Rassismus in der Apotheke?

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Von Gastautor Rainer Wolski

Wieder ein „rassistischer“ Vorfall – zumindest bei den Medienmachern. Die HuffPost titelte: Apothekerin will, dass Praktikantin ihr Kopftuch ablegt, dann eskaliert die Situation.

Was war passiert? Für ein Schülerpraktikum bewarb sich eine junge Muslima mit Kopftuch. Der Vertrag war schon unterzeichnet, da sagte die Apothekerin: „Das Kopftuch müssen Sie aber dann abnehmen“. Die Schülerin holte ihren Vater, der draußen im Auto wartete und dieser sagte später:

Ich sagte ihr, sie solle auf die Bescheinigung schreiben, dass sie meine Tochter wegen ihres Kopftuches ablehne. Damit würde ich an die Öffentlichkeit gehen. Da lachte sie uns aus und zerriss das Papier vor unseren Augen”.

Nach Auskunft der Apothekerin hatte er sie als Rassistin tituliert. Der Artikel endete mit Bemerkungen des Vaters, der sagte, dass er keine Probleme mit Menschen anderer Religionen habe und der der Schülerin, dass dieses Land doch Arbeitskräfte brauche.

Der Huffpost-Leser wird mit diesen Aussagen allein gelassen. Kein rechtlicher Hinweis, nur der moralische Zeigefinger, der impliziert: Gute Muslime – rassistische Deutsche.

Es hätte ja ergänzt werden können, dass die Apothekerin entscheiden kann, wen sie in ihre Apotheke lässt. Im Falle eines Arbeitsvertragsabschlusses wäre aber ein EuGH Urteil entscheidend gewesen.

Hätte die Apothekerin eine Neutralitätsregel in ihrem Unternehmen erlassen und für alle Mitarbeiter für verbindlich erklärt (wie sie vom EuGH 2017 im Urteil EuGH C 157/15 für anwendbar in allen EU-Ländern erklärt wurde) dann hätte sie sich auf diese Regel beziehen können.

Es ist den Arbeitnehmern verboten, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen zu tragen und/oder jeglichen Ritus, der sich daraus ergibt, zum Ausdruck zu bringen.“

Ohne diese Regelung hätte die Apothekerin jedoch bereits ein Problem beim Bewerbungsgespräch einer Muslima als Arbeitnehmerin, sofern sie danach die Bemerkung äußert: „Sie arbeiten aber bitte ohne Kopftuch“. Nach deutschem AGG (Gleichbehandlungsgesetz) wäre das in Deutschland eine religiöse Diskriminierung und die Apothekerin hätte bis zu 3 Monaten Lohn als Schadenersatz zahlen müssen, wenn es vors Arbeitsgericht gegangen wäre.

Der EuGH hat die deutschen Unternehmen jetzt vor diesem Primat der Religionsfreiheit gegenüber der unternehmerischen Freiheit mit dem Urteil C157/15 geschützt. Deshalb informieren ja die IHK, HKW aber auch die Apotheker- und Ärztekammern nicht über dieses Urteils und seine Auswirkungen. Suchen Sie selbst im Internet, sie finden nichts bei den Kammern zum Urteil.

Was änderte dieses Urteil in Deutschland für Arbeitgeber, welche Arbeitnehmer mit Kundenkontakt haben?

Zur Erklärung: Zeichen – darunter fallen z. B. religiöse Bekleidung, das Kreuz und der Halbmond (sichtbar getragen) oder die Forderung nach Geschlechtertrennung am Arbeitsplatz. Das hat z. B. bei Friseuren, Altenpflegern und Kosmetikerinnen die Forderung nach Nichtbehandlung von Männern durch Muslima zur Folge, da der Islam den persönlichen Kontakt von nicht-verheirateten Männern und Frauen verbietet. Riten sind z. B. das Gebet und das Fasten oder die Forderung nach getrennter Speisenzubereitung. Was hat der Arbeitgeber davon, religiöse Handlungen von Muslimen am Arbeitsplatz mit der Neutralitätsregel zu untersagen? Es sind die Kosten.

Allein das zwei- bis dreimalige tägliche kurze Pflichtgebet in der bezahlten Arbeitszeit addiert sich auf zu einem bezahlten Tag ohne Arbeitsleistung pro Monat. Beim Mindestlohn wären das etwa 90 Euro (mit Sozialabgaben). Hinzu kommt die Minderleistung im Ramadan, die der Arbeitgeber zu bezahlen hat und in den 4 Fasten-Wochen etwa 12–15 Arbeitstage ohne Leistung umfassen kann.

Das sind zusammen etwa 5 Wochen bezahlter Arbeitsausfall – allein beim Mindestlohn von 8,84 € fast 2.500 € – die ein muslimischer Mitarbeiter jährlich mehr kostet als ein Nicht-Muslim.

Da viele Tarifverträge höhere Stundenlöhne vorsehen, dürften die Mehrkosten dort bei etwa 5.000 € pro Jahr pro muslimischen Mitarbeiter liegen. Lässt sich der muslimische Mitarbeiter wegen Schwäche durch das Fasten 5 Wochen krankschreiben (in vielen Firmen üblich, obwohl nach Gesetz nur nicht-selbstverschuldete Krankheit bezahlt wird) erreichen die Lohnkosten fast 7.000 €.

Das sollte auch für jeden Arbeitgeber ein Anreiz sein, die EuGH-Neutralitätsregel einzuführen. Dann sind diese Kosten Geschichte. Aber deshalb informiert man ja nicht über das Urteil.

Und noch ein Hinweis: Das bezahlte Gebet am Arbeitsplatz und die vom Arbeitgeber zu bezahlende Minderleistung im Fastenmonat Ramadan gab es in der EU schon vor 2017 ausschließlich in Deutschland.

Beispiel Österreich: Ein Muslim in Österreich (wo der Islam eine staatlich anerkannte Religion ist) muss seine Pflichtgebete nach Entscheidung des Islamrates am Abend nachholen – und darf deshalb nicht am Arbeitsplatz beten. Ein Muslim in Deutschland (wo der Islam keine staatlich anerkannte Religion ist) muss aus Sicht eines türkischen Imams zur festgesetzten Zeit (also auch am Arbeitsplatz) beten und das wurde durch Rechtsprechung deutscher Richter im Jahre 2002 abgesegnet. Und dieses Gebetszeit ist nach § 616 BGB vom Arbeitgeber zu bezahlen.

Wer mehr dazu wissen will: Rainer M. Wolski

Das „Kopftuch-Urteil“ des EuGH und seine Auswirkungen auf die Integration von 6 Mio.

Muslime in Deutschland – Basiswissen für Arbeitgeber



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