Als ich noch hinter der Mauer saß, bekam ich ab und zu Besuch von westdeutschen Linken, für die ein Tag im Arbeiter- und Bauernstaat eine Art Abenteuerurlaub war. Im Gepäck hatten sie oft Büchlein, ich habe vergessen von welchen linken Verlagen, die voll marxistisch-leninistischen Geschwafels waren. Geschrieben wurden sie von Spezialisten der Bandwurmsätze, bei denen man am Ende nicht wusste, womit sie begonnen hatten. Ich warf das Zeug weg und war der Überzeugung, dass ich nie wieder auf ähnlichen Wortsalat treffen würde, bis ich das Buch von Marlon Grohn zugeschickt bekam. Ich hatte es für eine Rezension angefordert, weil ich mir vom Titel neue Erkenntnisse versprach, über ein Phänomen, Hass im Netz, das alle Nutzer der neuen Medien direkt oder indirekt beschäftigt.
Auf Wikipedia firmiert Grohn als Blogger, der seinen Lesern den Kommunismus nahebringen will. Daraus entstand ein Buch, das 2019 veröffentlicht wurde: „Kommunismus für Erwachsene. Linkes Bewusstsein und die Wirklichkeit des Sozialismus“.
Auch sein neuestes Werk, das „den gesellschaftlichen Umgang mit dem Phänomen Netzhass“ analysieren soll, ist von einem überzeugten Kommunisten geschrieben worden. Von Analyse finde ich allerdings nicht viel, dafür umso mehr von echt marxistischem Hass. Wikipedia fasst den Inhalt so zusammen: „Je nach Belieben fallen die unterschiedlichsten Phänomene wie persönliche Beleidigung, Verleumdung, Wut, Provokation, Kunst, Faschismus oder Klassenkampf unter das ‘Hass’-Verdikt.“ „Der Kampf gegen das Symptom Hass“ diene dabei „der Ablenkung von Verhältnissen, die seine Ursache sind.
Mein Cheflektor vom Verlag „Neues Leben“ hat das einst in einer Kontroverse mit mir, als ich hasserfüllte Jugendbücher für die Veröffentlichung ablehnte, so zusammengefasst:
„Hass ist ein produktives Gefühl. Es dient dem Klassenkampf. Es ist eine unserer produktivsten Waffen“. Das ist auch die Quintessenz des Buches von Grohn. Allerdings ist es schwer, die Botschaft aus dem Endlos-Kauderwelsch herauszufiltern. Echte Definitionen findet man nicht, auch nicht, wenn sie in der Überschrift, etwa „Der Begriff des Hasses“ zu erwarten gewesen wären.
Die bürgerliche Konkurrenzgesellschaft erzeuge Spannungen in den Individuen, die durch herkömmliche „Aneignungskonzepte“ wie Religion oder Ideologien nicht mehr aufgelöst werden könnten. Früher gingen die Leute deshalb zu Therapeuten, heute zu Facebook. Grohn hält das für eine produktive Aktion, die konterkariert wird von allen, die sich gegen Hass im Netz äußern. Es wäre amüsant zu lesen, wie Sascha Lobo, Carolin Emcke, Heiko Maaß und das Böhmermänneken von Grohn ihr Fett wegbekommen, wenn es nicht so mühsam wäre, die Philippika gegen sie zu lesen.
Natürlich werden auch die Rechten nicht vergessen, aber Grohn arbeitet sich eben auch an den Linken ab. Er rühmt nicht nur das französische Revolutionsleid, das die Aristokraten an die Laternen knüpfen will, weist genüsslich auf die Werke von Thomas Bernhard, Klaus Kinski, Christoph Schlingensief hin, die „von persönlichen Beleidigungen nur so triefen“, sondern bringt auch gedruckte Beispiele, wo gehassten Personen ins Gesicht gekotzt werden möchte, oder gar der Tod gewünscht wird. Was bei den oben genannten Leuten unter Kunstfreiheit fällt, kann im Netz nicht falsch sein, oder? Schließlich geht es um „das große Anerkanntwerdenwollen“.
Grohns Sprache ist am jungen Marx geschult. Wie bei seinem Vorbild wimmelt es bei Grohn von Fäkalbegriffen, Gehirnfäule, Idiotie usw., immer bezogen auf diejenigen, die laut Grohn die falsche Meinung haben, etwa wie Lobo nicht erkennen, dass „das Recht auf Hass“ oben liegt. „Die unten sollen zusehen, wie sie qua Mitleiderheischungen, Bittstellungen, Moralisierungen, Unterwürfigkeiten und anderen Angeboten des versöhnlerischen Klassenfriedens zurechtkommen […] Nicht nur, dass die alteingesessenen Fanatiker der Höflichkeitshuberei von oben die Trolle, die sie stören, einfach blockieren oder ignorieren. Indem Gegner oder einfach irgendwelche Deppen als menschenverachtende Hassende dargestellt werden können, leuchtet der eigene Heiligenschein der Güte umso heller.“
Denn es gibt nicht, wie Lobo und Emcke meinen, ein Klima, dass Hass erzeugt, sondern nur eins, dass den von oben erzeugten Hass widerspiegelt. Dies wäre Konzept. „Die Bourgeois-Ideologie (Redakteur bei Springer, taz, Professor, Politiker usw.) ist zum erbitterten Hass-Bekämpfer geworden, weil er die zum Mob gemachten benötigt, um sich von ihnen absetzen zu können, weil sonst offenbar würde, wie sehr er ihnen in seinen Affekten gleicht.“
Die sozialen Medien seien längst Rollenspiele, jeder nimmt seine Rolle ein, aber es soll nur noch Gute geben. Durch Nettigkeit wird die Wahrheitsfindung abgeschafft – hier hat das kommunistische Huhn ein wahres Korn gefunden- „die Wirklichkeit wird entwirklicht […] Man braucht keine Eingriffe von oben mehr, wenn alle das tun, was sie tun sollen, also: nett sein.
Die Trolle sind heute das, was früher die Kasper, Teufel, Clowns und Hexen oder eben die Klassenkämpfer waren.
In diesem Sinne: Trolle und Hater aller Länder vereinigt euch! Ihr habt nichts zu verlieren, als eure Ketten, aber die Netzmacht zu gewinnen!
Marlon Grohn: Hass von oben, Hass von unten