Datenschutz und Exhibitionismus im Doppelpack

Veröffentlicht am

von GASTAUTOR JOSEF HUEBER

Wie das Beharren auf datengeschützter Privatsphäre einhergeht mit der gebührenfinanzierten Vermarktung des Intimen in den öffentlich-rechtlichen Medien.

So wichtig Datenschutz ist, so seltsame Blüten treibt er im Alltagsleben. Dies ist aber nicht nur lustig, sondern zeigt vor allem eine schizophrene Interpretation der Wirklichkeit. Denn das Beharren auf datengeschützter Privatsphäre läuft parallel zu einer geradezu obszönen, freiwilligen Öffentlichmachung des ureigensten Intimbereiches.

DIE WIRKLICHKEIT IST REALSATIRE
Ein satirischer Clip, auf WhatsApp herumgereicht, zeigt, welche Höhen der Lächerlichkeit der Gedanke des Datenschutzes erklimmen kann, wenn man ihn nur lässt. Im Wartezimmer eines Arztes werden die Patienten nicht mit Namen aufgerufen, sondern mit noch Persönlicherem – mit ihren Beschwerden. So hört man durch den Lautsprecher die datenschutzbegründete Aufforderung ohne Namensnennung, in Raum 1 möge sich die Patientin mit Fußpilz, in Raum 2 der Patient mit Erektionsstörungen einfinden.

Satire heißt nicht, dass diese Beispiele in der Realität keine Grundlage haben. So wurde vor nicht langer Zeit – medienwirksam verarbeitet – eine Kundin im Metzgerladen von der Verkäuferin mit Namen angesprochen. Wie hat die Betroffene darauf reagiert? „Daraufhin empörte sich die Frau aufs Äußerste und fauchte der Verkäuferin entgegen, dass die anderen Anwesenden ihr Name keineswegs etwas angehe.“

DISKRETION – OBERSTES GEBOT IM ÖFFENTLICHEN RAUM
In Apotheken oder am Schalter vom Banken, ja sogar an der Kasse von Tankstellen, sieht man immer häufiger ein Klebeband am Boden, das Abstand aus Gründen der „Diskretion“ einfordert. ( Es darf vermutet werden, dass, bei der ausgeprägten Anpassungsfreudigkeit der Kirchen, dies beim Kommunionempfang auch bald angemahnt wird). Auch Kassiererinnen in Supermärkten wenden deutlich den Kopf ab, wenn Kunden Ihre Geheimzahl am Kartenlesegerät eingeben, obwohl sie überhaupt keine Möglichkeit haben, die Zahl zu sehen.

DIE KONTERKARIERUNG IN DEN MEDIEN
Eine Konterkarierung dieser sozial korrekten Verhaltensregel ist zu beobachten, wenn es um die (freiwillige) Öffentlichmachung intimer Details in den Medien geht, deren Kenntnis der Öffentlichkeit noch weniger zusteht, als die Kenntnis der Geheimzahl einer Kreditkarte. Es ist die Privatsphäre der persönlichen Beziehungen sowie der darin gelebten Sexualität.

DIE FLUCHT NACH VORN GEGEN DEN RÜCKGANG DER EINSCHALTQUOTEN
Schon lange pfeifen es die Einschaltquoten von den Dächern, dass die öffentlich-rechtlichen Medien mehr als beglückt sind über ihre per Gerichtsurteil vom Bürger erzwungene Finanzierung im Milliardenbereich. Auch wer kein Rundfunkgerät und keinen Fernseher hat, kommt – mit wenigen Ausnahmen – nicht umhin, den fälligen Monatsbeitrag zu bezahlen, wenn er nicht hinter Gittern landen will.
Dies ist umso wichtiger für die Sendeanstalten, da die Zahl der Konsumenten ihrer Programme, vor allen Dingen unter jungen Leuten, drastisch zurückgeht.
So gesehen ist es verständlich, dass man sich aus Legitimationsgründen für die horrenden Gebühreneinnahmen Gedanken macht, wie man die junge Generation vom weiteren Davonlaufen abhält und wieder ins zunehmend unattraktive öffentlich-rechtliche Medienboot holen kann.

