Kulturfluchten Fluchtkulturen (Teil III)

Veröffentlicht am

von Gastautor Prof. Dr. Hans-Peter Schwöbel

 

Die Bewohnbarkeit der ganzen Erde verteidigen!

Dazu gehört: Menschen fliehen zunehmend vor welt- und hausgemachten Umweltkrisen und -katastrophen. In Deutschland besteht angesichts der Beiträge der Industriestaaten zum Klimawandel (…wir sind Schuld!) schon jetzt eine hohe Bereitschaft, entsprechende Fluchtgründe zu akzeptieren. Ich empfehle das Gegenteil: Wir müssen die Bewohnbarkeit der ganzen Erde verteidigen, und was verloren scheint, zurückgewinnen. Dazu braucht die autochthone Bevölkerung in prekären Regionen und sozialen Schichten die Hilfe der Hochproduktiven. Und die Welt wiederum braucht die Liebe und das Engagement alteingesessener Bevölkerung, um notwendige ökologische, technische und gesellschaftliche Transformationen zu bewerkstelligen. Generell glaube ich angesichts einer Weltbevölkerung von demnächst acht Milliarden Menschen nicht an die heilende Wirkung von Massenmigration. Häufig gezogene Vergleiche zu anderen Migrationsepochen überzeugen mich nicht.

Das notwendige Kapital steht weltweit in Billionenhöhe bereit, wird aber an den Stellen, an denen es besonders gebraucht wird, nicht eingesetzt. Dies ist nicht nur kriminellen Rücksichtslosigkeiten, krankhaften Egoismen und menschenverachtenden Interessen globaler Kapitalgeber geschuldet, sondern ebenso nationalem, regionalem und lokalem Unvermögen, produktive Projekte zu planen und zu implementieren. Ich habe bei meinen Arbeits- und Forschungsaufenthalten in Somalia, Gambia, im Senegal, im Iran und in der Karibik viele lokale Zustände erlebt, die mit geringem Aufwand an Arbeit, Know-how, Kapital und Technik deutlich zum Besseren gewendet werden könnten, wenn sich nur die entsprechenden lokalen, regionalen und staatlichen Initiativen bilden würden. Slums im Süden könnten in menschenwürdige Städte verwandelt werden für einen Bruchteil des Geldes, das eine mittlere Neubausiedlung in Deutschland kostet.

Brennende Probleme könnten gelöst und viele Arbeitsplätze mit zumutbarem Aufwand geschaffen werden. Gerade viele afrikanische, arabische und manche asiatischen Eliten spüren wenig Neigung ihr (zum Teil beachtliches) Kapital im eigenen Land zu investieren; denn schwierige Entwicklungen im eigenen Land anstoßen und fördern und gleichzeitig hohe Renditen einstecken, schließt sich aus. Kofi Annan hat auf der Sicherheitskonferenz in München im Februar 2016 in einer Rede die anwesenden Staats- und Regierungschefs in diesem Sinne scharf angegriffen. (Kofi Atta Annan, (1938 – 2018) war ghanaischer Diplomat. Er war zwischen 1997 und 2006 siebter Generalsekretär der Vereinten Nationen.) Der Präsident Afghanistans, Aschraf Gahni, wirft den afghanischen Eliten immer wieder Raub am eigenen Volke vor.

Alle Probleme dem „großen Satan“ Amerika und den alten europäischen Kolonialmächten in die Schuhe zu schieben, und dabei kulturspezifische Reifungsverweigerungen sowie Entwicklungs- und Emanzipationsblockaden in den Ländern des Südens beharrlich zu leugnen, legitimiert und stabilisiert diese Blockaden. Sie auch nur anzusprechen, wird in Deutschland mit Ausgrenzung und dem Vorwurf des Rechtspopulismus bestraft.

 

Lechts – Rinks?

Ernst Jandl: „Lichtung – manche meinen lechts und rinks kann man nicht velwechsern. werch ein illtum.“

Wieder einmal versagen die deutschen Linken. Mit “die Linken” meine ich nicht nur die Partei dieses Namens, sondern ebenso große Teile der Grünen und der SPD, aber auch zahllose zivilgesellschaftliche, z.B. kirchliche, Bürger- und Basisinitiativen und NGOs. Menschen und Organisationen also, die sich selbst in einem umfassenden, wenn auch unscharfen Sinne, als “links” bezeichnen.

Beflissen tragen sie dazu bei, globale Kulturkonflikte, wie sie sich unter anderem bei den machttrunkenen und sexualisierten Neujahrskrawallen 2016 in Köln und vielen anderen Städten ebenso wie in den nicht endenden Anschlägen weltweit entladen, in einen innerdeutschen, innereuropäischen, gar weltweiten Rechts-Links-Konflikt umzudeuten. Entsprechend hilflos reagieren wir auf die rasante, entschieden antidemokratische Islamisierung der Türkei, die sich seit Jahren vollzieht, ganz unverhohlen aber seit dem “Putsch” im Juli 2016.

 

Religionskritik? Zivilisationskritik?

Wie steht es um die linke Kernkompetenz Religionskritik? Kritik an der katholischen Kirche gibt es noch, nicht aber am Islam. Das wäre ja “Rassismus” (und außerdem gefährlich). Wir erlauben uns, uns möglichst nicht mit Besonderheiten islamischer Kulturen zu befassen. Wer liest schon den Koran? Wir üben unser Grundrecht auf Ahnungslosigkeit aus.

