Nach der Veröffentlichung des Strache-Videos wurde von Politikern und Kommentatoren immer wieder Abscheu vor der Bereitschaft Heinz-Christian Straches zur Korruption geäußert. Bemerkenswert daran ist, wie sehr Leute mit Steinen um sich werfen, die selbst im Glashaus sitzen. Korruption ist ein ständiger Begleiter von Politik – nicht erst seit heute. Politiker aller Parteien, die gerade an der Macht sind, machen mit der Vergabe oder dem Entzug von Staatsaufträgen oder Vergabe von Posten Politik.
Jüngst wurde gemeldet, dass die Partei von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig von der SPD gern Posten an politische Mitstreiter vergibt. „Verwandtschaft ist dabei ein wiederkehrendes Merkmal.“ Gegen Verteidigungsministerin von der Leyen erging sogar Strafanzeige wegen Begünstigung der Firma, in der ihr Sohn David arbeitet. Die mediale Aufregung hielt sich in beiden Fällen in engen Grenzen. Beide Damen sind noch in Amt und Würden. Bei Strache dagegen wird seit Tagen heiß über angebliche Staatsaufträge in Millionenhöhe diskutiert, die gar nicht stattgefunden haben.
Um die Affäre nicht abkühlen zu lassen, wird jetzt nachgeschoben, dass es nach Ibiza noch weitere Treffen mit der angeblichen Millionärsnichte gegeben haben soll. Man scheint also kein einziges reales Delikt gegen Strache in der Hand zu haben. Das Ganze ist letztlich eine künstlich aufgeblasene Luftnummer, jedenfalls behaupten bisher weder Spiegel noch Süddeutsche, dass die Wahlkampf-Millionen tatsächlich geflossen seien und Strache, seit er in Regierungsverantwortung war, Staatsaufträge für erhaltene Millionen vergeben hätte.
Die aktuelle Affäre sollte genutzt werden, um das grundsätzliche Problem der Korruption in der Politik zu untersuchen. Schließlich wird seit Jahren von vielen Autoren versucht, auf dieses gravierende Problem aufmerksam zu machen.
Einen sehr wichtigen Beitrag in dieser Thematik leistete Erwin Kurt Scheuch, ein deutscher Politologe.
Über Fachkreise hinaus erlangte Scheuch Bekanntheit durch die Themen, die ihn seit den späten 1980er Jahren beschäftigten: Parteienfilz, Ämterpatronage und politische Korruption; besonders am „kölschen Klüngel“ analysierte er dessen Auswirkung auf das Parteiensystem. Scheuch publizierte dazu, zusammen mit seiner Frau, zahlreiche Bücher, unter anderem die populär gehaltenen Titel: „Cliquen, Klüngel und Karrieren“ und „Bürokraten in Chefetagen“.
Besonders ersteres Buch liefert zahlreiche anschauliche Beispiele für Vorteilsnahme und Korruption und beschreibt Zustände, die heute aktueller den je erscheinen.
Scheuch beginnt seine Analyse mit der Darstellung eines grundsätzlichen Problems:
„…daß in der heutigen Bundesrepublik die Art der Auswahl von Berufspolitikern und ihre Karriere die entscheidende Schwachstelle des politischen Systems sind, dürfte nicht kontrovers sein. Wenn unsere anschließende Diagnose der Gründe hierfür korrekt ist, dann wird sich der Qualitätsverfall beschleunigen. Es ist dann zu vermuten, daß es irgendwann zu einem Kartell der großen Parteien auf Dauer kommen wird“
Diese Zeilen schrieb Scheuch im Jahr 1992. Heute ist das Kartell der etablierten Parteien Realität. Dass seine Voraussagen so präzise eintreffen würden, hätte Scheuch voraussichtlich selbst kaum für möglich gehalten.
