Wohnen: Die Großstadtblase platzt – und die Grünen gleich mit?

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Von Gastautor Annette Heinisch zuerst erschienen auf achgut

Meine heimliche Leidenschaft ist Architektur. In meiner Schulzeit liebte ich die Fächer mit Rechenheften, weil ich in denen so gut Grundrisse oder ganze Städte zeichnen konnte. Sah sogar gut aus, als würde ich mir eifrig Notizen machen. Mit den Jahren wurde mir immer deutlicher, wie stark dieser Bereich Spiegel des jeweiligen Zeitgefühls ist. Heute sind optisch bestenfalls als anspruchslos zu bezeichnende „Duplo-Häuser“ modern, also Häuser, die aussehen, als hätten sie Kindergartenkinder aus ihren Duplo-Steinen zusammengebaut: Spiegelbild der infantilen Gesellschaft ohne Sinn für Ästhetik und Harmonie? Die reichliche Verwendung von Glas, Durchsichtigkeit an allen Ecken und Enden – der bauliche Ausdruck von Transparenz, eine Art „transparency international“?

Dann das aus dem Amerikanischen übernommene „open concept“, offene Grundrisse ohne abgegrenzte Funktionsbereiche und Rückzugsorte, die „flow“ vermitteln sollen. Bis vor wenigen Jahren nur bei kleinen Wohnungen aufgrund des Platzmangels umgesetzt, ist es heute Grundkonzept vieler Häuser und Wohnungen, nur bei sehr hochpreisigen Immobilien sind die Küchen noch vom Wohnbereich abgetrennte Räume. Diese Grundrissgestaltung korrespondiert mit der weit verbreiteten Einstellung allgemeiner Grenzenlosigkeit. Das betrifft ja nicht nur Staatsgrenzen, sondern auch Grenzen des Zulässigen beim Verhalten: Natürlich diffamiert und diskreditiert man „Andersgläubige“ nicht, natürlich zerstört, plündert und brandschatzt man nicht, wenn man demonstriert usw.. Aber Grenzen gelten nicht mehr, der „flow“ der Wohnraumgestaltung ist Ausdruck einer fluiden Lebensgestaltung.

So komplett anspruchslos die Bauwerke in der Optik sind, so anspruchsvoll sind sie in technischer Hinsicht. Dabei meine ich nicht einmal das „smart home“ – einer muss ja smart sein, wenn nicht der Bewohner, dann zumindest das Heim – sondern die zahlreichen Anforderungen an die Bautechnik. Nehmen wir als Beispiel die luftdichten Häuser. Heizenergie darf nicht verloren gehen, also macht man die Häuser luftdicht. Solche Bauwerke könnten allerdings für ihre Bewohner mörderisch sein, denn bekanntlich benötigen Lebewesen Sauerstoff zum Atmen, zugleich atmen sie CO2 aus. Probleme machen auch Kamine oder Öfen, welche ebenfalls Sauerstoff zum Brennen benötigen und Kohlenmonoxid – und -dioxid „produzieren“. Also mussten Öfen so konstruiert werden, dass sie raumluftunabhängig mit einer eigenen Sauerstoffzufuhr funktionieren. Und was macht man mit Menschen? Ersticken lassen? Umweltfreundliches Bauen als tödliche Falle? Der Mensch scheint in den letzten Jahren zunehmend Störfaktor einer als ideal visionierten Welt zu sein.

Aber Menschen sind findig, so wurde die KWL erfunden, die kontrollierte Wohnraumbelüftung. Diese ist im einfachsten (und häufig verwendeten) Fall ein Loch in der Wand mit einem Gitter davor, um Ungeziefer abzuhalten. Statt also geringfügig undichter Fenster und Türen gibt es nun ein Loch in der hochabgedichteten Wand. Fortschritt, ick preise dir! Dass das eventuell nicht das Gelbe vom Ei ist, sprach sich relativ schnell herum, nicht zuletzt, weil es kalt wird und zieht. Mittlerweile gibt es die KWL mit Wärmerückgewinnung, überhaupt regelbare KWL entweder zentral oder dezentral, denn je nach Nutzung hat die Rechtsprechung, die sich umfangreich damit befassen musste, verschiedene Anforderungen an die KWL formuliert. Wohnungen, bei denen die Nutzer nicht immer anwesend sind und lüften können, müssen so gestaltet sein, dass sie sich selber ausreichend lüften, so dass kein Schimmel entsteht. Schließlich muss man davon ausgehen, dass die Bewohner die Wohnung im Wesentlichen zum Schlafen nutzen und generell nicht gelernt haben, wie man Räume richtig lüftet.

Das ist nur ein kleines Beispiel für die ungeahnten technischen Herausforderungen, welche die neue, umweltbewusste Welt dem Bauen zumindest in Deutschland auferlegt. Fragen Sie einmal einen Briten nach einer KWL, der hat keine Ahnung, was gemeint ist. Solche Auflagen machen das Bauen natürlich noch teurer, was wiederum dazu führt, dass nicht nur großzügiger Wohnraum Mangelware wird, sondern auch die „Wohnung von der Stange“ zwecks Ausnutzung von Skaleneffekten sich weiterverbreitet. Zudem wird höher und verdichteter gebaut. Trotz der beengten und beengenden Lebensweise schien aber der Hang zur Urbanisierung bisher ungebrochen. In Städten werden die Wellen gemacht, die Trends produziert, deren Teil „man“ sein will, um ein wertvolles Mitglied der Herde zu sein.

