSU-Verkehrsminister der letzten Merkeljahre. Sie haben diejenigen  installiert, die jetzt GDL-Mobbing betreiben.

Wir Bürger sollten uns nicht von der Anti-GDL-Kampagne des Bahnvorstand vereinnahmen lassen. Wer kritisieren will, kann es tun – dann aber die Verantwortlichen. Hier werden die Passagiere bewußt auf die Lokführer gehetzt und die Spaltung  der Gesellschaft vertieft.

Weselsky war nie Mitglied der SED. Nach dem Mauerfall engagierte er sich in der wiedergegründeten Gewerkschaft der Lokführer, übernahm dort 1990 den Vorsitz der Ortsgruppe Pirna Zwei Jahre später avancierte er zum stellvertretenden Bezirksvorsitzenden, wurde dadurch Mitglied des Hauptvorstandes. Er selbst widerstand 2007 dem Angebot, auf die andere Seite zu wechseln und das Amt des Personalvorstands zu übernehmen. Er ist nicht erpressbar – eine inzwischen sehr, sehr seltene Charaktereigenschaft eines führenden Interessenvertreters.

Als eine Boulevardzeitung während eines viertägigen Streiks seine Telefonnummer druckte, aktivierte er einfach die Anrufweiterleitung – Empfänger der wütenden Anrufer wurde dadurch der damalige Bahnchef Rüdiger Grube.

Wer andere zum Sündenbock stempelt, muß damit rechnen, daß der Sündenbock sich wehrt und damit die Wahrheit ans Licht der Öffentlichkeit kommt.



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