Linke Zivilisationskritik? Kaum, und wenn doch, am liebsten am Westen. Das machen wir schon seit Jahren. Wir müssen uns nur wiederholen. Das schweißt zusammen. Linke und liberale Aktivisten begrüßen Arm in Arm mit hohen Konzernvertretern begeistert den Zustrom billiger Arbeitskräfte, die in ihren Heimatländern viel dringender gebraucht würden. Dass der Mindestlohn praktisch Makulatur ist – kein Problem! Kritik an Brain-Drain und Manpower-Drain, die Europäer und Amerikaner schamlos ausnutzen? War gestern!

 

Die Grundkrisen sind Kulturkrisen

Armut, Kriege, Bürgerkriege und Terrorismus sind nur die schlimmsten Eskalationsprozesse umfassender Kulturkrisen und -zusammenbrüche. Die Massenmigration von Menschen vollzieht sich vor allem als Kulturflucht.

Länder, aus denen sich die Fluchten vollziehen, verlieren mit den jungen Menschen die letzte reale Basis für Entwicklung. Aufnahmeländer wiederum könnten ihre kulturelle Balance einbüßen. Große Räume in Afrika, in Asien und im Nahen Osten könnten sich in den nächsten Jahren entleeren bis zur völligen Entwicklungsunfähigkeit. Europas Bevölkerung dagegen könnte weit über Gebühr verdichtet und dabei nahezu zwangsläufig in Parallel- und Gegengesellschaften zerklüftet werden, mit rasch steigenden Konflikt- und Gewaltpotentialen.

Langsam dämmern Fragen und selbst Willkommens-Euphoriker fordern: Wir müssen die Flucht-Ursachen bekämpfen. Mehr als die fast vollkommen berechtigte Kritik an deutschen Waffenexporten kommt dann aber nicht. Die Waffenlieferungen sind der letzte Strohhalm, an den sich die Guten zwecks leidenschaftlicher Lust an westlicher (vor allem deutscher) Schuld noch klammern können. Die Betonung der Waffenlieferungen als mit Abstand wichtigster Ursache für Gewalt, Krieg und Flucht, nährt die Illusion, „wir“ hätten damit den entscheidenden Hebel in der Hand, die Gewalt zu beenden. Dieser schwere Irrtum beruht auf tiefen Unkenntnissen demographischer, politischer, religiöser und anderer kultureller Verwerfungen im Süden.

Voraussetzung für die Bekämpfung der Migrationsursachen Bevölkerungsexplosion, Armut, globale Bildungskatastrophen, Gewalt, Krieg und konzernartig gesteuerter Kriminalität ist, sich diese ungeschminkt und ohne wechselseitige Dämonisierung vor Augen zu führen.

Erstens: Wir müssen die europäischen Grenzen zuverlässig sichern, um wieder politikfähig zu werden. Illegale Einwanderer müssen gefunden und ihrer Heimat wieder anvertraut werden. Dazu braucht es keinerlei Fremdenfeindlichkeit sondern nur demokratische und rechtsstaatliche Entschlossenheit. Dies würde gerade das Vertrauen jener Immigranten in deutsche Behörden stärken, die wir zur Heimkehr bewegen müssen. Immigranten, die unser Land ungefragt mit ihren zahlreichen Kompetenzen, aber ohne jede rechtliche Grundlagen bereichern wollen, dürfen wir nicht länger zum Narren halten und ihnen Perspektiven vorgaukeln, zu deren Erfüllung die entsprechend leistungsfähigen Ökonomien erst noch erfunden werden müssen. Wir müssen sie so schnell in Flugzeuge setzen, dass sie ihre vielen jüngeren Brüder und Vettern noch davon abbringen können, ihre kostbaren Ideen und ihre Arbeitskraft bei den ausbeuterischen Deutschen zu verschenken, sondern beides, gegen Löhne mit Mindestlohngrenze in ihrem eigenen Land zu investieren.

An Entwicklungsprojekten beteiligen sich meine Frau und ich schon seit fünfzig Jahren, auch unter Einbringung unserer eigenen Gesundheit und temporären Inkaufnahme gesenkter Lebenserwartung. Trotz gemischter Erfahrungen würden wir daran festhalten. Allerdings: In vielen Ländern warten Helfer und Geber seit Jahrzehnten vergeblich auf selbsttragende Effekte. Ohne diese ist alles vergeblich.

Zweitens: Wir müssen in Deutschland den Neubeginn einer Debattenkultur versuchen, der Menschen an einen Tisch führt, die glauben, sich hassen zu dürfen. Zurecht erwarten wir von den Konfliktparteien zum Beispiel in Syrien, sich an einen Tisch zu setzen, um Frieden zu suchen. Da sind Menschen und Gruppen dabei, die sich gegenseitig viel Schlimmeres vorzuwerfen haben, als die “Lechten” und “Rinken” in Europa.

Kein anderer Weg führt aus der Hölle. Noch könnte in Deutschland Zeit genug sein, sich aus zerstörerischen Gruppendynamiken zu lösen und wechselseitige Hetze und Verachtung durch Achtungs-, Denk-, Sprech- und Zuhörleistungen zu überwinden. Diese Debatte müssen wir als Deutsche und Europäer führen. Wer (noch) nicht dazu gehört schweigt. Die Zeit läuft.



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