Von Gastautor Michael Wolski
Liest man einige der zahllosen Kommentare zum Fall Relotius wird schnell klar, dass es für den SPIEGEL und die Eigentümer der SPIEGEL-Verlagsgesellschaft (Erben, Mitarbeiter-KG und Bertelsmann) nach der Presseinformation jetzt erst recht ungemütlich werden kann.
Der deutsche Strafverteidiger Strathe meinte zur Strafbarkeit des Tuns von Relotius: Da ist nichts, das Erzählen von fiktiven Geschichten ist nicht strafbar. Zwar sei eine zivilrechtliche Klage auf Schlechtleistung möglich, aber da wären die Aussichten des SPIEGELS auf Erfolg sehr gering.
https://www.cicero.de/kultur/claas-relotius-gerhard-strate-spiegel-wahrheit-strafbar-fiktion
Reportagen im Schreibstil von Relotius, die Gut und Böse klar eingrenzten, unter die Haut gingen und mitfühlen ließen, erinnern an die DDR. Zeugten sie doch weiland vom verinnerlichten Klassenstandpunkt des Verfassers und signalisierten dem Leser, was die Partei erwartete.
Mitte November 2018 erreichte in Deutschland die Diskussion zum Migrationspakt ihren Höhepunkt. Am 29.11. sollte der Bundestag dazu eine Entschließung annehmen. Österreich, das aktuell den EU-Ratsvorsitz innehatte – lehnte die Unterzeichnung anfangs des Monats ab, weitere EU-Länder prüften, es gleich zu tun. Die USA hatten sich schon vor einem Jahr aus den Verhandlungen zurückgezogen. Es bestand also Handlungsbedarf, um insbesondere die amerikanischen Migrationsfeinde in einer Reportage auch emotional erlebbar vorzuführen.
Mit dem Arizona-Artikel vom 16.11.2018 ist das gelungen, so gut, dass man jetzt ein Problem hat.
http://www.spiegel.de/plus/buergerwehr-gegen-fluechtlinge-in-arizona-jaegers-grenze-a-00000000-0002-0001-0000-000160834460
Eine klare, positive Haltung zu den mittelamerikanischen Migranten steht im scharfen Kontrast zu den in der Reportage beschriebenen, im Leben überwiegend gescheiterten amerikanischen Fremdenfeinden. „Für Jaeger und für Donald Trump, das sagen beide deutlich, sind Menschen wie Aleyda Eindringlinge, Verbrecher, auf jeden Fall Leute, die kein Anrecht haben, in den USA zu leben.“ Der Begriff „white trash“ wird assoziiert. Die Story, so wie sie erzählt wird, erwärmt das Herz aller Freunde der Willkommenskultur und gibt ein Gefühl haushoher moralischer Überlegenheit. Gut für die Zustimmung unserer Menschen zum Migrationspakt.
Wie schon hier vor einigen hier Tagen vermutet, scheint sich jetzt zu bewahrheiten, dass die US-Politik dem Treiben des SPIEGEL und Relotius` in den USA schweigend zugeschaut hat, um zu einem geeigneten Zeitpunkt in die Offensive zu gehen.
Zwei Tage nach der Beichte des SPIEGEL-Managements zum Betrugsfall zeigte sich der US-Botschafter in Deutschland not amused.
Die Beiträge von Relotius zeichnen einen „eklatanten Anti-Amerikanismus“ und weiter sagte er: „Es ist eindeutig, dass wir Opfer einer Kampagne institutioneller Voreingenommenheit wurden“.
https://www.welt.de/politik/deutschland/article185986368/Fall-Relotius-US-Botschaft-wirft-Spiegel-eklatanten-Anti-Amerikanismus-vor.html
Bis jetzt kann der SPIEGEL die Schuld nicht straf-oder zivilrechtlich auf Relotius abladen. Er kann ihn nur verdammen und als Einzelfall bezeichnen. Natürlich wird der US-Vorwurf der „institutionellen Voreingenommenheit“ aufs schärfste verneint. Das zeigt Parallelen zu einem anderen Fall.
Im Mai 2018 erfuhr der deutsche Michel, dass einer seiner Auto-Götter, der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn von der US-Justiz fortan wegen der Diesel-Krise mit einem Haftbefehl gesucht wurde.
http://www.manager-magazin.de/unternehmen/autoindustrie/usa-erlassen-haftbefehl-gegen-ex-vw-chef-martin-winterkorn-a-1206374.html
Nun ist Winterkorn deutscher Staatsbürger und kann deshalb nicht an die USA ausgeliefert werden.
Aber Reisen in andere Länder wurden damit gefährlich und könnten ihm bei Verurteilung einen staatlich geregelten, spartanischen Lebensabend in einem Correctional Center einbringen.
Ein US-Haftbefehl wäre natürlich für Manager und Journalisten deutscher Unternehmen ein Super-GAU, weshalb allein hiervon schon Signalwirkung ausgeht. Winterkorn ist nicht der erste deutsche Manager, den die USA mit Haftbefehl suchten. Zwei ehemalige VW-Kollegen sitzen schon in den USA ein. Aus deutscher Sicht sind die Urteile in dieser Schärfe nicht zu begründen
https://www.welt.de/wirtschaft/article171430467/Als-waeren-die-USA-auf-einem-Rachefeldzug-gegen-VW.html
Jetzt hat der SPIEGEL weitere Informationen zu seinem gefallenen Engel veröffentlicht. Wie bei Rauswürfen üblich (zur Vermeidung einer Abfindung beispielsweise die akribische Kontrolle der Spesenabrechnungen) teilte man jetzt mit, dass Relotius Spenden unterschlagen haben soll.
