Die Landtagsfraktion der CDU Thüringen trägt eine ungeheure Verantwortung: Ihre Entscheidung wird die Zukunft der CDU und der Union prägen, denn es gibt kein Wegducken. Da Linkspartei und AfD zusammen die Wahl in Thüringen gewonnen haben, braucht eine Regierungsbildung in Thüringen die Tolerierung einer der beiden populistischen Parteien durch eine Kraft aus dem bürgerlich-liberalen Lager.
Bilanzieren wir noch mal die Ausgangslage.
Die Sitzverteilung im Thüringer Landtag bietet ein komplexes Bild. Mit 90 Sitzen liegt im Thüringer Landtag die Regierungsmehrheit bei 46 Mandaten. Da Linkspartei und AfD zusammen 51 Mandate errungen haben, gibt es keine Regierungsmehrheit ohne Beteiligung entweder der stärksten Kraft Linkspartei oder der zweitstärksten Kraft AfD – da beißt die Maus keinen Faden ab.
Die abgewählte Connewitz-Koalition, der Linksblock aus Linkspartei, SPD und Grünen, bringt es auf 42 Mandate. Mit der FDP als Koalitionspartner käme man in einem Viererbündnis auf 47 Mandate – eine sehr wacklige Angelegenheit, die CDU und AfD als kernkonservative Opposition im Thüringer Landtag lassen. Dieses Szenario kann als Koalition oder Tolerierung ausgeschlossen werden. Der Preis für die FDP bei allen anstehenden Wahlen, vor allem der Bundestagswahl spätestens Herbst 2021, wäre viel zu hoch.
Damit zeigt die Betrachtung der Wirklichkeit im Thüringer Landtag ganz klar, dass der Ball bei der CDU-Fraktion liegt. Nach ihrer Wahlniederlage hat sie die Aufgabe, der konservativen Wählerschaft ein Angebot zu machen.
Gehen wir die Szenarien durch – eine echte Koalition der CDU mit der Linkspartei oder der AfD ist zum jetzigen Zeitpunkt undenkbar, bleiben also die anderen Szenarien: Fangen wir mit dem Wunschszenario des Linksblocks an. Nennen wir es das Hoff-Ramelow-Szenario. Die Connewitz-Koalition schließt einen neuen Koalitionsvertrag, es gibt eine links-rot-grüne Ressortverteilung und die Wahlverlierer von Thüringen versuchen einfach weiterzumachen, als ob es gar keine Wahlentscheidung gegeben hat. Sie setzen voll darauf, dass die unter der Merkel/GroKo-Ära inhaltlich entkernte CDU aus Angst vor schlechter Presse oder was auch immer dies einfach mitmacht. Obwohl es ein klarer Bruch des Hamburger Parteitagsbeschlusses ist, obwohl die CDU sich zerlegen würde, obwohl es ein Wahnsinn wäre, einer linken Dreierregierung zu weiteren fünf Jahren zu verhelfen, obwohl die Wählerinnen und Wähler in Thüringen etwas ganz anderes wollten.
Jeder politisch Denkende und erst recht jeder Demokrat fasst sich an den Kopf: Dieses Szenario ist so absurd, dass man es eigentlich kaum glauben kann: Und da man in diesem Land alles immer klar aussprechen muss: Wenn sich die 21 CDU MdLs im Thüringer Landtag so entscheiden, dann wäre dies dumm, gegen den Parteitagsbeschluss und schlicht Verrat an dem verbliebenen Kern (und dem Rest Hoffnung auf die Zukunft) der christdemokratischen Union, also der Partei, die bisher das Erfolgsmodell und Garant der Bundesrepublik war.
Eine Tolerierung eines von der Linkspartei geführten Connewitz-Linksblock in Thüringen gegen die klare Wahlentscheidung der Thüringer Bürgerschaft wäre der letzte verzweifelte Versuch an der längst abgelaufenen Merkel-Ära festzuhalten und wäre schlecht für Thüringen und verheerend für die Union.
Das Hoff-Ramelow-Szenario, eine Tolerierung der Connewitz-Koalition, darf nicht eintreten!
Aber was ist die Alternative? Die Alternative wäre eine informelle, aber effektive Mehrheit, die eine überparteiliche Landesregierung wählt und unterstützt und konstruktiv-kritisch begleitet. Es gäbe keine formalen Regierungsfraktion(en), keinen Koalitionsvertrag oder Tolerierungspapier. Aber dafür klare inhaltliche Ziele und ein permanentes Wechselspiel zwischen den Fraktionen, die die Mehrheit bilden und der Regierung, die sie stützen: Erster Schritt und Kern ist die Wahl des Ministerpräsidenten mit dessen inhaltlichem Profil und einer Wunschliste von Kabinettsmitgliedern, die aber noch mal einzeln auf fachlich-inhaltliche Eignung geprüft werden. Dieses Verfahren würde ein wenig an die Machtverteilung in Europa erinnern, wäre aber in Thüringern viel konkreter und flexibler. Während der Regierungszeit muss das Kabinett und jeder einzelne Ressortchef permanent um die Zustimmung der mehrheitstragenden Fraktionen ringen – ein Fest der Demokratie und eine signifikanter Einflusszuwachs für die Parlamentarier der Mehrheitsfraktionen.
