Von Gastautor Michael Wolski
Nach der preußischen Niederlage in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt zog der französische Kaiser Napoleon Bonaparte Ende Oktober 1806 in Berlin als Sieger ein. Am 21. November erließ er das Berliner Dekret, welches eine totale Wirtschaftsblockade gegen England verhängte, die Kontinentalsperre.
Die britischen Inseln wurden zum Blockadegebiet erklärt, Großbritannien sollte mit Hilfe dieser Blockade zu Verhandlungen gezwungen werden und sich Napoleon Bonaparte unterwerfen, dem Kaiser von Frankreich und König von Italien.
Diese, im Siegestaumel erfolgte Wirtschaftsblockade Englands war eine Revanche auf den Verlust der französischen Marine in der Schlacht bei Trafalgar am 21. Oktober 1805, als Frankreich (verbündet mit den Spaniern) 20 Schiffe verlor und die Briten durch den Sieg Admiral Nelsons zur einzigen weltweiten Seemacht aufstiegen.
Napoleon organisierte diese Blockade als Hafenblockade, da er die Hoheit auf See verloren hatte. Der Handel mit englischen Waren wurde verboten. Jede aus England kommende oder aus seinen Fabriken und seinen Kolonien stammende Ware wurde zur Beute erklärt. Kein direkt aus England oder aus den Kolonien kommendes Schiff durfte in einen französischen Hafen einlaufen.
Frankreich hatte bereits große Teile Europas erobert, deshalb erstreckte sich diese Blockade auch auf die eroberten Gebiete.
„Bis Ende 1807 waren alle europäischen Staaten mit Ausnahme von Schweden der Kontinentalsperre beigetreten. Die Folgen des Embargos machten sich in England rasch bemerkbar. Der Export britischer Waren ging stark zurück, ebenso der Handel mit Produkten aus den Kolonien. Besonders die Textilindustrie lag danieder; in Lancashire brachen im Sommer 1808 Unruhen aus. Napoleon glaubte sich bereits am Ziel seiner Wünsche.“
Und weiter heißt in diesem Bericht:
„Trotz rigoroser Kontrollen entwickelte sich ein schwunghafter Schmuggel. Britische Waren wurden über die Türkei und den Balkan nach Wien gebracht und von hier aus zu den Messeplätzen in Leipzig und Frankfurt am Main. Zu einem Eldorado des Schleichhandels wurde die kleine Insel Helgoland, die die Engländer 1807 den Dänen abgenommen hatten.“
Durch den Austritt Russland aus der Blockadefront Ende 1810 wurden russische Häfen für englische Waren geöffnet. Napoleon entschloss sich deshalb zu seinem Russlandfeldzug, der 1812 scheiterte. 1813 war die Kontinentalsperre dann Geschichte.
Zum 1. Februar 2020 hat Großbritannien die EU verlassen und jetzt bringen sich EU-Politiker und Präsident Macron in Stellung, um die Bedingungen für die künftigen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen auszuhandeln. Seit diesem 1. Februar ist unter den Mitgliedern der Europäischen Union nur noch Frankreich Nuklearmacht und ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Präsident Macron – als nun einziger starker Mann der EU – hat schon einen Katalog von Maximalforderungen an den britischen Premierminister aufgemacht, unterstützt von der EU-Kommissionschefin.
- Die EU will britischen Unternehmen den Zugang zum Binnenmarkt mit seinen Freizügigkeiten von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Personen nur dann lassen, wenn Großbritannien sich den EU-Standards unterwirft.
- Die französische Regierung, die den britischen Wettbewerb besonders kritisch sieht, hat bereits klargemacht, dass ihr die einfache Übernahme europäischer Standards nicht genügt. Großbritannien müsse sich vielmehr darauf verpflichten, künftige Änderungen bei EU-Regeln automatisch mitzumachen. Andernfalls könne der Zugang zum Binnenmarkt nicht gewährt werden.
Johnson hat sofort erklärt, dass er eine Angleichung an EU-Regeln ablehnt und auch die Jurisdiktion des EU-Gerichtshofs. Der harte Brexit wird kommen, wenn die Trennung nicht einvernehmlich bis Ende 2020 erfolgt. Jahrelange Verhandlungen lehnen die Briten ab. Der Standpunkt der EU ist, dass der Austritt so komplex ist, dass man mehrere Jahre brauchen wird, um alles zu klären.
Weitere wichtige Streitpunkte sind aus französischer Sicht die Fischereirechte, Landwirtschaft sowie Sicherheitsfragen und der Zugriff auf Datenbanken.
Manfred Weber, der Fraktionsvorsitzende der EVP in Brüssel äußerte wortstark, dass man nicht zulassen werde, dass vor den Toren Europas ein Steuerparadies à la Singapur entstehe. Er pocht auf die Anwendung von EU-Standards durch die Briten, hohe Steuern inklusive.
In dieser Situation wirft Napoleons Kontinentalsperre von 1806 einen bedrohlichen Schatten. Auch wenn es sicher keine militärische Konfrontation geben wird, wie will man in gut 10 Monaten diese unversöhnlichen Positionen überwinden? Man glaubt heute in Brüssel und Paris am längeren Hebel zu sitzen, aber das dürfte sich als Irrtum erweisen. Wie will Herr Weber verhindern, dass London seine Steuern weit unter das hohe EU-Niveau senkt?
Was passiert, wenn London ab Januar 2021 nicht mehr gesprächsbereit ist und kein Abkommen erzielt wurde? Wenn erst zu diesem Zeitpunkt in Brüssel und Paris verstanden wird, dass man das Blatt überreizt hat? Außenwirtschaftsrecht ist EU-Recht. Es ist von allen Mitgliedsländern umzusetzen. Was passiert, wenn einige Mitglieder sich nicht fügen wollen? Was passiert dann konkret?
Kommt dann die 2018 von Macron in weiser Voraussicht initiierte und auch von Deutschland unterstützte EU-Eingreiftruppe zum Einsatz?
- Wird dann, wie vor 210 Jahren die Einfuhr von Waren aus Großbritannien verboten oder mit exorbitanten Zöllen belegt?
- Was passiert mit den Exporten aus der EU nach Großbritannien? Brechen sie massiv ein?
- Wie lange kann die EU das durchhalten? Napoleon scheiterte mit seiner Kontinentalsperre trotz seiner Armee bereits 1813, im 7. Jahr. Sein Ende wurde dann auf dem Wiener Kongress 1815 besiegelt, der eine Neuordnung Europas brachte.
- Damals gab es aber noch keine internationale Arbeitsteilung!
- Welche EU-Mitgliedsländer werden als erste aus der Blockadefront ausscheren, da sie ihre Wirtschaftsinteressen verletzt sehen und mit inneren Unruhen rechnen müssen?
- Wird die Nichtbefolgung der Brüsseler Trennungsforderungen durch London der Auslöser für einen rasch fortschreitenden Zerfallsprozess der EU?
- Kommt es im Ergebnis auch zur Segregation in einigen Mitgliedsländern und so zur Entstehung neuer Länder und auch Zusammenschlüssen bestehender Länder?
Heißt es dann „Bienvenue en République du Corse“ oder gar „Willkommen in Wien, der Hauptstadt der Alpenrepublik“?