Wie der Bundestag Hunderttausende Petenten missachtet

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Am 14. Januar fand vor dem Petitionsausschuss eine öffentliche Anhörung zu einer Petition gegen den UN-Migrationspakt statt. Angehört wurde die so genannte Leitpetition von Dr. Englmeier, die über 127 000 Unterstützer hatte. Es gab aber etwa 50 andere Petitionen zum selben Thema, die ebenfalls zum Teil zehntausende Unterschriften vorweisen konnten.

Kein Grund für unsere Volksvertreter, das Anliegen ernst zu nehmen.

Dr. Englmeier berichtet, wie man sich als Petent fühlt, wenn man von unseren Volksvertretern ignoriert wird. Sein Bericht ist ein Lehrstück über den Zustand eines Parlaments, das seine Wähler nicht mehr vertreten will.


Was ich noch zu sagen hätte…
…dauert etwas mehr als eine Zigarette. Aber nicht viel länger als ein Bier im Stehen.

Nun ist sie also vorbei, die Anhörung im Petitionsausschuss, vor der ich als Politikneuling ordentlich Respekt hatte. Und zu Recht, wie der Ablauf der Anhörung zeigte, denn es wäre vor allem Frau Rottmann von den Grünen sehr gelegen gekommen, hätte ich mich vor laufenden Kameras zum Deppen gemacht.

Es war auch so schwierig genug, in der Anhörung eigene Akzente zu setzen. Im Wesentlichen hat man nur die 5 Minuten für das Eingangsstatement, die man selbst gestalten kann. Ansonsten kann man froh sein, wenn man überhaupt einmal eine Frage gestellt bekommt, denn die Abgeordneten haben im Prinzip die Möglichkeit, die Anhörung komplett am Petenten vorbeilaufen zu lassen, indem sie dem anwesenden Regierungsvertreter Fragen stellen. Davon wurde am Montag dann auch ausgiebig Gebrauch gemacht, und vor allem die Regierungsfraktionen stellten an Niels Annen vom Außenministerium Fragen, die wie einstudierte Vorlagen für die Selbstdarstellung des Außenministeriums wirkten. Und von dort kam dann auch die erwartete Beruhigungslitanei: „rechtlich nicht bindend!“, „keine direkten Auswirkungen“, „es werden durch den Migrationspakt keine neuen Rechte für Migranten geschaffen“.

Ausgerechnet die Anhörung zum Migrationspakt dazu zu nutzen, um wieder einmal die Regierung zu Wort kommen zu lassen, empfand ich als schlechten Witz! Denn erstens war die politische Meinung der Bundesregierung jedem im Saal und im Land hinlänglich und detailliert bekannt, und zweitens hat jeder Bundestagsabgeordnete zahlreiche Möglichkeiten, die Meinung der Regierung jederzeit in Erfahrung zu bringen. In dieser Form war das ein Missbrauch des Fragerechts, durch den meine regierungskritische Petition in ihr Gegenteil verwandelt wurde, weil dadurch die Anhörung als weitere Propagandagelegenheit für die Regierung missbraucht wurde. Ein “Dialog mit dem Bürger” sieht anders aus, und es wurde sehr schnell klar, dass dieser einfach nicht gewünscht war.

Bei 23 Fragen insgesamt bekam ich nur sechs Mal jeweils eine Minute lang die Gelegenheit, noch etwas zu sagen. Aber eben nicht frei, sondern gebunden an die Fragen, die die Fragesteller wohlüberlegt so eng und spezifisch formuliert hatten, dass der Spielraum für die Antwort minimal war.

Ich habe höchsten Respekt für jeden, der es unter diesen Bedingungen schafft, spontan auf eine vorher unbekannte und oft genug komplexe Frage in einer Minute eine Antwort zu liefern, die a) auf die Frage eingeht, b) die eigene Position auf den Punkt bringt, c) rhetorisch brilliert und d) thematisch „zündet“. Ich hab mich bemüht – aber es blieb einfach zu viel ungesagt und unwidersprochen. Und wenn ich etwas mehr Zeit zum Nachdenken gehabt hätte, hätte ich einige Fragen pointierter beantwortet. Daher dieser Artikel.