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/betrug-beim-spiegel-claas-relotius-veruntreute-offenbar-auch-spendengelder-15955791.html
Das dient der Kriminalisierung und zum Abwälzen aller Schuld, aber auch zur Abwehr vor amerikanischen Forderungen. Es kann aber auch nach hinten losgehen, wenn sich z. B. erweist, dass es keine ausreichende Kontrolle des Arbeitgebers bei seinem preisgekrönten Vorzeige-Journalisten gegeben hat. Relotius ist seit 2017 angestellter Redakteur.
Ich bin kein Jurist, aber nach dem was man die letzte Zeit über die US-Justiz und ihren weltweiten Anspruch auf Durchsetzung amerikanischen Rechts las, dürfte aktuell auch kein spezialisierter deutscher Jurist garantieren, dass der Fall Relotius mit dessen Entlassung schon zu Ende ist.
Wer Englisch kann und sich etwas genauer über die juristische Lage im Staate Arizona bei Verleumdungen/Diffamierungen/Beleidigungen informieren will, schaue hier:
https://www.minclaw.com/arizona-defamation-law-state-guide/
„Do Arizona Courts Have Jurisdiction Over Out-of-State Defamation Defendants?
Simply put, yes.“ (Können Gerichte von Arizona Recht sprechen bei Verleumdungsklagen, wenn der Beklagte außerhalb von Arizona ansässig ist? Einfach gesagt: Ja)
Das Strafmaß in seiner Bandbreite ist auf dieser Seite nicht ersichtlich, aber wir wissen: Es kann in den USA exorbitant hoch sein – Geld oder Jahre im Strafvollzug betreffend. Vermutlich hat eine auf Verleumdung spezialisierte Anwaltskanzlei schon ein Mandat des Staates Arizona in Aussicht.
Es muss aber gar nicht so weit kommen. Diese Aktionen der US-Behörden reichen schon, um die internationale Reputation dauerhaft zu beschädigen:
• Verweigerung von Visa für SPIEGEL-Journalisten, da sie die persönlichen Visa-Anforderungen nicht erfüllen. Als Referenz könnten die Berichte von Relotius gelten,
• die offenbar von der Geschäftsleitung nicht hinterfragt wurden.
• „The consular officer at the U.S. embassy will determine whether an activity is qualifying in order to obtain a nonimmigrant visa.“ Der Beamte des US-Konsulats entscheidet, ob die Tätigkeit die Vergabe eines Visums rechtfertigt.
https://www.uscis.gov/working-united-states/temporary-workers/i-representatives-foreign-media
• Haftbefehle gegen SPIEGEL-Chefs (die damit nicht mehr das Land verlassen können, ohne die Auslieferung an die USA zu riskieren)
• Schließung der SPIEGEL-Büros in Washington und New York
Es käme zu einer Re-Dimensionierung des SPIEGELS, wie es sie in der deutschen Medienlandschaft noch nicht gegeben hat. Aktuell hat der SPIEGEL etwa 900.000 Leser der gedruckten Ausgabe (Kiosk, Abo, Lesezirkel und Bordexemplare) und 1.1700.000 Leser online (inkl. 285.000 Smartphone Apps und 223.000 Tablet Apps). Er ist damit Marktführer.
Man sollte im Hinblick auf Visa-Erteilung für SPIEGEL-Journalisten und Betreiben der SPIEGEL-Büros in New York und Washington diese zwei Punkte im Statement des US-Botschafters besonders aufmerksam lesen. http://www.spiegel.de/media/media-43951.pdf
• „Wir sind besorgt, dass die Leitung des Spiegel diese Berichterstattung forciert und dass die Reporter offenkundig das liefern, was die Unternehmensleitung verlangt.“
• „Wir hoffen auf eine gründliche Untersuchung durch eine externe, unabhängige Organisation, um genau feststellen zu können, wie der Spiegel journalistische Standards verletzt hat und welche Veränderungen bei den internen Prozessen des Magazins jetzt notwendig sind. Die wichtigste Frage ist jedoch, wie dieser eklatanter Anti-Amerikanismus veröffentlicht werden konnte, ohne dass ein Redakteur die Richtigkeit der Geschichten in Frage stellt und wie viel Schaden in sieben Jahren ungeprüfter Berichterstattung wohl angerichtet wurde.“
Wie angekündigt, werden sich die Amerikaner nicht mit einer hausinternen Aufarbeitung zufrieden geben (die der SPIEGEL in Aussicht gestellt hat), sondern holen im neuen Jahr vermutlich die Knüppel „VISA“ und „Akkreditierung“ aus dem Sack.
Nach einiger Zeit des reiflichen Überlegens wird das SPIEGEL-Management wahrscheinlich noch vor Ostern 2019 feststellen: Zur Beschleunigung der Aufarbeitung ist es hilfreich, wenn eine amerikanische Organisation dieses Audit durchführt.
Der Volksmund weiß: Wenn man den Sumpf trockenlegen will, soll man die Frösche nicht um Rat fragen.
25.12.2018