Von Gastautor Boris Hollas
Für die einen ist er der Mann, der einen der erfolgreichsten Landesverbände der AfD führt, der das Wahlergebnis seiner Fraktion in Brandenburg verdoppeln konnte, für die anderen jemand, der seiner Partei Verstrickungen in rechtsextreme Organisationen bewusst verheimlicht hatte – eine arglistige Täuschung, die zum Verlust der Mitgliedschaft führen muss. Was ist bisher bekannt?
Nach Recherchen der ARD und des RBB hat Kalbitz im Juli 1993, damals 20 Jahre alt, an einem Sommerlager der „Heimattreuen Jugend“ in Thüringen teilgenommen. Sein Name findet sich auf einer Liste, die die Polizei nach einer Durchsuchung des Lagers und einer Kontrolle der Personalien der Teilnehmer erstellt hatte.
Im Jahr 2007, die „Heimattreue Jugend“ hatte sich inzwischen in „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) umbenannt, soll Kalbitz ein Pfingstlager der HDJ auf dem Privatgelände eines NPD-Mitglieds in Eschede besucht haben. Aufnahmen der ARD zeigen Kalbitz in kurzen Hosen zwischen Zelten, über dem Eingang steht „der Heimat und dem Volke treu“. Nachdem er zunächst vorgab, sich an den Besuch nicht erinnern zu können, räumte er schließlich ein, als Gast teilgenommen zu haben, um sich „das mal anzuschauen“ – 14 Jahre nach der Teilnahme am Sommerlager in Thüringen.
Die HDJ – ein Name, der auffallend an „HJ“ erinnert – war nicht bloß eine Art Pfadfindertruppe. In ihrer Vereinszeitung „Funkenflug“, Ausgabe 2/2005, ist zu lesen:
„Der 30. Januar 1933 wird Ausgangspunkt einer der größten Wendungen, die die Geschichte des deutschen Volkes kennt. Nach Zurückgewinnung des Saarlandes, Österreichs, Sudetendeutschlands und der Inschutzstellung Böhmen und Mährens repräsentieren über 630.000 Quadratkilometer Fläche und 85,7 Millionen Einwohner das neu entstandene Großdeutschland…. Auch wenn Vertriebenenverbände aufgehört haben, daran zu glauben, deutsche Gebiete wieder zurückzuerhalten, halten wir doch fest an deutscher Heimat, an deutschem Boden fest. Egal wie klein der Verzicht auch sein mag, er bleibt Verrat.“
Im HDJ-Kalender 2008 wird Otto Ernst Remer, als treuer Gefolgsmann Hitlers an der Niederschlagung des Umsturzversuches der Gruppe um Stauffenberg beteiligt und Mitbegründer der 1952 verbotenen „Sozialistischen Reichspartei“, mit den Worten gelobt: „Er ist ein Beispiel für treue Pflichterfüllung und Liebe zu seinem Vaterland“. Bei einer Durchsuchung in Wohn- und Geschäftsräumen mutmaßlicher Angehöriger der HDJ wurden Hakenkreuzfahnen und ein Stahlhelm mit SS-Runen gefunden. Die HDJ wurde 2008 verboten.
Nun soll dem Verfassungsschutz ein Mitgliederliste der HDJ vorliegen, in der sich unter der Nummer 01330 die „Familie Andreas Kalbitz“ befindet. Aber was ist mit der eidesstattlichen Erklärung des ehemaligen HDJ-Leiters Sebastian Räbiger, die Kalbitz entlasten soll? Darin steht: „Die Tatsache, dass einer Person … eine solche Nummer zugewiesen worden ist, bedeutet daher nicht, dass diese Person Mitglied der HDJ war.“ Die Kernfrage, ob Kalbitz Mitglied war, beantwortet aber auch Räbiger nicht. Vermutlich war Kalbitz im Jahr 2007 tatsächlich kein Mitglied der HDJ. Denn, so ist im Bericht des Verfassungsschutzes Brandenburg 2008 zu lesen:
„Der eigentlichen Organisation sind verschiedene so genannte „FFK“ (= Freundes- und Familienkreise) angegliedert. … Die FFK bilden die Schnittstelle zwischen den Generationen innerhalb der HDJ. Während die HDJ als Jugendorganisation nur Personen im Alter von sieben bis 29 Jahren umfasst, gibt es bei den FFK keine altersmäßige Beschränkung. … Es zielt darauf ab, ein rechtsextremistisches ,,Angebot für die ganze Familie“ zu schaffen … Scheiden Personen altersbedingt aus der HDJ aus, bleiben sie über die FFK der HDJ weiterhin verbunden. Kontakte und Netzwerke bleiben bestehen, um später die eigenen Kinder an die HDJ heranzuführen.“
Denkbar also, dass Kalbitz dem HDJ-FFK angehörte. Unplausibel erscheint hingegen, dass ein unbedarfter Außenstehender gleich zweimal an wichtigen Veranstaltungen einer verschworenen Gemeinschaft teilnimmt.
Völlig außer Frage aber steht: Wer einer Neonazi-Organisation wie der HDJ in welcher Form auch immer nahestand, der darf kein Mitglied einer bürgerlichen Partei sein – und erst recht kein Landesvorsitzender. Wenn die Abgrenzung zum rechten Rand nicht bloß ein Lippenbekenntnis sein soll, dann muss sich die AfD jetzt hinter Meuthen und das Urteil des Schiedsgerichtes stellen.