Von Gastautor Julius Bärenklau
Jeder kennt das: In den Suchergebnissen bei Google stößt man auf Überraschendes. Vorgestern also kam mir der Bericht von einer Veranstaltung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur unter. In der Reihe „Nach dem Ende der Illusion: Was bleibt vom Kommunismus im 21. Jahrhundert?“ hatte am 14. November 2017 Prof. Dr. Brigitte Studer zu dem Thema „Von der ‘Neuen Frau’ zur neuen Frauenbewegung. Emanzipationskonzepte auf Zeitreise“ gesprochen. Der Kommunismus habe, so Brigitte Studers These, „der Frauenbefreiung ein politisches Möglichkeitsfeld eröffnet“1. Wie jedoch die totale Herrschaft der kommunistischen Elite ein Möglichkeitsfeld für die Befreiung irgendeiner Gruppe eröffnen soll, blieb an diesem Abend offenbar ungeklärt.
Es ist schon ein krasser Ausdruck von Ignoranz, wenn Studer in ihrem Vortrag die demokratische Februarrevolution von 1917 zusammenrührt mit dem kommunistischen Putsch gegen eben die in der Folge dieser demokratischen Revolution zur Macht gelangte sozialdemokratisch geführte Übergangsregierung. Ihr Diktum „die beiden russischen Revolutionen von 1917“ ist an böswilliger Indifferenz kaum zu überbieten. Studer sollte wissen, dass Fürst Georgi Jewgenjewitsch Lwow, Mitglied der Konstitutionellen Demokraten und nach der Februarrevolution erster Ministerpräsident Russlands, am 19. März 1917 nach einem Protestzug von 40.000 Frauen das Frauenwahlrecht zugestand und für die entsprechende Änderung im Programm der provisorischen Regierung sorgte.
Die im November 1917 gewählte verfassungsgebende Versammlung wurde, trotz aller kommunistischen Störmanöver, von einer Mehrheit der gemäßigten Sozialrevolutionäre dominiert. Im Gegensatz zu den Kommunisten, die die Alleinherrschaft ihrer Partei festigen und die Ausbeuterklassen und Konterrevolutionäre von politischem Einfluss fern halten wollten, sprach sich die Versammlung an ihrem ersten Sitzungstag am 18. Januar 1918 deutlich für einen parlamentarisch-demokratischen Staat für alle Bürger Russlands aus. Als die Abgeordneten zu ihrem zweiten Sitzungstag zusammenkommen wollten, wurden sie von den Kommunisten mit Waffengewalt daran gehindert. Am selben Tag beschloss das kommunistisch dominierte Zentrale Exekutivkomitee des Sowjets die Auflösung der verfassungsgebenden Versammlung. In dem Beschluss heißt es: „Jeder Verzicht auf die uneingeschränkte Macht der Sowjets, auf die vom Volk eroberte Sowjetrepublik zugunsten des bürgerlichen Parlamentarismus und der Konstituierenden Versammlung wäre jetzt ein Schritt rückwärts, würde den Zusammenbruch der ganzen Oktoberrevolution der Arbeiter und Bauern bedeuten.“ (Zitiert nach: 1000dokumente.de, zuletzt abgerufen am 13. Februar 2019)
Wie Studer vor diesem historischen Hintergrund zu ihrer Einschätzung kommt, „der Kommunismus habe, trotz seiner ablehnenden Haltung dem Feminismus gegenüber, der Frauenbefreiung ein politisches Möglichkeitsfeld eröffnet“, vermag ich bei aller Phantasie nicht nachzuvollziehen. Das umfassende Wahlrecht auch für Frauen setzt, zumindest in meiner Logik, die regelmäßige Durchführung freier, gleicher, allgemeiner und geheimer Wahlen voraus.
Und ob die von Studer hervorgehobene Alexandra Kollontai tatsächlich als Vorkämpferin der Frauenbefreiung taugt, ist, diplomatisch ausgedrückt, fraglich. Wikipedia zitiert Kollontai mit der sicher programmatisch gemeinten Aussage: „Nicht die sexuellen Beziehungen bestimmen das moralische Ansehen der Frau, sondern ihr Wert im Arbeitsleben, bei der gesellschaftlich-nützlichen Arbeit.“ Kollontai ist also wiederum jemand, der Frauen nur auf ein anderes, ideologiegeleitetes Rollenbild festlegen will.
Abschließend behauptete Studer, „die im Zuge der russischen Revolution entwickelten, teilweise sehr weitreichenden emanzipatorischen Konzepte [seien] weder in der Sowjetunion, noch in anderen sozialistischen Gesellschaften je umgesetzt“ worden. Vielleicht muss man Professorin im schweizerischen Bern sein, um in einem der blutigsten Herrschaftssysteme der Geschichte „weitreichende emanzipatorische Konzepte“ zu erkennen. Dass sie damit die massenhafte Ermordung von Menschen ohne Ansehen ihres Geschlechts gemeint habe, kann ich nicht glauben.
Frau Prof. Dr. Studer scheint nach meinem Eindruck jedenfalls an diesem Abend manches dazu beigetragen zu haben, die Legende vom eigentlich Guten des Kommunismus zu stärken. Vielleicht war diese, auch in anderen Projekten Studers sichtbar werdende, apologetische Grundstimmung auch der Grund für die Wahl Studers in den wissenschaftlichen Beirat des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF). Interessant wäre die Antwort auf die Frage, ob die Herangehensweise Studers modellhaft für die in den letzten Monaten verschiedentlich erhobene Forderung nach geschichtswissenschaftlicher Professionalisierung der Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte verstanden werden muss. Wenn man die durchaus begründete Behauptung Karl Poppers u. a., dass induktive, ergebnisoffene Forschung nicht möglich sei, um die Annahme erweitert, dass die Ergebnisse wissenschaftlichen Arbeitens durch die interessengeleitete Persönlichkeit des Wissenschaftlers beeinflusst werden, stellt sich die Frage, warum es so vielen so schwer fällt, neben aller wissenschaftlichen Analyse Sozialismus und Kommunismus als das zu bewerten, was sie sind: Diebstahl, Raub, Raubmord und häufig sogar Mord im Sinne des Strafrechts. Hätte Studer die einfache Vorüberlegung angestellt, ob es bei den Herrschenden einer kommunistischen Diktatur, deren Mittel die Entrechtung aller, Diebstahl, Raub und Mord sind, „emanzipatorische Konzepte“ gegeben haben kann, hätte die besprochene Veranstaltung vermutlich nicht stattgefunden.
Dass die Bundesstiftung Aufarbeitung bei der Vorbereitung dieser Veranstaltung darauf verzichtete, die erwartbaren Ausführungen Studers kontrovers zu kontextualisieren, ist nur ein weiteres Beispiel für die immer deutlicher sichtbar werdende geschichtspolitische Mission dieser aus Steuergeldern finanzierten Einrichtung. Dass diese geschichtspolitischen Zumutungen ohne Widerspruch aus den Stiftungsgremien stattfinden können, ist ein Skandal für sich.
1 Alle Zitate, soweit nicht anders gekennzeichnet, stammen aus dem Veranstaltungsbericht https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/uploads/2017-pdf/2017-11-20-va-bericht.pdf (zuletzt abgerufen am 12.02.2019).