Herr Debes von der Thüringer Allgemeinen, früher „Das Volk“ geheißen, ist ein Haltungs-Journalist par excellence. Als solcher hat er es weit gebracht, denn er darf schon für die Zeitgeist-Postille „Zeit“ schreiben, eben jene, deren Edel-Federn vor etwas mehr als dreißig Jahren eine Recherche-Tour durch die bereits absterbende DDR gemacht und festgestellt haben, dass die DDR-Bürger dem Partei- und Staatschef Honecker so etwas wie stille Verehrung entgegengebracht hätten. Kurz darauf war es mit dem Arbeiter-und Bauernparadies vorbei. Als die zweite deutsche Diktatur 1989 von der historischen Bildfläche verschwand, meinten alle, die Demokratie hätte in Deutschland flächendeckend gesiegt. Die Gegner der Vereinigung sprachen von Anschluss, gemeint war damit eine feindliche Übernahme, obwohl sie mit dem Willen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung stattfand.
Woran damals niemand dachte ist, dass es sich um eine Übernahme unter umgekehrten Vorzeichen gehandelt haben, dass nach dreißig Jahren eine DDR 2.0 in buntem Gewand fröhliche Urständ feiern könnte.
Während ich dies schreibe fällt mir ein, dass ich Anfang 1991 in meiner Heimatstadt eines Abends mit ein paar Bekannten, jungen Leuten, zusammensaß. Alles Linke, aber niemand von denen in der SED. Wir sprachen über den Zerfall der Städte, der nun gestoppt werden würde. Da sagte einer plötzlich: „Na, wir lassen die Westler alles aufbauen, dann übernehmen wir wieder.“ Ich fand diesen Satz gruselig, verabschiedete mich bald aus der Runde, ohne das Bedürfnis zu haben, einen davon wiederzusehen. Aber ich glaubte nicht eine Sekunde daran, dass dieser Satz Realität werden könnte.
Inzwischen sind die Spuren der sozialistischen Misswirtschaft und des von ihr verursachten flächendeckenden Ruinen schaffen ohne Waffen, wie es im Volksmund hieß, weitgehend beseitigt. Auch die geschundene Umwelt, die verpestete Luft, die toten Gewässer, der kontaminierte Boden, die Teer- und Quecksilberseen auf den Industriegeländen sind verschwunden, so dass unbedarfte Schulkinder glauben, die DDR hätte den Umweltschutz erfunden. Aus den verrotten DDR-Bezirken sind blühende Länder geworden.
Nun wollen die Nachfolger der ehemalig herrschenden SED wieder übernehmen. In Thüringen hatte Rot-Rot-Grün das Gesellenstück abgeliefert, leider nicht ganz erfolgreich, denn die Koalition wurde bei den letzten Landtagswahlen von den Thüringern abgewählt. Es bedurfte der parteiübergreifenden Hilfe von Kanzlerin Merkel, dass der alte Ministerpräsident Ramelow in einer zweiten Wahl auch der neue werden konnte. Dafür war er auf die Mitarbeit der CDU-Landtagsfraktion angewiesen, die er auch ziemlich prompt bekommen hat. Es wurde eine „Stabilitätsvereinbarung” geschlossen die eine „befristete“ Zusammenarbeit regelt. Die besagt, dass Rot-Rot-Grün und CDU gemeinsam einen Landeshaushaltsplan für 2021 verabschieden und bis dahin im Landtag nicht gegeneinander abstimmen. Angeblich soll es am 25. April 2021, nach einer gemeinsam beschlossenen Auflösung des Landtags, Neuwahlen geben. Der neue Fraktionsvorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Mario Voigt hat dafür den Begriff „konstruktive Opposition“ erfunden.
Seitdem apportiert die CDU brav alle Stöckchen, die ihr von der Koalition hingehalten werden. Wohin das führen soll, ist auch schon klar. Benjamin Hoff, der Mastermind hinter Ministerpräsident Ramelow, sagt zum heimlichen Bündnis von Linken und CDU ganz deutlich:
“Der andere”werde nicht mehr bloß “als Gegner wahrgenommen, den es erbittert zu bekämpfen gilt.” Man sehe sich als “potenzielle Partner auf Zeit”.
