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Von den staatsnahen Medien wird uns immer wieder nahegelegt, der Politik zu vertrauen und auf ihre Problemlösungskompetenz zu setzen. Diese Forderung wird umso häufiger erhoben, je intransparenter die politischen Entscheidungen sind. Ein Beispiel für peinlichste Regierungsapologetik ist Thomas Schmid, ein ehemaliger 68er Sponti und scharfer Gegner des „Schweinesystems“, zuletzt in Berlin Chefredakteur und dann Herausgeber der „Welt“-Gruppe. Er schreibt auf seinem Welt-Blog tatsächlich:
„Es war allein die – von Virologen beratene – Politik, die in einem ganz und gar einmaligen Kraftakt in der Lage war, allen Bürgern ein rigoroses Selbst- und Fremdschutzregiment zu verordnen. Ein wenig Vertrauen in die Vernunft der Regierenden täte derzeit not.
Sie werden schon deswegen ihr Bestes zu geben versuchen, weil sie wie alle anderen Bürger auch Betroffene und potenzielle Opfer des Corona-Virus sind. Während sich Kaiser Wilhelm II. keinen Tag lang im Schützengraben dem feindlichen Feuer aussetzen musste, steht Jens Spahn rund um die Uhr an der Corona-Front. Politiker entscheiden oft über andere. Heute entscheiden sie auch über sich selbst. Sie sind nicht so sehr Machthaber als vielmehr so etwas wie Familienväter und -mütter der gesamten Bevölkerung. Da spricht einiges dafür, dass sie das Richtige wollen.“
Abgesehen davon, dass sich die Regierung von Virologen beraten ließ, die schon in Sachen Schweinegrippe falsch lagen und keine zweite Meinung eingeholt, geschweige denn die heftige Kritik von Fachleuten berücksichtigt hat, sind Maßnahmen, wie das Verbot, mit dem Buch allein auf der Bank zu sitzen oder den Ostseestrand komplett zu sperren, kaum das „Richtige“.
Wie wenig sich Jens Spahn an der Corona-Front sieht, zeigt seine legendäre Fahrstuhlfahrt, in der er und seine zahlreichen Begleiter alle selbst aufgestellten Regeln missachteten. Wenn er sich selbst als Betroffener sähe, wäre ihm dieser Verstoß gegen die Abstandsregeln nicht passiert.
In der vergangenen Woche hat die SPD allen vor Augen geführt, worum es den Politikern wirklich geht. Parteien sind zu Postenverteilern mutiert. Werden die Ansprüche nicht bedient, kann es schon mal zu heftigen Verwerfungen kommen. Wenn man sich die Ministerriege der Regierung Merkel anschaut, dann könnte man eigentlich schon wissen, dass Fachverstand bei der Ressortzuteilung das Letzte ist, was zählt. Es geht allein danach, welche Person und welcher Landesverband der jeweiligen Partei „bedient“ werden müssen. Nur noch in den seltensten Fällen passiert es, dass in ein Amt die notwendigen Kompetenzen eingebracht oder in ihm entwickelt werden.
Ein solch seltener Glücksfall war der Wehrbeauftragte der SPD, Hans-Peter Bartels, der in seiner Amtszeit sehr viel Gutes für die von der inkompetenten Verteidigungsministerin von der Leyen gebeutelten Bundeswehr getan hat. Nun steht die Wiederwahl an. Bartels wäre für eine zweite Amtszeit bereit gewesen und hätte sie verdient. Aber die innerparteilichen Postenschacherei, in der CDU-Bundestagsfraktion werden sie übrigens „Teppichhändler“ genannt, ob bei der SPD auch, weiß ich nicht, entschieden anders.
Genossin Eva Högl musste unbedingt versorgt werden. Högl, eine Rechtspolitikerin, die gern Justizministerin geworden wäre, aber von Franziska Giffey, die auch aus Berlin stammt, verdrängt wurde, musste unbedingt bedient werden. Zwar hat Högl keinerlei Expertise in Sachen Bundeswehr, aber darauf kommt es eben schon lange nicht mehr an. Die Entscheidung Högl zur Wehrbeauftragten zu machen zeugt auch von einem verstörenden Desinteresse der Regierungspartei SPD an der Bundeswehr.
Nun wäre die Fehlentscheidung vermutlich mehr oder weniger schnell vergessen worden, hätte sie nicht zu heftigen innerparteilichen Verwerfungen und zwei spektakulären Reaktionen geführt. Die renommierte Journalistin Susanne Gaschke verließ nach fast dreißig Jahren die Partei und begründete ihren Schritt in einem Offenen Brief, der eine vernichtende Analyse der Fehlentwicklungen der SPD enthält.
Um das Maß vollzumachen, legte der Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, einer der heftigsten Twitter-Pöbler neben Ralf Stegner, alle seine Funktionen und sein Bundestagsmandat nieder. Er fühlte sich übergangen. Seiner Meinung nach hätte der Posten des Wehrbeauftragten ihm zugestanden. Er wäre ihm auch zugesagt worden. Aber der als Strippenzieher bekannte Kahrs, der seine Gefolgschaft Jahrzehnte erfolgreich mit Posten versorgt hat, musste nun am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, Objekt anderer Strippenzieher zu werden.
Diesen Politikern sollen wir vertrauen, weil sie das „Richtige“ tun? Nein, auf keinen Fall. Denn Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. In unserem Fall sogar notwendig, wenn wir die offene Gesellschaft mit ihren von unseren Vorfahren hart erkämpften emanzipatorischen Errungenschaften bewahren wollen.