„FUNK” – DAS NEUE FORMAT ÖFFENTLICHER AUFKLÄRUNG
Schon 2016 starteten ARD und ZDF das Online-Programmangebot FUNK, das mit den Gebühren für die öffentlich-rechtlichen Medien finanziert wird. Wikipedia: „Funk richtet sich an Personen im Alter von 14 bis 29 Jahren, die ansonsten kaum oder gar nicht die Fernsehproduktionen der öffentlich-rechtlichen Sender konsumieren. Das Projekt wird jährlich (Stand: 2016) durch finanzielle Mittel in Höhe von 45 Millionen Euro gefördert, wovon zwei Drittel von der ARD und ein Drittel vom ZDF finanziert werden.“

FICKT EUCH / AUF KLO – „COOLE“ GESCHMACKLOSIGKEITEN
Was man sich mit FUNK und den dazugehörigen Formaten Auf Klo und Fickt euch ausgedacht hat, lässt Otto Normalverstand mit ein bisschen Anstand im Kopf erst einmal Platz nehmen, um Luft zu holen.
Das Angebot FUNK soll nach Aussagen des zuständigen Programmchefs während eines journalistischen Kolloquiums an der Universität Eichstätt dem jungen Konsumenten unter anderem Orientierung bieten“.
Was bietet Fickt euch? Die Beiträge, heißt es, wollen „aufklären“.
Ich will mich aufklären lassen, und so gehe ich, wenngleich selbst nicht mehr ganz in der angestrebten Altersgruppe, ins Netz und suche, was man an Orientierung” und „Aufklärung“ für junge Beitragszahler bereithält. Die Fickt-euch-Sachverständige, Sex-Expertin und Macherin N.N., so ist zu lesen, “hat mit dem YouTube-Kanal in Sachen Liebesfragen viel Erfahrung gesammelt. Jetzt gibt sie ihr Wissen weiter.”
(Aus Gründen des guten Geschmacks sei hier nicht zitiert, sondern lediglich auf die Aufklärungsreihe verwiesen.)

Das andere Format auf der Palette des millionenschweren Projekts Auf Klo zeigt zwei junge Gesprächspartner weiblichen Geschlechts im Studioraum „Toilette“, auf zwei Klos sitzend, über Intimes, vorzüglich über sexuelle Erfahrungen, z.B. über das Thema „Die schlechtesten Sextipps aus dem Internet” tabufrei plaudernd.

DER AUFTRAG DER ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN MEDIEN
Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Medien, so informiert uns der Deutsche Bundestag im Internet, sei die „unerlässliche Grundversorgung” der Bürger mit Inhalten aus Politik und Kultur. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird eine besondere „Nähe zur Kultur” zugeschrieben. Die Grundversorgung umfasse, so das Bundesverfassungsgericht, die „essenziellen Funktionen des Rundfunks für […] das kulturelle Leben in der Bundesrepublik”.

QUALITÄT HAT SEINEN PREIS
Nachdem das Format FUNK von dem Vertreter des Bayerischen Rundfunks im Rahmen des erwähnten journalistischen Kolloquiums an der Universität Eichstätt vorgestellt war, erhob sich, laut Bericht der Lokalzeitung, in der Diskussion unter den Studenten die „Frage nach der Qualität der Beiträge“ in diesen Formaten, da auch hier der „Bildungsauftrag“ gelte. „Könnten Klickzahlen vielleicht wichtiger werden als Inhalt?“

Der Vertreter des Bayerischen Rundfunks sieht darin kein Konfliktpotential. Sein Argument: „Wir wollen Jugendliche vor allem erreichen und sie unterhalten.“

Für dergleichen Bildungsarbeit entrichtet man gerne einen monatlich eingetriebenen Beitrag zur Förderung der Kultur.



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