Eine solche Projektregierung, der Begriff stammt von Alt-Ministerpräsident Dieter Althaus, wäre eine echte Innovation in Deutschland.
Und würde zumindest formal auch kein Bruch mit dem CDU-Parteitagsbeschluss sein, denn es wäre keine Koalition oder Tolerierung der Linkspartei oder der AfD, sondern eine konstruktiv-dynamische Zusammenarbeit mit der jeweiligen Fraktion zur Begleitung einer nicht von klassischer Parteikarriere geprägten Regierung. Ohne Koalitionsvertrag, ohne Tolerierungsvereinbarung. Kein Bündnis zwischen Parteien, sondern eine Mehrheit von Parlamentariern (die ja immer noch ihrer Partei und ihren Wählern verpflichtet wären).
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Koalitionsverträge eine Erfindung der Merkel-Jahre sind. Die Union-FDP-Regierungen kamen immer mit schlichten Koalitionsvereinbarungen aus. Die Ära Merkel hat vergessen lassen, dass Regieren nicht Koalitionsvereinbarungen abarbeiten heißt, sondern Probleme lösen. Wir haben inzwischen den absurden Zustand, dass die wirklichen Probleme wie eine Bugwelle vor sich hergeschoben werden, weil die nicht im Koalitionsvertrag stehen. Wie verheerend solche Verträge sind, hat Ministerpräsident Kretschmer bewiesen, der jetzt als Christdemokrat einer rot-grünen Regierung in Sachsen vorsteht, in der eine linksradikale Polizeihasserin ein Superministerium bekam, das auch für die politische Bildung verantwortlich ist. Mehr Wählerverachtung ist kaum möglich.
Eine Projektregierung ist eine Regierungsform, nach deren ernsthaftem Austesten sich viele Deutsche schon länger sehnen und die es in verschiedenen Formen in anderen Ländern in Europa längst gibt.
Diesen Weg kann und muss die CDU Landtagsfraktion in Thüringen gehen!
Mit 48 Mandaten haben AfD, CDU und FDP eine stabile Mehrheit. Wenn es gelänge, einen wirklich gut geeigneten, quasi-überparteilichen Kandidaten zu nominieren, mit einem Kabinett, in dem die Posten nicht nach Parteikriterien, sondern nach Kompetenz besetzt sind, könnte diese kernkonservative Mehrheit ganz klare Politik für Thüringen im Sinne des Wahlergebnisses machen: Konsequente Abkehr von der Linkspolitik der letzten fünf Jahre.
Die Hürden sind in diesem Szenario aber höher und erfordern ein Höchstmaß an Professionalität und Nervenstärke bei den drei Akteuren, von denen keiner für diese Art von Bündnis Erfahrungen hat. Gegen eine starke links-grüne Öffentlichkeit, gegen die linken Medien, natürlich gegen die Kanzlerin (eine kernkonservative Projektregierung in Thüringen wäre das sichere Aus für die GroKo und Kanzlerin Merkel), gegen das Adenauerhaus und sicherlich auch gegen Teile der CDU Thüringen. Aber die Chancen sind auch riesig: Diejenigen in der CDU Landtagsfraktion, die ein solches Szenario erfolgreich durchziehen würden, kämen nicht nur in die Geschichtsbücher, sondern wären die Aktiven in einem Schritt, der einen wirklichen Aufbruch in der neuen Dekade nicht nur in Thüringen bedeuten würde. Dieses Thüringen-Modell könnte wegweisend für ganz Deutschland werden.
Die Karten liegen auf dem Tisch – jetzt ist es Zeit zum Handeln.
Nachtrag: Warum rede ich über eine Projektregierung Ramelow-Mohring nicht? Immerhin war dies der ursprüngliche Ansatz von Althaus?
Ganz einfach: Bodo Ramelow hat dem heute eine brüske Absage erteilt: Mit seiner unfassbaren Arroganz sagte er: „Alle basteln irgendwas.“ Er (Ramelow) beteilige sich nicht an „Basteleien“, sondern strebe „die Fortsetzung der von Linkspartei, SPD und Grünen getragenen Landesregierung an.“ Ein echter Ramelow: Die Abwahl seines Linksblocks im letzten Herbst will der Mann also schlicht ignorieren. Es ist an der CDU-Fraktion Thüringen dem SED-artigen Realitätsverlust vom Bodo Ramelow abzuhelfen.