Text zuerst erschienen auf Achse des Guten
von Dirk Maxeiner
Befürworter wie Gegner der ungehinderten Einreise von Asylbewerbern sehnen eine höchstrichterliche Klärung durch das Bundes-Verfassungsgericht dringend herbei. Die Juristen haben die verschiedenen Meinungen vorgetragen, etwa hier und hier und hier auf achgut.com, aber auch die neutralen Darstellungen der Meinungsvielfalt durch Wissenschaftliche Dienste des Bundestages. Es ist also höchste Zeit, den sich aus den unterschiedlichen Rechtsauffassungen ergebenden gesellschaftlichen und politischen Konflikt zwischen den Anhängern der „Herrschaft des Unrechts“ und des „Rechtsbruchs“ und denen, die solche Rechtsansichten für eine „Dolchstoßlegende“ oder „rechte Schauermärchen“ halten, endlich durch das bisher hoch angesehene Bundesverfassungsgericht abschließend entscheiden zu lassen.
Schließlich geht es trotz aller immer wieder behaupteter Komplexität doch um die einfache Ausgangsfrage, ob es sich bei der seit 13. September 2015 geltenden Anweisung, dass „Drittstaatangehörigen ohne aufenthaltslegitimierende Dokumente und mit Vorbringen eines Asylbegehrens die Einreise zu gestatten ist“, lediglich um die Umsetzung verbindlich geltenden europäischen Rechts handelt oder ob die Bundesregierung hier freiwillig und ohne ausreichende Beteiligung des Bundestages von der Zurückweisungsnorm des § 18 Abs. 2 AsylG abgewichen ist.
Die Organklage, die hierzu am 14. April 2018 beim Bundesverfassungsgericht eingereicht worden ist, hätte eigentlich ihren normalen Gang gehen müssen. Als ersten Schritt gibt § 23 Abs. 2 BVerfGG dem Gericht vor, dass die Antragsschrift dem Antragsgegner, also der Bundesregierung, unverzüglich mit der Aufforderung zuzustellen ist, sich binnen einer zu bestimmenden Frist dazu zu äußern. “Unverzüglich“ heißt im Juristendeutsch zwar nicht zwingend sofort, aber ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs 1 BGB).
Sieben Monate vergangen – und still ruht der See
Eine Nachfrage beim Prozessbevollmächtigten der Antragsteller, Ulrich Vosgerau, hat ergeben, dass das höchste deutsche Gericht das Verfahren offensichtlich absichtlich in die Länge zieht. Eigentlich müsste der Anwalt darüber informiert werden, sobald die ausführliche Antragsschrift der Bundesregierung zugestellt wird. Dies ist jedoch bislang nicht geschehen.
Danach hat das Bundesverfassungsgericht, obwohl die Prozessvorschriften dies eindeutig vorsehen, weder unverzüglich die Klage nach deren Eingang der Bundesregierung zugestellt, noch dieser eine Äußerungsfrist gesetzt, innerhalb derer sie ihre – bisher unklare – Rechtsauffassung zur andauernden Einreise von Asylbewerbern aus anderen sicheren EU-Ländern hätte darlegen müssen. Nachdem seit der Klageeinreichung am 14. April nun mehr als sieben Monate vergangen sind, habe ich gestern an den Pressesprecher des Gerichts, Max Schoenthal, folgende Anfrage gerichtet:
1. Ist die Antragsschrift in dem Organstreitverfahren zu Klärung der Achtung der Mitwirkungsrechte des Bundestages bei der seit 2015 andauernden Grenzöffnung (Az. 2 BvE 1/18) der Bundesregierung bereits zugestellt worden und dieser eine Frist zur Erwiderung gesetzt worden?
2. Falls ja: Wann erfolgte die Zustellung und bis wann wurde der Bundesregierung eine Frist zur Erwiderung eingeräumt?
3. Falls nein: Weshalb erfolgte noch keine Zustellung bzw. Fristsetzung zur Erwiderung?
4. Welche Bedeutung misst das BVerfG den in der Antragsschrift aufgeworfenen Rechtsfragen zu? Welche Rechtsfragen hält das BVerfG für bisher ungeklärt bzw. bedeutend? Welche Rechtsfragen hält das BVerfG für bereits geklärt bzw. unbedeutend?
