Straffreie Hetze auf Instagram

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Nach der öffentlichen Morddrohung gegen einen Journalisten will die Staatsanwaltschaft Mosbach keinen „hinreichenden Tatverdacht“ erkennen.

Von Gastautor Daniel Matissek

Eines kann man dem Journalisten Tobias Huch, 39, gewiss nicht vorwerfen: Dass er konfliktscheu wäre. Weil er die Liberale Flüchtlingshilfe e.V. ins Leben rief und sich in mehreren humanitären Projekten vor Ort für die Autonome Region Kurdistan im Irak einsetzt, geriet er früh ins Fadenkreuz des „Islamischen Staates“ (IS) und diverser Islamisten. Spätestens seit seiner Frontberichterstattung vom Überfall der Türkei auf die kurdische Region Rojava in Nordsyrien, in deren Zuge er türkische Kriegsverbrechen aufzeigte, gilt er auch dem türkischen Erdogan-Regime als Staatsfeind.

Zunächst bekam Huch eingeschränkten Polizeischutz; schließlich sah er sich gar gezwungen, für mehrere Jahre Deutschland zu verlassen und unter geheimer Adresse in London unterzutauchen. Im Exil schrieb der profilierte Nahost-Experte ein Buch über Kurdistan .

Da verwundert es wenig, dass Huch in Deutschland ständigen Anfeindungen von Nationaltürken, AKP-Anhängern und den extremistischen „Grauen Wölfen“ (Bozkurt) ausgesetzt ist, die ihn wegen seines prokurdischen Engagements diskreditieren, verleumden und attackieren.

„Ich habe gar nicht die Ressourcen, mich diesen Verleumdungen und auch ernsten Drohungen Angriffen auf meine Person zu beschäftigten“, so Huch, der auch in der FDP politisch aktiv ist. Allerdings gibt es klar justiziable Vorfälle, die unbedingte Gegenwehr erfordern. So wie der Instagram-Eintrag eines Deutschtürken vom April 2020, in dem über Huch folgendes zu lesen stand:

„du hurensohn wenn ich dich erwische schmeid ich dir vor laufender kamera den kopf ab du hurensohn du bastarr warte ab du hurrensohn ich finde deine Fanilie du Sohn einer hure“ (Rechtschreibung laut Original“

Es handelt sich hierbei um eine glasklare Morddrohung – von Beleidigung und Bedrohung Dritter (Huchs Familie) ganz zu schweigen. Verantwortlich war der Betreiber des Instagram-Accounts „Tolga.charmant“, als dessen Inhaber die von Huch gerufene Polizei einen gewissen Tolga Y. ermitteln konnte. Dieser bestritt bei seiner Vernehmung, den Post verfasst zu haben. Er kenne zwar den Täter, wolle diesen jedoch nicht belasten; stattdessen wolle er ihn auffordern, sich bei der Polizei zu stellen.

Tatsächlich meldete sich wenig später bei den Beamten ein gewisser Seymen B. und räumte zunächst ein, der Verfasser zu sein. Da er erst 16 Jahre ist, wurde ihm anstelle einer Vorladung eine Beschuldigtenanhörung zugesandt. In dieser schriftlichen Anhörung widerrief B. dann nicht nur sein telefonisches Geständnis, sondern teilte außerdem mit, Y. habe ihn bedrängt, die Tat an seiner Statt zuzugeben, weil er, B., ja noch minderjährig sei. Zunächst habe er dies seinem Freund zuliebe auch tun wollen; nun jedoch wolle er keinen Ärger bekommen. Den Post habe tatsächlich Y., nicht er verfasst.

Der durchschaubare (und misslungene) Versuch von Y., einen Dritten zur Falschaussage anzustiften, um die eigene Täterschaft zu verschleiern, müsste unter normalen Umständen den Ermittlungsdruck erhöhen und eine Anklageerhebung unumgänglich werden lassen. Was aber macht nun die Staatsanwaltschaft Mosbach daraus? Sie stellt das Ermittlungsverfahren gegen Y. allen Ernstes ein – mit der absurden Begründung, „aufgrund der sich widersprechenden Angaben der Beteiligten“ lasse sich nicht feststellen, wie sich der Vorgang tatsächlich zugetragen hat. Es stünde letztlich „Aussage gegen Aussage“.

Statt eben diese Widersprüche aufzuklären, wirft die Staatsanwaltschaft also das Handtuch und beendet die Ermittlungen – und zwar nicht etwa gegen irgendwelche Sühne- oder Bußauflagen, sondern bedingungslos und nach der stärksten hierfür in Frage kommenden Rechtsnorm des §170 der Strafprozessordnung. Dieser findet eigentlich nur Anwendung, wenn einer Anklageerhebung vor Gericht absehbar keine Erfolgsaussichten beschieden sind. Genauso steht es denn auch in der Einstellungsbegründung der Mosbacher Anklagebehörde: „Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage“ sei eine Verurteilung des Beschuldigten „wegen des erhobenen Vorwurfs nicht zu erwarten“. Mehr noch: „Ein hinreichender Tatverdacht, der die Erhebung der öffentlichen Klage rechtfertigen würde, kann nicht begründet werden.“

Diese vorsätzliche Untätigkeit kommt einer Strafvereitelung im Amt gleich; es gibt Juristen, die hier sogar von Rechtsbeugung sprechen würden. In jedem Fall aber pervertiert sie das Rechtsempfinden.

Man braucht wenig Phantasie, sich auszumalen, wie unterschiedlich die Reaktion der Staatsanwaltschaft wohl ausgefallen wäre, hätte es sich bei dem Beschuldigten um keinen türkischstämmigen, sondern indigenen Deutschen oder gar eine Person mit „rechtem“ politischen Hintergrund gehandelt. Oder der Bedrohte wäre nicht ein subalterner FDP-Politiker, sondern eine grüne Bundestagsabgeordnete gewesen. Der Fall wäre zum Politikum geworden,:

Das bemerkenswerte Aufmerksamkeitsgefälle bei bundesdeutschen Organen der Rechtspflege (inzwischen sogar, wie in diesem Fall, bei angedrohten Tötungsdelikten) verstärkt weiter den Eindruck einer Zweiklassenjustiz; eine Entwicklung, die mittelfristig jedes Vertrauen in den Rechtsstaat und die Unvoreingenommenheit von Iustitia erschüttert.

Es ist dieselbe Doppelmoral, die auch bei der Anwendung der „Gemeinschaftsstandards“ und „Geschäftsbedingungen“ der Social-Media-Konzerne ungeniert zutage tritt. „Hassrede“ ist dort ein großes Thema und führt tagtäglich zu zahllosen willkürlichen Sperr- und Löschentscheidungen. Allerdings genießen Hasspostings von Islamisten (etwa nach dem Mord an Samuel Paty ) israelfeindliche und pro-palästinensische Tiraden oder eben auch türkisch-nationalistische Propaganda dort exzessive Toleranz (und ihre Verfasser oftmals Narrenfreiheit). Nur deshalb sind auf diesen Portalen Gewalt- und Morddrohungen wie die gegen Tobias Huch überhaupt möglich.

Immerhin: Wenigstens der Deutsche Journalistenverband brachte im Fall Huch auf Twitter – unter regenbogenbunt koloriertem DJV-Logo – den Mut auf, von einem „Armutszeugnis der Justiz“ zu sprechen. Unter den im DJV organisierten Journalisten allerdings fand den Fall augenscheinlich bis heute niemand berichtenswert. Ob Hatespeech, Hetze und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zum Skandal gereichen, hängt in diesem Deutschland eben in erster Linie davon ab, wer sie äußert.



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