Das ZDF ist gar nicht lustig!

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Eigentlich wollte ich mich zu der neuesten Entgleisung des Böhmermännekens, der größten Witzfigur, seit es ZDF gibt, nicht äußern. Aber der Typ mästet sich an unseren Gebühren, das ist zu viel des Guten. Deshalb dokumentiere ich hier eine der vielen Programmbeschwerden, die dieser Tage das ZDF erreichen, und hoffe, dass es noch viel mehr werden. Nutzt die Wohnhaft, zu der euch die Politik verdonnert hat, um eure Stimme zu erheben. Sagt den Verantwortlichen eure Meinung und was ihr von ihnen erwartet. Der folgende Text kann gern als Anregung genutzt werden:

ZWEITES DEUTSCHES FERNSEHEN

Intendant Herrn Dr. Thomas Bellut

55100 Mainz

Programmbeschwerde gegen ZDF-Magazin Royale vom 18.12.2020

https://www.zdf.de/comedy/zdf-magazin-royale

Dresden, den 21.12.2020

Sehr geehrter Herr Dr. Bellut,

als Mutter dreier Kinder, Oma vierer wundervoller Enkel und als Sächsin gebe ich zu, kein Fan o. g. Sendung zu sein. Unschwer zu erkennen ist auch, dass ein Herr Böhmermann ein ganz spezielles Verhältnis zu diesem meinem Bundesland hat. Gerade deshalb habe ich auch nicht verstehen können, auf welcher Grundlage dieses Magazin ausgerechnet in die Primetime hochgestuft wurde. Aber geschenkt, das spielt für die vorliegende Beschwerde keine weitere Rolle.

Die Sendung wirbt mit folgenden Worten: „ZDF-Magazin Royale – Gute Unterhaltung“

Jan Böhmermann begrüßt zu seiner neuen Late-Night-Satire im Hauptprogramm. Er stößt Debatten an, begrüßt streitbare Gäste im Studio und musiziert mit dem Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld.

Das ZDF-Magazin wird als Satire beworben und sieht sich auch in der Eigendarstellung so. Schaut man sich allerdings einige der vergangenen Folgen näher an, kann man nicht verleugnen, dass es sich hierbei offensichtlich um eine nicht ganz tendenzfreie Satire handelt:

  • Der Corona-Unternehmer des Jahres
  • Das Humboldt Forum – Raubkunst in Berlin?
  • Rassismus in der Polizei
  • Volkswagen – Das Weltauto
  • Die große Verschwörung

Meine Beschwerde richtet sich aber nur auf das in der die Sendung vom 18. Dezember 2020 dargebotene Lied des Kinderchors. Zu einer Melodie-Mischung aus „Last Christmas“ und „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ singt der Chor zwischen Fake-Schneeflocken und in Weihnachts-Ambiente darüber, dass die Oma weiß, dass es gar kein Corona gäbe und nicht mehr „an Tagesthemen und ans MoMa“ glaube. Weiterhin heißt es: „Meine Oma feiert Après-Ski in Ischgl, sie hat keinen Bock auf Social Distance, sie sucht den Thrill“ und „Meine Oma stürmt in schwarz-weiß-rot den Reichstag, damit ‘da oben’ endlich einer mal Bescheid sagt. Meine Oma hustet jetzt im Widerstand!“

Zum Ende hin kommt Jan Böhmermann ins Bild und singt:

„Meine Oma liegt seit vorgestern im Koma,

mit `nem Plastikschlauch in ihrem Tracheostoma.

Pandemie vorbei und meine Oma auch.“

Die Provokation des Liedes richtet sich offensichtlich gegen Menschen, die die gegenwärtigen Corona-Maßnahmen kritisch bewerten. Nun kann man trefflich aus ethischer Sicht darüber streiten, inwieweit „Querdenkern“ therapeutische Misserfolge zu wünschen seien.

Statistisch gesehen sind Großmütter bei weitem nicht bei diesen Querdenkern überdurchschnittlich vertreten, sodass schwer nachvollziehbar ist, wieso Herr Böhmermann ausgerechnet Großmütter mit der Querdenkerbewegung oder gar mit dem Sturm auf den Reichstag in Verbindung bringt.

Es liegt der Verdacht nahe, und er räumt es letzten Endes auch in seiner Anmoderation ein, dass er bewusst auf das Lied vom WDR-Kinderchor „Oma ist `ne alte Umweltsau“ vom Dezember 2019 Bezug nimmt. Dieses Lied führte damals aus gutem Grund zu einer empörten Diskussion unter Zuschauern, bei dem sich sogar der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet zu Wort meldete. Der Intendant Tom Buhrow entschuldigte sich bei dem Publikum für dieses missglückte „Weihnachts-Lied“.

Es stellt sich nunmehr die Frage, die aus meiner Sicht auch im Fernsehrat erörtert werden sollte, wieso eine nicht unumstrittene Satiresendung ausgerechnet wieder in der Weihnachtszeit Öl in das Feuer gießen muss? Ist unsere Gesellschaft nicht schon genug gespalten? Was darf Satire?

Diese Frage ist nicht neu. Der Schriftsteller und Publizist Kurt Tucholsky, einer also, der das Metier wahrlich beherrschte, stellte sich diese Frage schon vor knapp einem Jahrhundert. In der Auseinandersetzung mit der Fragestellung zeigt sich: Jede Zeit gibt ihre eigenen Antworten.

Was also darf Satire heute? Was muss sie – auch in Anbetracht unserer wechselvollen Geschichte – leisten? Was kann sie leisten? Nur noch so viel, wie Gesellschaft und Gesetz ihr erlauben?