Im weiteren Verlauf der Analyse beschäftigt sich Scheuch mit der Personalauswahl. Er schreibt: „Die Personalauswahl der Parteien wird im deutschen System rechtlich durch das Instrument der Liste dominiert, und bei deren Aufstellung dominieren Einflusscliquen auf Kreisebene. Für den Berufspolitiker wirkt der Kampf um die Wiederaufstellung wie die Auseinandersetzung über eine Vertragsverlängerung: Sind die Gewinne durch eine solche Vertragsverlängerung hoch, dann wird der Kampf gegen Konkurrenten gnadenlos. Bereits mit der Aufnahme eines Mandates beginnt heute in der Bundesrepublik der Kampf um die Wiederaufstellung.“
Anschließend nennt Scheuch zahlreiche Beispiele für die „Gewinne der Vertragsverlängerung“, welche er sauber aus den Veröffentlichungen in den Lokalausgaben der Zeitungen in Köln recherchiert hat. Er schreibt: „Bei den herrschenden Cliquen in der Kölner Politik geht es im Alltag um Vorteilsnahme. Das kann nur gelingen, wenn sich die miteinander in Konflikt befindlichen Gruppen – zwischen den Parteien und innerhalb der Parteien – vorweg auf Spielregeln verständigen. Der Hauptpreis in diesen Einflusskämpfen sind Positionen in Gremien, auf die der Stadtrat politisch Zugriff hat, und Aufträge, die von der Stadt und den von ihr kontrollierten Gesellschaften vergeben werden. […]
Ämterhäufung ist bei den Kerngruppen der Berufspolitiker verbreitet – bis zu fünf Aufsichtspositionen sollen – wie bei Oberbürgermeister Norbert Burger (SPD) gezählt worden sein. Bei den Kölner Verkehrsbetrieben waren 1990 zehn Stadtverordnete im Aufsichtsrat: Fünf von der SPD, vier von der CDU, ein Grüner.“
Scheuch betont in seinem Buch immer wieder, wie die Parteien untereinander kooperieren um das Versorgungssystem aufrechtzuerhalten. Dabei bringt er ein besonders perfides Beispiel von Korruption und Zusammenarbeit von SPD und CDU:
„Wie abgesichert das System in der Regel aber inzwischen ist, ergibt sich aus den Folgen der Aufdeckung eines Sachverhaltes, der in der Öffentlichkeit als schwere Umweltschädigung gewertet wurde. Die Firma Klöckner-Humboldt-Deutz produziert in seiner Gießerei für Motoren giftigen Sand, der Sondermüll ist. Dieser ist viel teurer zu entsorgen als normaler Abfall. Die Firma hatte zwei Betriebsratsmitglieder mit dem Parteibuch der SPD zu Umweltbeauftragten ernannt, die unter Ausnutzung ihrer Beziehungen zu einem Parteifreund in der Stadtverwaltung erreichten, daß dieser Sondermüll auf normale Müllablagerungen gekippt wurde. Die Stadt wurde dadurch um etwa 3,8 Millionen Mark geschädigt, ganz abgesehen von der Umweltbelastung. Als die Presse darüber berichtete, setzten die Stadtverordneten einen Untersuchungsausschuss ein. Dessen Vorsitzender wurde ein Ratsherr der -Opposition-, Adolf Hellmich, CDU. Diese befand später erwartungsgemäß, daß man Verantwortlichkeiten nicht mehr eindeutig klären könnte, und er sei sowieso gegen eine Hexenjagd.“
Das unumstrittene Paradebeispiel aus Köln ist heute noch als „Kölner Spendenaffäre“ bekannt. Dabei ging es um die Einnahme von Spenden durch die Kölner SPD zwischen 1994 und 1999 als Bestechung, um deren Zustimmung zum Bau der umstrittenen Müllverbrennungsanlage im Kölner Stadtteil Niehl zu sichern. Spenden in Höhe von mindestens 480.000 DM wurden entgegen dem Parteiengesetz nicht im Rechenschaftsbericht verzeichnet und dadurch die Veröffentlichungspflicht verletzt.
Auch wenn Scheuchs Analyse schon fast 30 Jahre alt ist, ist sie dennoch aktueller den je. Er beschreibt mit außerordentlicher Sachlichkeit und Präzision die Folgeprobleme, die sich aus dem „Prinzip Berufspolitiker“ ergeben:
• Ein Kartell der großen Parteien
• Ein System der Vorteilsnahme
• Gnadenloser Kampf um die Wiederaufstellung bereits mit Aufnahme des Mandates
• Ämterhäufung
• Korruption
Die Tatsache, dass seine Analyse so alt ist, hat außerdem auch einen wichtigen Vorteil. Er beschrieb die Probleme, welche sich aus dem Kartell der Parteien ergeben, bevor dies zum Trend wurde, und somit an Aufmerksamkeit verloren hat. Seiner Analyse kann nicht vorgeworfen werden, dass sie nur Werbung für die AfD sei, da Erwin Scheuch ein Jahrzehnt vor Gründung der Partei verstorben ist.
Dem Buch von Scheuch wären zahllose andere, die sich mit der Thematik Korruption in der Politik befassen hinzuzufügen. Inzwischen gibt es nicht nur ein Parteien-Kartell, sondern die Mainstream-Medien haben sich in dieses Kartell eingefügt und kommen ihrer eigentlichen Aufgabe, der Politik auf die Finger zu schauen, Missstände aufzudecken und die Öffentlichkeit darüber zu informieren, kaum noch nach.
In Anbetracht der Samthandschuhe, mit denen die Damen Schwesig, von der Leyen oder auch Franziska Giffey, in deren Doktorarbeit sich mehr Plagiate befinden sollen, als in der vom geschassten Freiherren zu Guttenberg, angefasst werden, wirkt die ins Hysterische gesteigerte Aufregung über eine österreichische Korruption, die nie stattgefunden hat, um so verlogener.
Die wirklich spannende Frage ist, ob die Bevölkerung wirklich so dumm ist, wie man sie verkaufen will. Das wird sich am Sonntag herausstellen.