Fangen wir mit Frau Rottmann und mit Ihren Suggestivfragen an. Ihre Frage in der zweiten Runde leitete sie mit dem Halbsatz „Wie gehen wir miteinander um…“ ein, um danach auf den AfD-Abgeordneten Huber loszugehen. Darauf hätte ich antworten können, ja müssen: „Hoffentlich sachlicher und weniger aggressiv im Ton als Sie mit Ihren Kollegen Abgeordneten!“ Und ich hätte diese inoffizielle Mitarbeiterin der neuen Sprachsicherheit fragen sollen, ob sie denn denkt, dass die Bürger dieses Landes ihre Obsession in Bezug auf gefällige und freundliche Sprache teilen? Ich hätte das mit einer Warnung an Politik und Medien verbinden können, dass die Bürger sich mehr für die Ergebnisse einer Politik interessieren als dafür, wie nett sich etwas anhört, und deshalb die Aufregung über „das böse Wort“ immer weniger teilen, wenn gleichzeitig Politik und Medien bei „der bösen Tat“ – all den Gewaltverbrechen durch Migranten, die wir inzwischen erleben müssen – seltsam und auffällig stumm bleiben. Dass Politik und Medien uns Bürger mehr und mehr verlieren werden, wenn der Eindruck entsteht, bestimmte Politiker und Medien hätten mehr Verständnis für Verbrecher als für Versprecher.

Zu Frau Rottmanns zweiter Frage, ob man den Migrationspakt als Umsiedlungsprogramm bezeichnen könne, hätte ich mit mehr Zeit für eine detaillierte Antwort auf die Passagen in der Guterres-Rede vom 12. Dezember 2017 verwiesen [ UN Dokument A/72/643: englischsprachiger Text unter https://refugeesmigrants.un.org/sites/default/files/sg_report_en.pdf ], in der er die Bedeutung des Migrationspaktes als Vorbereitung für die Wanderung von großen Migrantengruppen und ganzen Völkern hervorhebt [Abschnitt IV. “The challenge of large movements of people”] und klarmacht, dass diese großen Migrantenströme in Zukunft unbedingt im Land ihrer Wahl ankommen sollen und nicht zu lange in Transitländern verbleiben sollen [“Today many migrants are trapped in transit countries that lack the capacity to care for them, forced to (…) look for illicid means to move elsewhere. (…) This Situation is intolerable.”] .
Diese Passage macht zum einen klar, dass es nicht um Arbeitsmigration geht, denn sonst würde man nicht nach Staaten suchen, die diese Migranten versorgen können, und zum anderen, dass allein der Reisewunsch der Migranten das Zielland festlegt, denn im ganzen Pakt gibt es keine Definition dessen, was ein “Zielland” denn sein soll – außer dem, was die Migranten für sich als Ziel wünschen.

Insofern ist der Migrationspakt natürlich kein Umsiedlungsprogramm per se, aber er wird ganz offen vom UN-Generalsekretär als Vorbereitung auf zukünftige große Migrantenströme bezeichnet. Und in diesem Zusammenhang ist auch der Zugang zu Grundleistungen in den Transitländern zu sehen – auf ihrem Weg in die Zielländer sollen nämlich die Migranten in Zukunft besser vor Hunger und Entbehrungen geschützt sein. Mit anderen Worten: die Infrastruktur für die Balkanroute der Zukunft soll aus Sicht der Migranten einmal besser sein, als sie es 2015 war.
DAS ist nämlich der tiefere Sinn hinter dem Zugang zu Grundleistungen, Herr Lehrieder, und aus der Guterres-Rede wird diese Absicht auch ganz deutlich.

Herr Lehrieder fragte mich bei seinen zwei Fragen im Wesentlichen, a) ob ich denn gegen multilaterale Abkommen sei und b) ob ich nicht denke, dass weniger Migranten nach Deutschland kommen, wenn sie schon in den Transitländern Zugang zu Sozialleistungen bekommen.

Die erste Frage konnte ich ganz gut beantworten, indem ich klar machte, dass ich einen neuen Multilateralismus an der Seite von Marokko und unseriösen Regierungen wie Saudi Arabien, der uns auf der anderen Seite von unseren demokratischen europäischen Nachbarn entfremdet, nicht als besonders erstrebenswert erachte. Denn eine Lehre aus dem zweiten Weltkrieg sehe ich darin, dass wir Polen, Frankreich, Dänemark und Österreich und allen anderen ein guter Nachbar sein sollen. Und dass wir nicht wieder das Klischee des arroganten und besserwisserischen Deutschen bedienen sollten, dem die Meinungen und Befindlichkeiten gerade der kleineren Nachbarn ziemlich sonstwo vorbeigehen.