Darauf erhielt ich folgende Antwort:
Sehr geehrter Herr Maxeiner,
das Verfahren ist in Bearbeitung. Ein Entscheidungstermin ist derzeit nicht absehbar. Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich keine Auskünfte zu einzelnen Verfahrensschritten oder Schriftsätzen gebe. Ebenso wenig kann ich etwaige vorläufige Einschätzungen einzelner Rechtsfragen durch das Gericht wiedergeben.
Freundliche Grüße,
Dr. Max Schoenthal
Pressesprecher des Bundesverfassungsgerichts
Vertrauen in staatliche Institutionen wird geschrottet
Kann es wirklich sein, dass das höchste deutsche Gericht entgegen der geltenden Verfahrensvorschriften eine Klage zu einer der bedeutendsten Rechtsfrage der letzten Jahrzehnte offenbar nicht energisch vorantreibt und anscheinend in der Schublade verstauben lässt? Dieses Vorgehen ist jedenfalls jetzt schon geeignet, um nach den Verheimlichungsversuchen des UN-Migrationspakts erneut das Vertrauen in den Umgang staatlicher Institutionen mit Migrationsfragen zu beschädigen. Zumal – sollte das Bundesverfassungsgericht dereinst zu der Überzeugung gelangen, dass es einer Gesetzesänderung des Bundestages für eine zeitlich und mengenmäßig unbegrenzte Außerkraftsetzung der Zurückweisungsnorm des § 18 Abs. 2 AsylG bedurft hätte – in jedem Monat seit Klageerhebung weiter über 10.000 Asylbewerber ohne die erforderliche Bundestagszustimmung eingereist sein werden.
Kritsch ist dies auch deshalb, weil der Bundesregierung ermöglicht wird, ihre Rechtsaufassung zur ungebremsten Einreise weiter zu verschleiern. So konstatieren die Wissenschaftliche Dienste des Bundestages im Juli 2018, fast drei Jahre nach der „Grenzöffnung“ im September 2015:
„Eine eindeutige Positionierung der Bundesregierung zur Zulässigkeit von Zurückweisungen lässt sich ihren Stellungnahmen zu entsprechenden parlamentarischen Anfragen aus der 18. und 19. Wahlperiode nicht entnehmen. Eine Tendenz dahingehend, dass die Bundesregierung Zurückweisungen von Asylsuchenden auch unter Beachtung der unionsrechtlichen Vorgaben der Dublin-III-Verordnung jedenfalls nicht von vornherein für ausgeschlossen hält, ergibt sich aus folgender Antwort vom 20. Januar 2016: „Eine Zurückweisung ist im Rechtsrahmen der Dublin-III Verordnung und des § 18 AsylG zulässig.““
Die von den Wissenschaftlichen Diensten identifizierte „Tendenz“ wird auch durch jüngste Erkenntnisse der WELT bestätigt. Wenn aber die Bundesregierung tatsächlich davon ausgeht, nicht durch Europarecht zur Einreisegewährung verpflichtet zu sein, stellt sich umso mehr die Frage, wie ein solch weitreichender Verzicht auf die Anwendung des Zurückweisungsgebots des § 18 Abs. 2 AsylG – der faktisch eine Außerkraftsetzung parlamentarisch gesetzten Rechts darstellen würde – ohne Bundestagsbeschluss hinreichend legitimiert sein kann.
Über die Gründe für das – mal vorsichtig ausgedrückt – ein wenig unterambitionierte Verhalten des höchsten deutschen Gerichtes in dieser Frage kann man zwangsläufig nur spekulieren. Vielleicht verfolgt man dort ja gar keine Strategie des Schutzes der Bundesregierung vor der möglicherweise unangenehmen Offenlegung bisher verheimlichter Rechtsansichten oder einer Blamage eines möglichen Unterliegens. Vielleicht ist auch alles viel einfacher. Könnte es gar sein, dass der als Berichterstatter zuständige, ehemals durch die SPD nominierte Richter Andreas Voßkuhle nach seinem 2020 bevorstehenden Ausscheiden als Richter seine Berufsaussichten nicht dadurch beeinträchtigen möchte, einer AfD-Klage stattgegeben zu haben?
Dies dürfte dann allerdings für die Erfolgsaussichten der Klage sprechen, denn mit einer schnellen Abweisung könnte Andreas Voßkuhle sich sicher schmücken.