von Gastautor Steffen Meltzer
Politiker und Medien fordern immer wieder die Zivilcourage einer Zivilgesellschaft. Leichtfertig ist der, der meint, sich für eine „gute Sache“ opfern zu müssen. Anstatt unüberlegtes Verhalten als das zu beschreiben, was es ist, werden nicht selten die vermeintlichen Helden hochstilisiert und dienen somit als falsche Vorbilder, die unnötige weitere Opfer hervorbringen können. Nachahmungsgefahr.
Ein Mensch wird am Mittwochabend in Stuttgart auf offener Straße abgeschlachtet. Der Syrer (oder Palästinenser aus Jordanien?) sticht nach einer vorangegangener Auseinandersetzung immer wieder mit einem schwertähnlichen Gegenstand auf seinen Kontrahenten ein, auch, als er bereits wehrlos am Boden liegt.
Mitten im Tötungsverbrechen, das zeigt ein in den Netzwerken kursierendes Video, begibt sich eine Frau in die unmittelbare Reichweite des Täters, der gerade dabei ist, auf seinen Kontrahenten einzustechen. Dann geschieht das Überraschende, der Syrer, der soeben einen Menschen massakriert, unterbricht seine Handlung und verweist die Hinzukommende sowie eine weitere männliche Person mit Worten und Gesten vom Ort des Verbrechens, um anschließend den Arm des Opfers abzuhacken.
Mitunter ist Überleben Zufall, wie man an diesem Beispiel ersehen kann. Das Opfer war vermutlich zu diesem Zeitpunkt schon getötet. Selbst, wenn das nicht der Fall gewesen wäre, war es unverantwortlich, sich in den nahen Wirkungsbereich eines bewaffneten Menschen zu begeben, der gerade dabei ist, jemanden ins Jenseits zu befördern. Die Dame darf froh sein, dass der Täter seine Handlungen dahingehend kontrolliert hat, dass sie kein weiteres Todesopfer wurde. Die Beobachtung des Tathergangs macht deutlich, der polizeibekannte und vorbestrafte Syrer war, zum Glück für die Dame mit der leichtsinnigen „Zivilcourage“, keinesfalls unzurechnungsfähig. Das Töten des Gegners, die kurze Unterbrechung der Handlung durch eine Interaktion mit den sich Einmischenden, die anschließende Fortsetzung des Verbrechens, sowie die Flucht, lassen auf eine große Rationalität des Agierens schließen.
Etwas ganz anderes ist es, wenn ausgebildete Personen plötzlich Zeuge eines Verbrechens werden und eingreifen. Polizisten zum Beispiel sind nicht nur für diese Lagen ausgebildet, sie wissen auch, wie sie eines Täters habhaft werden können, ohne sich unnötig selbst zu gefährden. Schief kann es trotzdem gehen: in Deutschland wurden seit 1945 über 500 Polizisten im Dienst getötet. Ein Restrisiko bleibt immer, selbst für die Elitekräfte des SEK. Wir erleben darüber hinaus gerade einen gesellschaftlichen Veränderungsprozess, der auch Polizeibeamte vor völlig neue Gefahrenmomenten und Anforderungen stellen wird. So konnte der Eritreer nach dem Frankfurter Bahnhofsverbrechen verfolgt und gestellt werden. Ein Polizist in Zivil, der zufällig in der Nähe des Tatorts anwesend war, war daran erfolgreich beteiligt. Zivilcourage ist vor allem überlegt zu handeln, ohne sich selbst unnötig in Gefahr zu begeben.
In anderen Fällen hatten die Eingreifenden nicht so viel Glück. Die Erregung des Täters in dessen Hochstresslage ist keinesfalls zu unterschätzen und kann auch schnell für »Helfer« tödlich enden!
Einige andere Beispiele:
Ein 21-jähriger Mann will einer Kassiererin bei einem Raubüberfall helfen und wird im Handgemenge erschossen.
Eine junge Frau geht auf einen Angreifer zu und wird durch einen Schlag getötet. Nun will man eine Brücke nach ihr benennen. In den Medien wurde sie als Heldin gefeiert, die Zivilcourage bewiesen hätte.
Ein Berliner wird durch ein Messer lebensgefährlich verletzt, als er einer Frau helfen will. Er ist danach traumatisiert, verliert seine Existenz und seine Freundin, eine beantragte Opferentschädigung erhält er nicht.
Was die Beispiele tragisch aufzeigen: Diese Menschen haben sich, in guter Absicht, örtlich zum Täter hinbewegt. Zivilcourage bedeutet auch und vor allem, sich vom Täter weg zu bewegen, zusammen zu bleiben, die Polizei zu rufen und sich das Aussehen, Besonderheiten, Fluchtrichtung etc. des Täters zu merken. Gegebenenfalls kann man andere Personen gezielt um Unterstützung ansprechen. „Weg zu bewegen“ bedeutet nicht weiter zu gehen, sondern eine ausreichende räumliche Distanz zu schaffen, um eine unnötige Eigengefährdung auszuschließen.
Zivilcourage ist es nicht, selbst zu sterben. Denn das eigene Leben und die Gesundheit sind nicht mit Orden, bunten Bändchen, Ehrungen und Lippenbekenntnissen von Politikern aufzuwiegen, die diese Situationen durch ihre Entscheidungen geschaffen haben. Die Friedhöfe sind voller Helden und unersetzbarer Menschen, die Medien voll mit falschen Vorbildern.
Jeden Tag passieren in Deutschland tausende Vorkommnisse, die der alltäglichen Straßenkriminalität zuzuordnen sind. Das bedeutet, dass tausende Unbeteiligte unfreiwillig Zeugen von Straftaten bis hin zu schwersten Verbrechen werden. Leider schauen immer noch zu viele Mitmenschen weg, weil sie unsicher sind, wie sie sich verhalten sollen, Angst haben, ebenfalls ein Opfer zu werden oder die rechtlichen Konsequenzen nicht überschauen.
Dennoch gilt: Zivilcourage heißt hinschauen, helfen und informieren und nicht einfach weitergehen! Jeder von uns kann in eine Situation geraten, in der er selbst die Hilfe fremder Menschen benötigt. Konkrete Handlungsanleitungen, nicht nur zu diesem Thema, finden Sie im Buch:
Steffen Meltzer – „Ratgeber Gefahrenabwehr: So schützen Sie sich vor Kriminalität – Ein Polizeitrainer klärt auf“
Der Artikel erschien zuerst auf Tichys Einblick.