Geschichtsklitterung bei den Berliner Festspielen

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Dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer, der den Zusammenbruch des SED-Staates einleitete, scheint es auf allen Ebenen Bemühungen zu geben, aus der DDR wieder so etwas wie den besseren deutschen Staat zu machen. Bekanntlich hielten große Teile der westlichen Linken die DDR dafür, schon weil sie den SED-Staat nicht aushalten mussten, sondern ihn nach Stippvisiten spätestens um 24 Uhr erleichtert wieder verlassen konnten.

Nachdem der Versuch, mitten in Berlin ein Stück Mauer mit Stacheldraht wieder zu errichten und im abgeschlossenen Karree DDR-light zu spielen, glücklicherweise gescheitert ist, werden die Berliner Festspiele den Palast der Republik symbolisch wieder errichten. Ausgerechnet als Ort, an dem „visionäre soziale Ideen in die Zukunft“ getragen werden sollen.

Das ist so grotesk, dass man nur ungläubig den Kopf schütteln kann. Haben die Verantwortlichen für die Berliner Festspiele wirklich so wenig Ahnung von der Geschichte?

Wenn der Palast der Republik ein Symbol für etwas war, dann für den absoluten Machtanspruch der SED-Führung. Damit stand er für die Verknöcherung, Unbelehrbarkeit und Arroganz der Macht. Der Ort, an dem der Palazzo Prozzo, wie er im Volksmund hieß, errichtet wurde, war gewählt, um zu demonstrieren: Früher stand hier das Schloss, heute sind wir hier.
Für den Bau wurden weder Kosten noch Mühe gescheut. Bauarbeiter aus der ganzen DDR wurden dafür nach Berlin geholt. In den Bezirken kamen wichtige Bauvorhaben wie Krankenhäuser, Schulen, Forschungseinrichtungen zum Erliegen. Schon deshalb war der Palast von Anfang an verhasst. Ein Grund, Wolf Biermann aus der DDR auszubürgern war, dass er auf seinem Kölner Konzert öffentlich gemacht hatte, dass auf der Palastbaustelle geklaut wurde. Das war verständlich, denn in einem Land, in dem das Volk sich mit Plastewasserhähnen begnügen musste, waren die für den Palast angeschafften West-Armaturen eine Versuchung, der man schwer widerstehen konnte.

Nach der Vereinigung gab es einen regelrechten Kulturkampf um die Palastruine, die nach Willen der SED-PDS-Linkspartei-Linken unbedingt stehen bleiben sollte. In dieser mit viel Propaganda geführten Auseinandersetzung waren die Genossen und ihre willigen Helfer unterlegen. Die Schlossbefürworter setzten sich zum Glück durch. Jeder kann sehen, dass ein wenig von der Schönheit des alten Berlin wieder hergestellt wurde.
In einem Teil des Palastes tagte die Volkskammer, die nur an wenigen Tagen im Jahr zusammenkam und in der die Abgeordneten nicht einmal ein Büro hatten. Ein Platz im Plenum mit einem Klapptischchen war alles, worüber die Volksvertreter verfügen konnten. Zum Armheben für die einstimmige Zustimmung der Politbürovorlagen reichte das. Nach der ersten und letzten freien Volkskammerwahl im März 1990 änderte sich das für wenige Monate, aber das hatte mit dem SED-Palast nichts mehr zu tun.

Nun wollen die Berliner Festspiele mithilfe „kritische[r] Reflexion der ambivalenten Bedeutung des ursprünglichen Palast der Republik“ „[…] die Ereignisse der Wende- und Nachwendejahre neu betrachte[n]“. „Im Verlauf des dreitägigen Festivals erfährt die Idee des Palastes eine mehrfache Transformation und verwandelt sich vom Erinnerungsort über ein Arbeitsforum bis hin zu einem Raum für Kunst. Gleich einer Klammer wird am Anfang und am Ende ein Verfassungsentwurf stehen“. Dabei sollen „die progressiven Entwürfe der Bürgerbewegung der DDR von 1989 in Erinnerung gerufen“ werden, „einschließlich ihres damals entstandenen Verfassungsentwurfes“.
Ich habe an eben diesem Verfassungsentwurf mitgeschrieben und weiß daher, dass er mit dem Palast nichts zu tun hatte. Die Verfassungskommission des Runden Tisches tagte von Anfang bis Ende in Pankow in einem Gebäude vor dem Schlosseingang.

In der in schrecklichem Gender-Sprech verfassten Pressemitteilung finde ich unter den aufgeführten Akteuren niemanden, der damals an der Verfassung mitgearbeitet hätte. Dabei wäre eine Diskussion, was die Verfasser von damals bewegte, warum sie, wie auch der Versuch nach der Vereinigung einen Verfassungskonvent einzuberufen, gescheitert sind, tatsächlich spannend.

Von Thomas Oberender, der aus der DDR stammt, hätte man ausreichendes historisches Wissen erwarten können, denn er hat in den entscheidenden Monaten in Berlin studiert.
In den drei Veranstaltungstagen (vom 8. März an) wird sich zeigen, ob die Veranstaltung den Geschichtsrevisionismus der SED-Linken bedient.



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