Neunzehnter August 1989
Zweiter und entscheidender Tag des Paneuropa-Treffens.
Am Tor der alten Landstraße zwischen Österreich und Ungarn hatten sich viele Journalisten und Kamerateams eingefunden. Die Öffnung des Tores für drei Stunden war in den Medien bekannt gegeben worden. Außer den zum „Paneuropäischen Picknick“ geladenen Gästen hatten sich hunderte Ausreisewillige aus der DDR eingefunden. Als die Veranstalter, der CSU-Europaabgeordnete Otto von Habsburg und der ungarische Reformpolitiker Imre Pozsgay nach einer Pressekonferenz am Tor eintrafen, fanden sie bereits eine unübersichtlich gewordene Situation vor. Die Entschlossensten unter den Ausreisewilligen rannten gegen 15 Uhr auf das Tor zu, drückten es ein und stürzten förmlich übereinander nach Österreich. Ihre Autos hatten sie einfach am Straßenrand stehen lassen. Auch sonst hatten die Flüchtlinge kaum etwas dabei. Von einem geordneten „kleinen Grenzverkehr“, wie er geplant war, konnte keine Rede sein. Der Flüchtlingsstrom fegte alle sorgfältige Planung hinweg.
Die DDR-Führung schaute wie gelähmt auf die Vorgänge in Ungarn.
Staatschef Honecker lag wegen einer Gallenoperation im Krankenhaus. Auf der letzten Politbürositzung, die er noch selbst geleitet hatte, war die Behandlung des Flüchtlingsproblems von der Tagesordnung genommen und auf Wiedervorlage gelegt worden. Nun wagte es kein Mitglied, nicht mal Mielke, das Thema in Honeckers Abwesenheit zu behandeln.
Das zeigt übrigens genau, wer letztlich das Sagen hatte: Honecker. Die Partei erteilte ihrem „Schild und Schwert“ bis in die letzten Tage ihres Regimes die Anweisungen.