Von Gastautor Jörg Bernig
Im Oktober 2020 gaben mein Schriftstellerkollege Uwe Tellkamp und ich ein Statement ab. Darin hieß es:
››Wir stellen eine Verwahrlosung und gewalttätige Aufladung der Berichterstattung und Kommentierung fest, wenn über Positionen und Menschen geschrieben und gesprochen wird, die sich kritisch zu problematischen Entwicklungen in diesem Land äußern – sei das zu Fragen der Meinungsfreiheit, der Verquickung von Politik und Medien, der Migrationspolitik, der Erscheinung des Islams in unserer Gesellschaft oder der Beschneidung verfassungsmäßig festgeschriebener Freiheiten.‹‹ Wir fragten damals: ››Wohin soll das führen? Was soll der Schritt sein, der auf derlei verbale Attacken folgt?‹‹
Nun hat es eine Antwort auf diese Frage gegeben: Den nächtlichen Überfall vom 19. April 2021 auf das BuchHaus Loschwitz in Dresden. Die Polizei ermittelt wegen eines Sprengstoffanschlages und nicht wegen Sachbeschädigung. Und jetzt? Stellt sich die Frage nicht immer noch? Welchen Folgeschritt soll diese Attacke vorbereiten? Verdrängen wir diese Frage, weil es schon nicht so schlimm werden wird?
Gewalt in der politischen Auseinandersetzung, könnte man sagen, ist ja nun nichts Neues. Zyklisch wiederkehrende Zuckungen, die unsere modernen westlichen Gesellschaften in Konvulsionen bringen: Die französische Revolution brachte den jakobinischen Terror hervor, ja, ist ohne ihn nicht zu haben. Die sozialistischen Revolution ist ohne bolschewistischen Terror und Gulag nicht zu haben, wie auch die nationalsozialistische Revolution ohne Terror und Verfolgung bis zur Vernichtung nicht zu haben ist. Ihnen allen gemein ist aber das Postulat der Errichtung einer besseren Welt. Um dorthin zu gelangen sah man sich ermächtigt, zu totalitären Mitteln zu greifen. Eines davon ist der Schrecken, der Terror, hervorgerufen von verbaler wie physischer Gewalt.
Gewalt in der politischen Auseinandersetzung soll verunsichern, soll den Widerstand eines tatsächlichen oder vermeintlichen Gegners (wenn nicht gar Feindes) schwächen oder brechen. Denn Widerstand auf dem Weg zu einer besseren Welt können die ideologisch Durchdrungenen nicht nur nicht gebrauchen, sie können ihn schlichtweg nicht dulden.
Über das politische, ideologische und religiöse Spektrum unseres Gemeinwesens verteilt finden sich auch heute Akteure, die zu Gewalt, Angst und Schrecken, also zu Mitteln des Totalitären greifen zur Durchsetzung ihres Willens.
Im Land regt sich seit einiger Zeit die Debatte um die Beschränkung von Freiheiten, die in der Verfassung verbrieft sind. Eine von ihnen ist die Meinungsfreiheit. Wenn wir aber genauer nachdenken, dann müssen wir zu dem Resultat kommen, daß sich in unserem Land (und darüber hinaus in der westlichen Welt) die Debatte um DIE FREIHEIT regt. Sie wird eingeschränkt, gegängelt, mit Vorbehalten versehen und ja, auch das, angegriffen. Nämlich dort, wo die einen den anderen den Raum ihrer Freiheit beschädigen oder zerstören wollen.
Albert Camus sagte in einer Ansprache am 10. Mai 1953: ››Bei uns in Westeuropa […] steht die Freiheit offiziell hoch im Kurs. Nur gemahnt sie mich unwillkürlich an jene arme Verwandte, der wir in gewissen bürgerlichen Familien begegnen. Die Verwandte ist verwitwet, sie hat ihren naturgegebenen Beschützer verloren. Also hat man sie aufgenommen, ihr ein Dachstübchen zugewiesen und ihr Zutritt zur Küche gewährt. Zuweilen zeigt man sie sonntags in Gesellschaft vor, um zu beweisen, daß man der Tugendhaftigkeit nicht entbehrt und kein Unmensch ist. Aber im übrigen, und insbesondere bei feierlichen Anlässen, ist sie gebeten, die Klappe zu halten.‹‹
Bei Susanne Dagen und dem BuchHaus Loschwitz hat die Freiheit ihren Platz gleichsam im Wohnzimmer …
Die Freiheit, die wir haben – und die uns von niemandem gegeben werden kann –, besteht heute zunächst einmal darin, auf Euphemismen zu verzichten und nicht nach politischen, ideologischen oder religiösen Rechtfertigungen für Gewalt zu suchen, sondern diejenigen, die uns allen verbal oder physisch Gewalt antun, als das zu bezeichnen, was sie sind: Akteure des Totalitären.
Denn wir sind – um noch einmal Albert Camus zu Wort kommen zu lassen – gewiß, ››daß die Freiheit kein Geschenk ist, das man von einem Staat oder von einem Führer empfängt, sondern ein Gut, das Tag um Tag erkämpft sein will, durch das Bemühen jedes einzelnen …‹‹
Der Anschlag auf das BuchHaus Loschwitz ist ja nicht nur ein Anschlag auf Personen oder einen Kulturort. Die zielgerichtet eingesetzte Gewalt soll Angst und Schrecken verbreiten, sie soll einschüchtern und einen Herrschaftsraum markieren. Wer sich dessen selbstherrlich gezogenen Grenzen nähert, soll sie zu spüren kommen, die Gewalt. Und diese Drohung meint uns alle hier, ungeachtet ob wir Tat und Täter verabscheuen, ja, ungeachtet auch ob wir mit Tat und Tätern sympathisieren. Wir alle sind gemeint. Unser aller Freiheit ist gemeint.
Rede gehalten am 12. Mai 2021 vor den Dresdner Stadträten.
© Jörg Bernig, 2021
Die Zitate von Albert Camus sind entnommen:
Albert Camus: Brot und Freiheit. Ansprache vom 10. Mai 1953 an der Arbeitsbörse von St-Etienne. In: Ders.: Verteidigung der Freiheit. Politische Essays. Rowohlt Taschenbuch Verlag: Reinbek bei Hamburg 2016, S. 47 und S. 55f.