Haben Sie am Wochenende noch nichts vor, oder ist Ihnen das Wetter zu schlecht für den geplanten Winterausflug? Dann sollten Sie in die Ausstellung der französischen Meisterzeichnungen des Kupferstichkabinetts in Berlin gehen. Die neue Direktorin Dagmar Korbmacher hat mit dieser Ausstellung ein glänzendes Debüt gegeben. Als ehemalige Referentin für französische und italienische Kunst bis 1800 hatte sie dafür beste Voraussetzungen. Die Ausstellung ist von höchster Kenntnis, aber auch von einem Sinn für Eleganz geprägt.
Ich hatte das Glück, als Mitglied des Kaiser Friedrich Museumsvereins eine Führung mit Korbmacher erleben zu dürfen. Es war nicht nur Genuss pur, sondern enorm bildend.
Wahrscheinlich wissen nur wenige Berliner, dass das Kupferstichkabinett nicht nur über die größte Kollektion grafischer Kunst Deutschlands verfügt, sondern dass sie zu den vier weltgrößten Sammlungen dieses Genres zählt. Sie umfasst Zeichnungen und Drucke vom Mittelalter bis zum heutigen Tag. Die Zahlenangaben habe ich leider vergessen, aber es sind zehntausende Arbeiten.
Zeichnungen entstehen selten als eigenständige Werke. Meist sind sie Studien für Gemälde oder reine Fingerübungen. Haben sie ihren Zweck erfüllt, werden sie für den Künstler wertlos und landen zerrissen auf dem Boden.
Ein Werk ist zu sehen, das von einem Unbekannten gerettet, sorgfältig wieder zusammengesetzt wurde und nun stolz präsentiert werden kann.Eine Zeichnung von Nicolas Poussin hat überlebt, weil sie aus dem Brief, den der Maler an eine unbekannte Person schrieb, sorgfältig ausgeschnitten wurde. Die Zeichnung zeigt einen Ausschnitt der römischen Campagna, wohin der Künstler sich immer wieder für Landschaftsstudien begab. Heute gilt sie als seltenes Meisterblatt. Wenn man genau hinschaut, kann man an der zittrigen Lineatur der schraffierten Berge den Tremor erkennen, unter dem Poussin im Alter litt.
Übrigens, so bemerkte ein französischer Kunstkenner, Poussin würde in Frankreich unter den Italienern hängen, weil er die meiste Zeit seines Lebens in Italien verbracht hat. Dieses Beispiel zeigt, wie fließend die Grenzen sind.
Die „Mona Lisa der Ausstellung“, wie Korbmacher es ausdrückte, ist eine Zeichnung von Jean Fouquet, eine Bildnisstudie des Guillaume Juvénal des Ursins, des Kanzlers von Karl VII. Das Blatt stammt von 1460. Es ist deshalb besonders bemerkenswert, weil Fouquet für das überaus lebendige Porträt eine spezielle Technik mit unterschiedlichen Farben benutzte, von der man bis vor Kurzem glaubte, sie sei erst eine Generation später von Leonardo da Vinci erfunden worden.
Wie viele französische Künstler lebte auch Fouquet lange in Italien, wo ihm diese Technik vermutlich beigebracht wurde. Die gemalte Version des Porträts befindet sich heute übrigens im Louvre.
Eine Überraschung der Ausstellung sind die märkischen Landschaften von Antoine Pesne aus dem Jahr 1745. Der Künstler schuf eine so genannte „fête galante“ vor der Kulisse des Fischerdorfes Kietz bei Bad Freienwalde. Die drei elegant gekleideten Paare vermutet man nicht in einer märkischen Landschaft. Zu erklären ist die Verlegung des typisch französischen Motivs dorthin, wenn man erfährt, dass Pesne seit 1711 Hofmaler am preußischen Hof war. Er musste sich, ähnlich wie später Alexander von Humboldt als preußischer Kammerherr, nicht ständig am Hof aufhalten, sondern nur eine bestimmte Anzahl Werke liefern.
Neu war für mich, dass von Rötelzeichnungen, die Maler anfertigten, häufig „Abklatsche“angefertigt wurden. Dabei wurde auf die eben fertiggestellte Zeichnung ein speziell präpariertes Blatt gelegt, das Pigmente der Zeichnung aufsaugte und eine schwächere spiegelbildliche Version des Originals lieferte. Auch solche interessanten Abklatsche sind zu sehen.
Nicht unumstritten ist eine Zeichnung von Antoine Watteau von 1715, die eine italienische Schauspieltruppe beim Schlussapplaus vor dem Vorhang zeigt. Kritiker argumentierten, dass die Darstellung der Figuren untypisch für Watteau sei. Die Untersuchungen haben aber ergeben, dass die Zeichnung ihm sicher zuzuordnen ist. Deshalb hat sie es als Motiv auf das Plakat der Ausstellung geschafft.
Ein anderes zauberhaftes Blatt, das am Ende der Ausstellung hängt und zu Korbmachers Lieblingsblättern gehört, wurde als Plakatmotiv verworfen, weil es nicht zum Motto passte.
Das überaus lebendig wirkende Stachelschwein von Jean-Baptiste Oudry entstand nicht nach einem lebenden Modell, sondern wurde von einem Ölgemälde abgezeichnet. Es entlässt den Besucher ehrfürchtig staunend, ob der Meisterschaft der hundert „schönsten Franzosen“, die das Kupferstichkabinett aus seinem Depot hervorgeholt hat.
Ein Besuch der Ausstellung ist besonders am Sonntag zu empfehlen, denn dann findet um 11:30 Uhr eine Führung statt.