Immerhin hat sich der NDR mit der Satiresendung extra3 Gedanken über Zulässigkeit von satirischen Beiträgen gemacht. Dort heißt es zur Abgrenzung von Satire:

„Noch ärgerlicher ist in diesem Zusammenhang die zum ausschließlichen Zwecke der Belustigung veranstaltete, forcierte Verhöhnung Schwächerer, die sich als Satire ausgibt. Beispiel: Im Jahr 2004 kommentierte Stefan Raab das Foto einer jungen türkischen Mutter, welche die Schultüte für ihr Kind trug, mit dem Satz: “Die Dealer tarnen sich immer besser.” Vor Gericht wollte Raab dies als “zulässige Satire” verstanden wissen. Gegen diese Inanspruchnahme muss sich die Satire verwahren. Diese Äußerung ist keine Satire, schon gar keine zulässige. Die Frage lautet wie immer: Wer ist der Feind? Junge Mütter? Junge Türkinnen? Warum?“

(https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/extra_3/wir_ueber_uns/wasdarfsatire100.html)

Abgewandelt für unseren Fall heißt das: Wer ist der Feind? Unsere Großmütter? Warum?

Gerne wird als Kritikerwiderung vorgebracht, dass es sich bei der Oma doch nur um eine fiktive Figur handele. Das greift aber zu kurz. Großmütter sind, so wie ich ein wesentlicher Bestandteil der Familie. Wir bringen uns ein, sind da, wenn wir gebraucht werden. Enkel verbinden mit ihren Großmüttern meist gute Erinnerungen. Wer also Omas pauschal angreift, der greift damit auch die Familie an und führt damit vielleicht eine eigene Agenda im Schilde? Und wenn dann auch noch Kinder in einem Chor dazu instrumentalisiert werden, ein Lied gegen Omas zu singen, ist dies mehr als schäbig, es ist schlicht und ergreifend menschenverachtend.

Ungeachtet der „Satire-Guidelines“ und etwaiger Einschätzungen gibt es aber noch eine rechtliche Grenze, die durch den Beitrag von Herrn Böhmermann überschritten wurde. § 5 des ZDF-Staatsvertrages regelt die Gestaltung der Angebote. In Absatz 2 heißt es: „Das ZDF hat in seinen Angeboten die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Es soll dazu beitragen, die Achtung vor Leben, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit, vor Glauben und Meinung anderer zu stärken. Die sittlichen und religiösen Überzeugungen der Bevölkerung sind zu achten.“

Noch spezieller regelt das die ZDF-Satzung unter § 3: „Darüber hinaus hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen Funktionsauftrag zu erfüllen.“

Zu den Funktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehört der Informationsauftrag, die Forumsfunktion, die Komplementärfunktion, die Integrationsfunktion, die Vorbildfunktion, die Innovationsfunktion und der Kultur- und Produktionsauftrag (Brenner 2002 Seite 102). Diesen Grundsätzen haben sich auch Satire-Sendungen zu unterwerfen.

Die Integrationsfunktion wird wie folgt beschrieben:

„Das Bundesverfassungsgericht hat von Beginn an deutlich gemacht, dass die integrierende Funktion des Rundfunks für das Staatsganze von entscheidender Bedeutung ist. Für den Rundfunk bedeutet Integration, dass er mit seinem Programmangebot für die Gesellschaft eine gemeinsame Informations- und Kommunikationsgrundlage schafft, auf der alle gesellschaftlich relevanten Kräfte zu Wort kommen können, um zur politischen Willensbildung beizutragen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Durch die Sicherstellung solch einer gemeinsamen Informationsbasis leistet der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen Beitrag zum Zusammenhalt in der Gesellschaft. Daneben ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch verpflichtet, in seinem Programm die gemeinsamen kulturellen Inhalte zu vermitteln, um die Integration der Gesellschaft zu fördern.“

Auch ist die Vorbildfunktion explizit hervorzuheben:

„Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll durch sein Programm Qualitätsstandards setzen und ein Höchstmaß an Professionalität, Seriosität und Niveau sicherstellen. Neben diesen inhaltlichen Vorgaben ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch verpflichtet, eine wegweisende, qualitativ hochwertige Programmgestaltung, also hinsichtlich der Art der Darbietung, vorzunehmen.“

Sehr geehrter Herr Bellut, als Mutter und Großmutter finde ich es beschämend, Ihnen diese Zeilen überhaupt schreiben zu müssen. Diese zweite Entgleisung Ihres Mitarbeiters ist ehrverletzend und herabwürdigend. Ein Mensch, in diesem Fall eine Frau, die immer voll gearbeitet, ein Hochschulfernstudium als berufstätige Mutter absolviert hat, sich seit Jahrzehnten ehrenamtlich engagiert, fühlt sich bei derartigen Grenzüberschreitungen betroffen und verletzt.

Ich bitte Sie, intensiv zu prüfen, inwieweit Herr Böhmermann diese Funktionen mit seinem „Beitrag“ erfüllt hat. Mir ist die Klärung und ggf. eine Sanktionierung dieses Verhaltens sehr wichtig, sodass ich, sofern Sie meiner Programmbeschwerde nicht stattgeben, auf alle Fälle auch den Fernsehrat einbinden werde.

Lassen Sie mich meine Programmbeschwerde mit einem twitter-tweet einer Betroffenen beenden:

„Die Oma meiner Kinder war, wie viele Omas, keine Coronaleugnerin, sondern ist daran gestorben. Im Vergleich zu Harald Schmidt fehlt es Böhmermann an einem funktionierenden moralischen Kompass, Anstand und Feingefühl.“

Mit freundlichen Grüßen

B.L



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