Geplant ist damit die Wiederherstellung der Nationalen Front, in der zu DDR-Zeiten alle Blockparteien unter Führung der SED vereint waren, in neuem, bunten Gewand. Die Mehrheit der Linken in Thüringen ist eine Ausnahme. Wie einst die SED käme die Linke im Bund nicht an die Macht ohne die Hilfe der CDU.
Wie sehr die Wähler hinter die Fichte geführt werden sollen, hat uns Herr Debes in seinem Zeit-Stück in aller Offenheit verraten:
„Bis zu diesen Neuwahlen müssen Rot-Rot-Grün und die Union nach außen als Regierung und Opposition zugleich erscheinen und im Innern einigermaßen kooperieren – aber trotzdem glaubwürdig für ihre Wählerschaft bleiben, also: einander nicht allzu sehr mit Zärtlichkeiten versehen”.
Der Mann, der das auf rot-rot-grüner Seite balanciert, ist Benjamin-Immanuel Hoff. Der, der es auf CDU-Seite tut, ist Mario Voigt, der neue Fraktionschef. Wie gut, dass diese beiden Männer so viele Gemeinsamkeiten haben. Es macht den Tabubruch zu zweit gleich viel leichter.“
Wahrscheinlich glaubt Debes, sich Klartext leisten zu können, weil die Thüringer CDU-Wähler kaum Zeit lesen. Sollten sie aber. Denn wie gehorsam Mario Voigt von der CDU bereits ist, geht aus einer Einlassung Hoffs hervor, die man bei Debes nachlesen kann:
“Wir haben inhaltlich antagonistische Widersprüche. Gleichzeitig argumentieren wir aber auf derselben Wissens- und Erkenntnisbasis, wir kennen die Umstände, in denen sich der jeweils andere bewegt, und müssen uns deshalb nicht gegenseitig ständig alles neu erklären.” Er fügt dem noch ein weiteres Lob hinzu. Auf Voigts Zusagen könnte man sich, im Gegensatz zu denen seines Vorgängers, immer verlassen. Die Zusammenarbeit scheint reibungslos zu klappen. Wegen Corona telefoniere man wöchentlich. Aktuell diskutiere man über den Haushalt für 2021. Parallel sei Voigt in die Runden mit den Fraktionsvorsitzenden von Linken, SPD und Grünen eingebunden. Außerdem in die normalen Beratungen in den Fachausschüssen und im Plenum des Parlaments.
Wir aus dieser inoffiziellen Zusammenarbeit demnächst ein Bündnis? Natürlich sagt das keiner, aber für die Linke und für die CDU ist es eine handfeste Machtoption. Und welcher Politiker kann da schon widerstehen?
In der Haushaltsfrage wird es sich erweisen, wie weit die Landtagsfraktion der CDU für die Sicherung ihrer Mandate gehen wird. Wird sie zum Beispiel auch die Finanzierung des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena durchwinken, dessen Gründer Matthias Quent in seinem zusammengeschusterten Machwerk „Deutschland rechts außen“ CDU-Mitglieder verunglimpft hat? Wird sie die Subvention von Windkraft im Thüringer Wald unterstützen, gegen die Mario Voigt im Wahlkampf noch Front gemacht hat?
Das sind nur zwei Punkte, an denen sich die Glaubwürdigkeit der CDU-Abgeordneten misst. Es wird Zeit, dass die CDU-Basis deutlich macht, was sie von ihren Volksvertretern erwartet. Vor allem sollten sich alle klar machen, dass die Linke nach viermaliger Umbenennung nach wie vor die alte SED ist. Man muss nur hinter die bunte Fassade schauen und ernst nehmen, wenn einem Funktionär ab und zu mal rausrutscht, wie sie wirklich denken. So sagte Rixinger, der scheidende Linke-Chef kürzlich auf einer Strategie-Konferenz, dass man die „Reichen“, statt sie zu erschießen in Lager stecken und “nützliche Arbeit“ verrichten lassen wolle.
Das klingt ganz nach dem Motto: „Vorwärts Genossen, es geht zurück“.