Die zweite Frage zeigte deutlich, welchen Illusionen sich die Unionsabgeordneten, die trotz offensichtlicher Bedenken für den Pakt gestimmt haben, hingeben. Um diese Illusionen auszuräumen hätte man aber etwas tiefer einsteigen müssen.

Ich hätte Herrn Lehrieder fragen können, ob er denn denke, dass Arbeitsmigranten, die über das neue Einwanderungsgesetz zu uns kommen sollen, jemals Zugang zu Grundleistungen in Transitländern brauchen werden? Diese Leute werden nämlich – ausgestattet mit einem regulären Visum – per Flugzeug zu uns kommen, ohne jemals ein Transitland zu berühren (außer vielleicht für ein paar Stunden, um das Flugzeug zu wechseln, und in der Zeit werden sie keinen Zugang zu irgendwelcher Sozialhilfe im Transitland brauchen). Oder ob es nicht viel plausibler ist, dass den Zugang zu Grundleistungen in Transitländern diejenigen brauchen, die sich auf dem Landweg zu uns auf den Weg machen – also eben gerade die irregulären Migranten, die überwiegend in unser Sozialsystem einwandern.

Wenn er das noch nicht verstanden hätte, hätte ich ihn fragen können, wie sich denn eine Familie mit sechs Kindern entscheiden wird, wenn sie in Italien mit etwas Glück ein Dach über dem Kopf und täglich ein bisschen was zu Essen bekommt, während in Deutschland Nettosozialtransfers in Höhe von etwa 45000€ auf sie warten. Und ich hätte ihn noch fragen können, ob er denn denkt – gesetzt den Fall, man könnte sich europaweit auf einheitliche Sozialstandards für Migranten und Flüchtlinge einigen, sodass der Anreiz zur EU-Binnenmigration nach Deutschland tatsächlich wegfiele – dass sich die Mittelmeer-Anreinerstaaten wie Marokko, Libyen und Ägypten denn ein ähnliches Sozialniveau leisten könnten, sodass dann der Anreiz, nach Europa zu migrieren, wegfiele?

Vielleicht hätte dann er und hätten mit ihm die Unionsabgeordneten – denen ich jetzt einmal mehrheitlich einen Willen zur Begrenzung der illegalen Migration unterstelle – verstanden, dass der Pull-Effekt, den das gerade für Großfamilien großzügige deutsche Sozialsystem auf die Armen dieser Welt ausübt, nicht durch eine Erhöhung der Leistungen in Herkunfts- und Transitländern beseitigt werden kann, denn dort kann schlicht und ergreifend niemand auch nur annähernd ein solches Niveau finanzieren. Vielleicht hätten sie dann verstanden, dass es langfristig nur zwei Alternativen gibt: Entweder man verhindert illegale Einwanderung in das Sozialsystem oder man kommt über kurz oder lang um eine Absenkung des Niveaus in Deutschland nicht herum, wenn das System nachhaltig finanzierbar bleiben soll.

Ich hätte auch noch gerne etwas zum unsäglichen Hickhack vor der Veröffentlichung der Petition gesagt. Denn obwohl meine Petition ja im Wesentlichen die österreichische Regierungslinie vertreten hat, sollte sie nach dem Willen der Grünen und Linken – weil “böse” – nicht veröffentlicht werden. Und das, obwohl die Kritik am Pakt von vielen unserer Nachbarländer parteiübergreifend geteilt wird – in Österreich von einer christdemokratisch geführten Regierung, in Tschechien von einer liberalen, und in der Slowakei von einer sozialdemokratischen. Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, wenn eine Partei wie die Grünen, die sich als pro-europäisch geriert, die Positionen unserer europäischen Nachbarn als in Deutschland indiskutabel ansieht und die Veröffentlichung der Petition verhindern wollte. Ich hätte Frau Rottmann gerne gefragt, wie sie eigentlich in Zukunft mit unseren südlichen und östlichen Nachbarn zusammenarbeiten will, wenn sie deren Regierungen auch als “böse” ansehen sollte?

