Am 26. Mai wird neben dem Europaparlament auch die Bremische Bürgerschaft neu gewählt. Der Stadtstaat war für die SPD jahrzehntelang eine sichere Bank. Das könnte sich nun ändern.
Von Peter Entinger auf PAZ
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Bürgerschaft der Freien Hansestadt Bremen bereits 19 Mal gewählt. Dabei gab es stets eine Konstante: Die SPD lag immer vorne. Und nur einmal, 1995, war es wirklich knapp. Bei der letzten Wahl 2015 waren 32,8 Prozent für die Sozialdemokraten zwar ihr schlechtestes Ergebnis seit 1945, sie lagen damit aber immer noch deutlich vor den Christdemokraten, die auf 22,4 Prozent kamen.
Für die CDU waren Bremen und der angeschlossene Wahlbezirk Bremerhaven immer ein schwieriges Pflaster.
Doch Anfang Februar lag die Partei in einer Umfrage erstmals vor der SPD. Das Ergebnis von 25 zu 24 sagt allerdings auch aus, dass die CDU weniger von ihrer eigenen Stärke als von der Schwäche der SPD profitiert. Vor vier Jahren hatte Bürgermeister Jens Böhrnsen nach dem schlechten Abschneiden seiner Partei bei der Wahl seinen Rücktritt eingereicht. Nun verliert die Partei laut Umfragen weiter an Rückhalt. Im Mai 2018 hatte die SPD noch 26 Prozent erreicht. Nun büßte die Partei von Bürgermeister Carsten Sieling zwei weitere Prozentpunkte ein. Von ihrem selbst gesteckten Ziel für die Bürgerschaftswahl ist die CDU allerdings auch noch weit entfernt: Spitzenkandidat Carsten Meyer-Heder strebt ein Wahlergebnis von 35 Prozent an.
Das erscheint derzeit utopisch. Dennoch könnte der CDU-Kandidat versuchen, eine Regierung zu stellen, sollte die Union tatsächlich stärkste Kraft werden. Rechnerisch – und das lässt die SPD hoffen – dürfte es auf jeden Fall für Rot-Rot-Grün reichen. Die Öko-Partei könnte mit 18 Prozent ein Rekordergebnis erreichen. Zudem wird die Linkspartei in ihrer Westhochburg ziemlich sicher auch ein zweistelliges Resultat einfahren. Meyer-Heder kalkuliert hingegen auf ein Jamaika-Bündnis, was allerdings derzeit rechnerisch keine Mehrheit hätte, da die FDP lediglich auf sechs Prozent kommt. Zusätzlich verkompliziert werden Vorhersagen über die zukünftigen Machtverhältnisse in der Bürgerschaft durch die Besonderheit, dass in Bremen beide Wahlbezirke gesondert ausgezählt werden. So reicht das Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde in Bremerhaven für ein Mandat im Stadtparlament. Dies gelang in den 80er und 90er Jahren der rechten Deutschen Volksunion ebenso wie zuletzt der konservativen Wählervereinigung Bürger in Wut (BIW) um den ehemaligen Kriminalbeamten Jan Timke, der in bewusster Konkurrenz zur AfD, deren krisengeschüttelter Verband in Umfragen immerhin auf acht Prozent kommt, ins Rennen geht.
AfD-Spitzenkandidat ist der Bundestagsabgeordnete Frank Magnitz, der zuletzt Anfang des Jahres Schlagzeilen machte, als er von mutmaßlichen Linksextremisten zusammengeschlagen wurde. Im Rennen um den ersten Listenplatz setzte sich Magnitz in einer Kampfabstimmung gegen den in Bremen durchaus bekannten TV-Journalist Hinrich Lührssen durch, der prompt zu den Bürgern in Wut wechselte und dort nun als Frontmann im Wahlbezirk Bremen antrittt. Für die Machtverhältnisse spielen diese innerrechten Kabalen freilich keine Rolle, auch wenn regionale Medien unverhohlen darauf hoffen, dass die Konkurrenzkandidaturen dazu führen werden, dass sowohl die AfD als auch die BIW an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern werden.
Bürgermeister Sieling kämpft unterdessen im von Arbeitslosigkeit und schleppendem Strukturwandel geprägten Stadtstaat um sein politisches Überleben. „Die Frage, wie Bremen abschneidet, und dass Bremen weiter sozialdemokratisch regiert wird, ist eine entscheidende für die Zukunft der gesamten SPD“, sagte Sieling. Bei der Wahl gehe es auch darum, welches Gewicht und welche Bedeutung die „traditionsreiche und wichtige Partei“ SPD für Deutschland weiter haben werde. Für die schlechten Umfragewerte machte der Regierende Bürgermeister die bundespolitische Lage verantwortlich. „Der schwierige Bundestrend für die SPD geht auch an Bremen nicht vorbei“, sagte Sieling im Interview mit der von Radio Bremen produzierten Fernsehsendung „buten un binnen“. „Wir liegen aber immerhin gute neun Prozentpunkte über dem Bundesschnitt. Und das zeigt, dass wir eine gute Arbeit machen.“
Dies sieht sein christdemokratischer Herausforderer ganz anders. Der Nachrichtensender NTV beschreibt den Zwei-Meter-Mann Carsten Meyer-Heder, der erst im März vergangenen Jahres CDU-Mitglied wurde, als „krassen Quereinsteiger in die Politik“. Er sei ein Selfmade-IT-Unternehmer, der nie Plakate geklebt habe und der über Parteitage noch staunen könne, wie das alles so laufe. Er „wirkt wie eine heitere Mischung aus Wrestler und Shanty-Chor-Sänger, er redet ungeschliffen, bricht manchmal Sätze ab, steht zu Wissenslücken und denkt völlig unideologisch.
Er redet über die SPD nicht schlecht, findet Robert Habeck von den Grünen gut und hinterfragt mit einer entwaffnend offenen Art das schablonenhafte Politsprech der Konkurrenz. Gerade weil er als Polit-Neuling unbelastet antritt, trauen ihm immer mehr Bremer zu, den Filz von 70 Jahren tatsächlich irgendwie zu überwinden“, heißt es in einem „Carsten Meyer-Heder: Der Soft-Rocker der CDU“ überschriebenen Porträt im Meinungs- und Debattenmagazin „The European“. Der 57-Jährige könnte tatsächlich zum ultimativen Albtraum der SPD werden.