Nicht wirklich überraschend ist, dass Altbauwohnungen mit hohen Decken, Stuck und keineswegs pflegeleichtem Parkett gerade in Großstädten so beliebt sind, vermitteln diese doch – neben dem ganz anderen Raum – auch ein angenehmeres Lebensgefühl. Stil, Charme und Würde sind eben etwas anderes als KWL in Baukasten-Häusern. Es ist wie mit den Schulen: Diejenigen, die dem Volk Gesamtschulen und andere Masseneinrichtungen vorschreiben, sorgen dafür, dass ihre eigenen Kinder eine hochwertige und individuelle Erziehung und Bildung in teuren Einrichtungen erhalten.

Nun scheint sich der Trend umzukehren. Eingesperrt wegen Corona werden die Lasten des zusammengepferchten Massendaseins und die Gefahren der Großstadt schmerzlich spürbar.

Zunächst konnte der Immobilieninteressierte lesen, dass die „Northeasterners“ seit der Steuerreform 2018 in Florida (keine länderspezifische Einkommensteuer mehr) vermehrt Immobilien kaufen. Durch Corona ziehen sie nun verstärkt auf Dauer dorthin. „And in the midst of the Covid-19 pandemic, demand has continued to rise as buyers flee crowded cities for more space, larger properties, and a stronger sense of safety.” Es hat sich auch gezeigt, dass man nicht unbedingt nahe beim Arbeitsplatz leben müsse, also steht dem Umzug nichts im Weg.

In den als Trendsetter geltenden Regionen in Kalifornien, Los Angeles und San Francisco haben sich die Wünsche der Interessenten ähnlich grundlegend gewandelt. Eine hochpreisige Villa, die mit Anspielungen an Goldfinger vermarktet werden sollte, war drei Jahre lang auf dem Markt, fand aber keine Käufer. Die Glitzer – und Glamourwelt entspricht schlicht nicht mehr dem Zeitgeist.

Corona hat diese grundlegende und rapide Trendwende von „flashy to family friendly“ verstärkt. Stylische Häuser sind nicht mehr gefragt, denn durch den Lockdown gab es kein „entertaining“ von Bekannten mehr, Präsentation wurde irrelevant. Was nunmehr zählt ist (Frei)Raum, Rückzugsorte zu haben, sich zu Hause selbst wohl und heimisch zu fühlen. Außerdem ist es neuerdings wichtig, dass Häuser „character“ haben, Klasse zählt, daher sind historische Häuser mit „Stammbaum“ gefragt:

„Die Käufer, die sich vor fünf Jahren für schlanke, weiße, minimalistische Häuser interessierten, suchen jetzt nach einem weicheren Aussehen und organischeren, natürlichen Materialien. Viele der jüngsten Blockbuster-Deals in Los Angeles betrafen auch historische Häuser mit Stammbaum, anstatt neu gebaute Glaskästen. Zu den teuersten Häusern, die in den letzten Jahren verkauft wurden, gehören das Spelling Mansion, das für knapp 120 Millionen US-Dollar verkauft wurde, und das Chartwell-Anwesen, das für 150 Millionen US-Dollar verkauft wurde. Beide Häuser könnten in Sachen Design nicht weiter von der Gegenwart entfernt sein. “

Eine ähnliche Entwicklung gibt es weltweit. So ist ein Designerhaus eines bekannten Architekten in Sydney seit zwei Jahren auf dem Markt. 

Diese gewandelten Ansprüche an die Lebensqualität scheinen auch nach Europa zu schwappen. Von Freunden in London weiß ich, dass sie gerne die Stadt während Corona verlassen hätten, es aber nicht durften. „Who would know? You might ask, but in smaller communities there has been a Stasi-like spying out for in-comers.” Aber auch dort herrscht die Ansicht vor, dass sich der Trend, London zu meiden, zukünftig verstärken wird. „Commuting is likely to go down. In fact there was already a trend for people not to commute every day of the week.” London wurde von vielen Einheimischen schon lange als Moloch empfunden, hatte nichts mehr mit „ihrem“ London zu tun. Viele zogen daher bereits aus der Stadt, vermutlich wird sich dieser Trend fortsetzen, möglicherweise aber zunächst etwas aufgefangen von Neuankömmlingen aus Hongkong.

Für Paris scheint der Lockdown noch erheblichere Konsequenzen zu haben. Nach Presseberichten haben über eine Million Bewohner den Großraum Paris verlassen, sogar 25 Prozent der Pariser, die innerhalb der peripherique, dem innerstädtischen Autobahnring, wohnen. Viele wollen nicht mehr zurück.