Ich hätte mich an dieser Stelle auch bei den vier Fraktionen bedanken können, die sich für die Veröffentlichung der Petition eingesetzt haben und damit für eine – mehr oder weniger – offene Diskussion mit dem Bürger auch bei diesem kontroversen Thema. Und damit für die Meinungsfreiheit. Ich hätte SPD, FDP, die Union und die AfD dafür loben können, dass sie sich im Gegensatz zu den Grünen und Linken nicht für die Zensur von politischen Positionen hergegeben haben, die in unseren Nachbarländern nicht nur selbstverständlicher Gegenstand der demokratischen Diskussion sind, sondern dort die Regierungspolitik darstellen.

Ich wäre so gerne auch auf ein Argument eingegangen, das ich in der Diskussion vor der Bundestagsdebatte öfter gehört habe, nämlich dass sich durch den Migrationspakt die Menschenrechtssituation von Arbeitsmigranten in Ländern wie Saudi Arabien verbessern solle. Leider hat keiner eine Frage gestellt, bei der ich auf dieses Thema hätte eingehen können.

Denn die Menschenrechte gelten eh schon global und für alle Menschen. Die Situation für Migranten wird sich nicht dadurch verbessern, dass die Menschenrechte jetzt im Zusammenhang mit dem Migrationspakt noch einmal betont werden. Glaubt denn jemand, dass eine Regierung wie die von Saudi Arabien, die den eigenen Staatsbügern nicht einmal das fundamentalste Menschenrecht auf Leben gewährt, wenn diese in Istanbul die Botschaft betreten, sich durch den Migrationspakt nun dazu veranlasst sehen wird, die eigene Menschenrechtspolitik auch nur minimal zu verändern? Oder ist es wahrscheinlicher, dass sich diese Leute auch in Zukunft einen feuchten Kehricht um die Menschenrechte kümmern werden?

Herr Straetmanns von den Linken hat übrigens im Anschluss an die Anhörung meine Kritik an der Einseitigkeit des Migrationspaktes, der lediglich im Rassismus der Zielgesellschaften ein Problem sieht, mit dem lapidaren Kommentar gekontert, das hätten völkerrechtliche Abkommen nun mal so an sich, dass sie nur die sie annehmenden Staaten – und damit uns als Zielgesellschaft – verpflichten. Gerne hätte ich ihn darauf aufmerksam gemacht, dass der Migrationspakt sich an einer interessanten Stelle durchaus an Zielgesellschaft und Migranten wendet.
An einer Stelle wird nämlich ganz allgemein von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz gesprochen. 32 i zu Ziel 16 will “für Schulen mit einer hohen Konzentration von Migrantenkindern gezielte Mittel bereitstellen, um alle Formen von Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz zu verhüten.” Erstaunlich, finden Sie nicht?

Man möchte meinen, dass Migrantenkinder doch vor allem dort, wo sie in der Minderheit sind, unter der Intoleranz der einheimischen Kinder zu leiden hätten.

An dieser Stelle wird deutlich, dass die Verfasser des Paktes die Probleme an europäischen Schulen mit hohem Migrantenanteil kennen und wissen, dass dort die Intoleranz der einheimischen Bevölkerung nicht das Problem ist. Den Verfassern ist bei diesem Satz das eigene Problembewusstsein ungewollt in die Feder gerutscht. An dieser Stelle wird der Elefant im Zimmer der Migrationsdebatte sichtbar, nämlich Feindseligkeit und Intoleranz, die Migranten leider oft genug zu uns mitbringen.

Man kann nur hoffen, dass zumindest ein Punkt aus der Anhörung bei den Abgeordneten angekommen ist: nämlich dass alleine die Bundesregierung Deutschland völkerrechtlich vertreten kann und dass der Beschluss des Bundestages vom 27.11., der dem Migrationspakt ja eine die illegale Migration einschränkende Interpretation geben will, solange völlig wirkungslos bleibt, bis er VON DER BUNDESREGIERUNG an die UN als Einschränkung, als “reservation”, übermittelt wird.

Lasst uns die Daumen drücken, dass unsere Petition dabei helfen wird, zumindest dieses kleine Ziel zu erreichen, wenn wir schon nicht so klug und weitsichtig wie unsere Nachbarn regiert werden.



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