Vierzehnter November 1989
Die innerdeutschen Feiern flauen ab, die Demonstrationen beginnen wieder. Nach einem kurzen Rückgang der Teilnehmerzahlen nach dem Mauerfall, steigt die Anzahl der Demonstranten steil an. Wenn die SED je geglaubt haben sollte, sie könne die Mauer wie ein Ventil öffnen, damit der Dampf abgelassen wird, müsste sie jetzt ernüchtert feststellen, dass diese Idee nicht funktioniert hat.
Bis zum 9. November hatte es 321 große Demonstrationen gegeben. Vom 9. bis zum 30. November sind es 550 Demonstrationen und Großkundgebungen. Die Friedliche Revolution erreicht damit ihren Höhepunkt. Außer Demonstrationen gibt es eine Unzahl kleinerer Aktivitäten, wie Betriebsversammlungen, Entmachtungen von örtlichen SED-Funktionären, Öffnung neuer Grenzübergänge.
Die Volkskammer wird einberufen, um die politische Lage zu diskutieren und zu demonstrieren, dass die DDR auch ein Parlament hat. Davon war in den vergangenen Jahrzehnten nicht viel zu spüren. Die Abgeordneten trafen sich etwa einmal im Jahr, um die vom Politbüro beschlossenen Gesetze abzunicken. Die Volkskammerabgeordneten verfügten weder über ein Büro, noch über Mitarbeiter. Ein Schreibbrettchen vor ihrem Sitz im Plenum war alles, was man ihnen zugestand. Nun wollen die Alibi-Abgeordneten diskutieren, wie in einem richtigen Parlament.
Walter Kempowski notiert, dass trotz aller Änderungen im Reiseverkehr für ihn eine Reise in die DDR immer noch nicht möglich wäre. In den Westmedien werde viel gegen das „Vereinigungsgequatsche“ polemisiert, aber immer mehr Politiker und Publizisten sprächen sich dafür aus: Willy Brandt, Klaus von Dohnanyi, Rudolf Augstein, Björn Engholm. Die westdeutsche Linke sei noch immer sprachlos, dass ihr Retortenstaat verloren geht.
Helmut Kohl unterzeichnet in Polen eine „Gemeinsame Erklärung“ über die künftige deutsch-polnische Zusammenarbeit. In Polen wird heftig die Frage diskutiert, ob ein vereintes Deutschland die Oder-Neiße-Grenze respektieren würde.