Was, bitteschön, ist ein Aufstuhl?

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Zur Eröffnung des „außerschulischen Lernorts“ im Gefängnis Keibelstraße

Von Julius Bärenklau

Am 14. Februar eröffnete die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres das frühere Untersuchungsgefängnis der Volkspolizei in der Keibelstraße als „außerschulischen Lernort“. Nun gut, wird man sagen, mancher Schüler muss nicht in die Keibelstraße, um einen Knast von innen kennenzulernen. Aber Spaß beiseite! 
Was der Betreiber dieses Lernortes, die Agentur für Bildung – Geschichte, Politik und Medien e.V., auf der dazugehörigen Homepage anbietet, mutet zwar wie ein Abenteuerspielplatz für gendergerechte Legastheniker*innen an, ist aber darüber hinaus eine geschichtswissenschaftliche Zumutung. 
An keiner Stelle lassen die Autoren uns an ihren Erkenntnissen über das Herrschaftssystem der DDR und die Rolle der Volkspolizei teilhaben. Die Texte der Homepage offenbaren ihre hilflose Orientierungslosigkeit. Unter der Überschrift „Unsere Arbeit am Lernort Keibelstrasse“ ist folgender Satz zu lesen: „Die UHA Keibelstraße kann als Symbol für staatliche Repression und Willkür gesehen werden und markierte für viele Inhaftierte den Beginn einer Odyssee durch weitere Strafanstalten.“

Erstens möchte man den Autoren zurufen, dass man die UHA Keibelstraße als Symbol für alles Mögliche sehen kann, als Symbol für gelungene Stadtplanung, für die Nachteile übermäßigen Alkoholgenusses oder nicht zuletzt für die Notwendigkeit regelmäßiger Zahnpflege. Polizei und Justiz sind immer Repressionsorgane des Staates. Worin die Besonderheiten der UHA Keibelstraße liegen, wird nicht erläutert. 
Dieser historische Ort kann auch als Symbol für Willkür gesehen werden. Aber wer handelte hier willkürlich? Die Polizisten, die Volkspolizei, das Ministerium des Innern oder gar Erich Honecker?

Und zur Begriffsklärung: Eine Untersuchungshaftanstalt ist keine Strafanstalt, denn formalrechtlich galten auch in der DDR Untersuchungshäftlinge bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig, waren also nicht zu bestrafen. 
Ein weiterer Höhepunkt des geschichtspolitischen Bullshit-Bingos ist diese Formulierung im selben Text: „Wie andere DDR-Haftstätten war auch die UHA Keibelstraße ein Ort, an dem sich Vorstellungen von Kriminalität, politischer Opposition und sozialer Abweichung in Form von Freiheitsentzug manifestierten. Zugleich formte die Funktionsweise der Haftanstalten diese Vorstellungen auch mit.“ Auf diese Formulierungen muss man erst einmal kommen. Wie soll man sich das denken? Wurde das Gefängnis eines Morgens aufgeschlossen und alle wurden von den manifestierten Vorstellungen überrascht? Etwa so: „Genosse Oberleutnant, kommen Sie bitte schnell in Verwahrraum 318! Hier hat sich auch eine Vorstellung manifestiert.“ Oder so: „Genosse Staatsratsvorsitzender, ich habe hier die Keibelstraße am Telefon. Sie möchte mit Ihnen über Kriminalität, Opposition und soziale Abweichungen reden.“

Entscheidende und ausführende Personen kommen in dem Text nicht vor – „Repression und Willkür“, wie die Autoren schreiben, ohne Täter. 
Sie wollen noch mehr von diesem Unsinn? Okay, ein letztes Beispiel: „Das Recht auf Gehör, rechtliche Beratung und einen ordentlichen Prozess als Fundamente staatlicher Fürsorge wurde den Inhaftierten nur teilweise gewährt […].“
Da müssen die Verfasser des Textes wohl viele Stunden des politikwissenschaftlichen Unterrichts verschlafen oder geschwänzt haben. Sonst hätten sie gelernt, dass ein Recht nicht gewährt (siehe Synonymwörterbuch, zuletzt abgerufen am 19.02.2019) wird, sondern dem Bürger, durch Verfassung, Gesetz und rechtsstaatliche Institutionen gesichert, einklagbar zusteht.
Das milde Zugeständnis des Machthabers ist kein Recht. Und die genannten Elemente eines rechtsstaatlichen Verfahrens gehören zum Kernbestand eines Rechtsstaates, denn seine Aufgabe ist zuallererst die Wahrung des inneren Rechtsfriedens.

Die angeführte „staatliche Fürsorge“ gehört zum Gedankengut autoritärer Herrschaft oder gelenkter Demokratie, die von der Vorstellung des unmündigen und unselbständigen Menschen ausgehen. Am Ende des eben nur teilweise zitierten Satzes wird zum einzigen Mal auf der Homepage eine Abkürzung verwendet, die man als geschichtlich halbwegs gebildeter Mensch an jeder Ecke und an jedem Ende erwartet hätte: SED. Dass diese Abkürzung nur einmal verwendet und an keiner Stelle aufgelöst wird, könnte daran liegen, dass die SED, nämlich die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, zwar die Verantwortung trägt für das in der DDR, und damit auch in der Keibelstraße, begangene Unrecht, aber derzeit unter dem Namen DIE LINKE eine der drei Regierungsparteien im Land Berlin ist. Und es kommt noch schlimmer: Der fachlich zuständige Senator für kulturelle Angelegenheiten ist Klaus Lederer für eben diese LINKE.

Kurz und schlecht: Die Autoren der Homepage haben auffällig darauf verzichtet, die historischen Sachverhalte korrekt zu schildern. Ob ihnen politischer Opportunismus, die Gier nach staatlichen Fördermitteln oder die weltanschauliche Nähe zu den früheren Machthabern die Hände über die Tastatur führte, weiß ich nicht.

Und etwas Verrücktes am Ende, zur Erklärung der Überschrift: Am Ende des Textes unter der Überschrift „Angebote“ heißt es: „Der Lernort ist mit einem Aufstuhl erreichbar und barrierearm.“ Was, bitteschön, ist ein Aufstuhl? Google weiß es nicht. Ich bin auch ratlos.



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