Begründet wird diese Entscheidung mit weniger Stress, mehr Natur, niedrigeren Lebenshaltungskosten, höherer Lebensqualität. Die „Welt“ zitiert eine Französin mit den Worten: „Die Rechnung war ziemlich einfach gemacht. Paris ist die ersten Jahre toll, wenn man aus der Provinz kommt, die Cafés, Museen und Restaurants genießen kann. Aber wenn man dann eine Familie gründet, in beengten Verhältnissen lebt und ohnehin nicht mehr die Zeit hat, ins Theater zu gehen, verändern sich schnell die Prioritäten. Irgendwann dachte ich: Mein Sohn kann hier auf der Straße nicht einmal Fahrradfahren lernen.“

Das gibt das Gefühl treffend wieder. Durch das Internet ist der Wohnort mittlerweile gleichgültig, Amazon liefert überall. Ins Theater, die Oper usw. geht man nicht täglich, und nichts hält einen davon ab, dafür in die Metropole zu fahren – und anschließend erleichtert aufatmend wieder weg. So war es früher schon z.B. in London, wo der Adel lediglich ein Stadtdomizil hatte, ebenso in Berlin. Man verbrachte den unwirtlichen Winter in der Stadt, besaß jedoch seinen Hauptwohnsitz auf dem Land.

Als gebürtige Großstädterin, die nun auf dem Land lebt, kann ich dessen Vorteile bestätigen. Allerdings ist der Satz „Ich lebe auf dem Lande“ eine Übertreibung, entsprungen einer angeborenen Arroganz der Großstädter Orten gegenüber, die weniger als 1 Mio. Einwohner haben. Die sind – klarer Fall – Land. Bei objektiver Betrachtung lebe ich in einer Stadt, einem sogenannten Mittelzentrum mit zahlreichen Geschäften, Kino, Theater und Veranstaltungen, Krankenhäusern, Schulen und allem vor Ort, was man zum Leben benötigt. Das Leben hier ist tatsächlich rein städtisch, doch sind die Grundstücke großzügiger, die Natur ist sofort vor der Tür, was zahlreiche Möglichkeiten der Freizeitgestaltung eröffnet. Da ich im Einzugsbereich einer Metropole lebe, nur unwesentlich weiter entfernt als deren Vororte, genieße ich das beste von zwei Welten. Entspanntes und freies Leben mit den Anregungen und den Einrichtungen der Metropole in 45 Minuten Entfernung.

Wenn sich diese Trendwende ähnlich auch in Deutschland durchsetzen sollte und die kosmopolitischen Eliten ihren internationalen Gegenstücken nacheifern, dürfte dies zu erheblichen Änderungen führen.

Die Entsiedelung des ländlichen Raums könnte aufgehalten werden. Zwar werden wohl nur die Wenigsten wirklich in kleine Dörfer ziehen, aber das ist auch gar nicht nötig. Wenn die Mittelzentren und eventuell auch die Unter-/Grundzentren gestärkt werden, dadurch mehr Arbeitsplätze in der Fläche entstehen, was in Deutschland aufgrund der vorhandenen Struktur viel leichter möglich ist als in anderen Ländern, werden auch die Dörfer wiederaufleben. Keiner muss mehr zwingend wegziehen, weil er keine Arbeit bekommt; feste soziale Strukturen stärken den Zusammenhalt.

Politisch kann dies von ausschlaggebender Bedeutung sein. Die urbanen Zonen sind das Revier der Grünen, denn dort gibt es Staus und Luftverschmutzung, die Natur hingegen fehlt. Es sind „Stadtfräcke“, die daher ein romantisch verklärtes Bild vom Leben im Grünen haben. Ihnen ist nicht klar, dass ihre eng limitierte Welt, deren Horizont an den Grenzen ihres Stadtviertels endet, nicht überall gleich ist. Das Denken in ÖPNV-Netzen ist typisch für sie. Es sind diese Großstadtblasen, die sehr spezielle Denkmuster produzieren, vervielfältigen und zu einem Gruppendenken verfestigen, welches mittlerweile Merkmale des Totalitären enthält.

„Segregierte Identitätsblasen, in denen Menschen dazu neigen, nur mit Menschen zu sprechen und zu interagieren, die genauso sind wie sie selbst, sind die Grundlage der gegenwärtigen Treibhausatmosphäre kultureller Intoleranz. Und in den letzten Wochen, in denen alle zu Hause im Lockdown waren, haben sich die polarisierten Blasen noch intensiviert.

Man stelle sich vor, diese Menschen zögen aus ihrer Blase weg und würden Bekanntschaft mit der Welt „da draußen“ machen. Einer Welt, in der fluide Geschlechter ebenso wenig eine Rolle spielen wie Hautfarbe, in der man über Natur nicht redet, sondern in ihr lebt. Eine Welt, die entspannt ist. Für Massenhysterie fehlt es schlicht an der Masse, aber auch grundsätzlich an Aufgeregtheit und vielleicht auch Überkandideltheit.

Damit würde man Amanda Ripleys Rat im Umgang mit Massen beherzigen, sich vorsichtig zur Seite zu bewegen, um der gefährlichen Strömung zu entkommen. Für das politische Klima könnten mehr entspannte Menschen mit Bodenhaftung den entscheidenden Unterschied machen.



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