Sechsundzwanzigster Oktober 1989
Der Dialog zwischen SED-Funktionären und Bürgern in Dresden wird erstmals im DDR-Fernsehen übertragen. Walter Kempowski sitzt in Nartum vor dem Bildschirm und findet die Veranstaltung „saft- und kraftlos“. „Anstatt die Leute bei der Krawatte zu packen, laufen sie umeinander herum. Nichts Konkretes wird gesagt.“
Damit hat Kempowski nur zum Teil Recht. Vor den Kameras produzieren sich oft Kirchenvertreter, die es gewohnt sind, vor vielen Leuten zu sprechen. Natürlich formulieren sie vorsichtig, weil sie sich wie auf dünnem Eis fühlen. Außerdem will die Kirchenleitung den Gesprächsfaden zur SED keinesfalls abreißen lassen. Also wird alles vermieden, was „provokativ“ wirken könnte.
Andere sind weniger zurückhaltend. Vertreter der „Gruppe der 20“ fordern bei ihrem ersten Auftritt vor der Stadtverordentenversammlung von Dresden freie Wahlen.
In Halle, wo keine Fernsehkameras dabei sind, verläuft die Dialog- Veranstaltung ganz und gar nicht nach den Wünschen der SED. Im Saal befinden sich 1000 Menschen, vor dem Gebäude verfolgen weitere 5000 Bürger die Debatte, die mit Lautsprechern übertragen wird.
Die Oppositionelle Katrin Eigenfeld fordert unter tosendem Beifall der Versammelten, dass rechtliche Rahmenbedingungen für den Dialog geschaffen werden sollten, die Bespitzelung durch die Staatssicherheit beendet werden müsse, außerdem Presse-, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, sowie einen Gewaltverzicht der Staatsorgane.
In Sofia wird zu dieser Zeit gerade eine Demonstration gewaltsam aufgelöst. Während einer Umweltkonferenz der KSZE versuchen bulgarische Umweltaktivisten, auf die massiven Umweltprobleme des Landes hinzuweisen. Ecoglasnost, eine oppositionelle Umweltorganisation, verbreitet unter den Teilnehmern der Konferenz eine Petition. Als sie die Konferenz verlassen, werden die Aktivisten von der Polizei angegriffen.