Wahlkrimi in Thüringen: Wie die Thüringer Verfassung im dritten Wahlgang einen Ministerpräsidenten auch ohne Mehrheit erzwingt

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Wir lernen in diesen Zeiten in unserem Land die Demokratie immer wieder neu. Und dabei ergibt sich Überraschendes: Würde man landläufig denken und ich gebe unumwunden zu, dass es mir auch nicht anders ging, (mein gestriger Artikel ist der Beweis) dass ein Ministerpräsident nicht gegen eine parlamentarische Mehrheit ins Amt gewählt werden kann (man denke nur an die unsägliche Dauerblockade eines AfD-Vizepräsidenten durch eine Mehrheit im Bundestag), so ist man einem gewaltigen Irrtum erlegen.

Die Thüringer Verfassung hat dies tatsächlich explizit anders geregelt.

Im ersten oder zweiten Wahlgang benötigt man im Thüringer Landtag laut Paragraph 70 Absatz (3) Satz eins und zwei der Thüringer Verfassung die absolute Mehrheit (‚Mehrheit der Mitglieder‘), also 46 Stimmen.

Bodo Ramelows Linksblock bringt es nur auf 42 Stimmen.

Im dritten Wahlgang ist aber alles anders: Hier will die Thüringer Verfassung (und sie ist damit nicht allein in Deutschland) auf Biegen und Brechen einen Ministerpräsidenten.
„Kommt die Wahl auch im zweiten Wahlgang nicht zustande, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält.“
Was sich anhört wie eine obskure Regelung einer Juso-Ortsgruppe ist tatsächlich Verfassungsrecht, wie ein 2014 explizit auf die Thüringer Situation geschriebenes Gutachten des Verfassungsrechtlers Prof. Martin Morlock bestätigt.

Gewählt ist der Kandidat mit den meisten ‚Ja‘-Stimmen, egal ob eine Mehrheit im Parlament gegen ihn steht. Im Falle nur eines Kandidaten sagt Prof. Morlock wäre dieser Kandidat theoretisch mit nur einer ‚Ja‘-Stimme bei 89 ‚Nein‘-Stimmen gewählt. Prof. Morlock führt sogar aus, dass der Wahlzettel so ausgestaltet sein muss, dass nur der Kandidat oder ggfs. die Kandidaten auf dem Zettel stehen. Eine Enthaltung oder Nein-Stimme ist als gültige Stimme nicht vorgesehen. Der oben beschriebene Fall hieße also, es wäre möglich, dass nur ein MdL einen gültigen Stimmzettel, also einen mit Kreuzchen bei ‚Ja‘ versehenen Stimmzettel in die Urne wirft.

Die gegenwärtige Thüringer Verfassungslage hat ganz klare politische Konsequenzen für die konservativ-liberale Mehrheit: Ohne Gegenkandidaten kann Ramelow zwar in den prestigeträchtigen ersten beiden Wahlgängen verhindert werden, aber im dritten Wahlgang ist seine Wahl durch den Linksblock sicher, wenn es keinen Gegenkandidaten gibt.

Prof. Morlock weist in seinem ausführlichen, aber hochinteressanten Gutachten auch darauf hin, dass eine Wahl im dritten Wahlgang praktisch identisch mit einem ‚Minderheitsministerpräsidenten‘ ist.

Die erzwungene Wahl des Ministerpräsidenten bringt aber auch erst einen weiteren sehr wichtigen Paragraphen ins Spiel. Nur durch die Wahl eines Ministerpräsidenten nach Neuwahl des Parlaments kommt die Option „konstruktives Misstrauensvotum“ ins Spiel. Dies ist Paragraph 73 der Thüringer Verfassung.

„Der Landtag kann dem Ministerpräsidenten das Misstrauen nur dadurch aussprechen, dass er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt. Den Antrag kann ein Fünftel der Abgeordneten oder eine Fraktion einbringen. Zwischen dem Antrag und der Wahl müssen mindestens drei, dürfen jedoch höchstens zehn Tage liegen. Die Wahl erfolgt in geheimer Abstimmung.“

Konkret für die Thüringer Situation: Sobald Ramelow ohne Mehrheit gewählt wurde, kann eine Fraktion, also die CDU oder die FDP oder ein Fünftel der Abgeordneten, also 18 MdL aus dem Block der 48 kernkonservativ-liberalen Mehrheit einen Kandidaten für ein konstruktives Misstrauensvotum aufstellen, der Bodo Ramelow als Ministerpräsident ablösen würde, wenn er oder sie die absolute Mehrheit von 46 oder mehr Stimmen erringt. Und dies innerhalb von 3 – 10 Tagen nach offizieller Nominierung.

Was bedeutet dies für die 48 MdL? Eine Verhinderung der Wahl von Ramelow und eine Fortsetzung der Connewitz-Koalition ist möglich, aber erfordert zwingend einen Kandidaten. Dieser könnte zur Wahl präsentiert werden, wenn der Linksblock Bodo Ramelow wiederwählen will, aber dies ist vielleicht gar nicht nötig: Da die Thüringer Verfassung einen Minderheitsministerpräsidenten praktisch erzwingt, kann man sich auch Zeit lassen. Ein neuer Ministerpräsident für Thüringen könnte in Ruhe gesucht werden und die Grundzüge einer neuen konservativ-liberalen Regierung könnten vereinbart werden. Nach der ersten Sommerpause könnte, wenn man denn den Mut dazu hätte, der Connewitz-Ministerpräsident ersetzt werden.

Eines kann die 48er Mehrheit nicht: Sich verstecken. Denn wenn Ramelow ohne Mehrheit regiert, dann hat sie jeden Tag die Verantwortung dafür, was in Thüringen passiert. Das Parlament gibt mehrheitlich die Richtung vor, ohne mehrheitliche Zustimmung kann die Minderheitsregierung kein Projekt durchbringen. Dafür ist aber nötig, dass sich die Opposition auf ihre Aufgabe besinnt. Sie ist nicht dazu da, die Regierung zu stützen, sondern ihre Positionen zu vertreten. Wer, wie CDU-Fraktionschef Mohring, behauptet es gäbe eine konstruktive und eine destruktive Opposition, zeigt nur, dass er das Wesen der Opposition nicht verstanden hat. Ein Landtagsabgeordneter, der nicht für seine Wähler kämpft, sondern sich von der Regierung treiben lässt, hat sein Mandat nicht verdient. Die Bürger werden genau hinschauen. Es gibt keine Ausreden.



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