Von Erik Burmeister
Mag der Lichtkranz um die, die schon länger hier Kanzlerin ist, auch zunehmend flackern und surren wie die Neonröhren in einem orientalischen Männercafé, so wundert man sich bei ihr doch weiterhin ungebrochen über das Ausmaß an Ungerührtheit im Angesicht von Widerspruch und entstandener Unruhe. Legendär ist ihre stoische Smartphone-Nutzung in Sternstunden parlamentarischer Oppositionsarbeit. Neurobiologisch unnachahmlich auch ihre Herunterfahrbarkeit mimisch ansprechbarer Physiognomie in den seltenen Momenten an sie herandringender Fundamentalkritik.
Standhaftigkeit, Mut, Überzeugung, Wissen um Alternativlosigkeit – das sind die ihr aufgrund des dergestalt aufscheinenden Beharrungsvermögen in einer einzigen – aber alles verändernden – Angelegenheit zugeschriebenen Führungsmerkmale.
Ist dies tatsächlich nur eine ungewöhnlich dicke Elefantenhaut, eine Art Teflonschicht, die man halt für einen der härtesten Jobs der Welt mitbringen muss? Oder ist eher ein Anzeichen für ein Wissen um die eigene Herausgehobenheit aus dem Meer derer, auf die es nicht ankommt? So wie der Mond sich nicht um den Hund schert, der ihn anbellt? Man weiß es nicht, denn sie spricht ja nicht. Also nicht darüber. Und wenn sie redet, dann so, dass man ihr lieber einen Gutschein für einen Integrationssprachkurs schenken möchte.
Wer wissen möchte, ob Frau Kanzlerin, wie es Passdeutsche vermuten dürfen, sich als Teil eines staatsbürgerlichen „Uns“ versteht, so eine Art „Uns Uwe“ oder Ruuudi Völler mit sachwalterischem Regierungsauftrag im Namen des Volkes, oder sich als etwas wähnt, was die technische Nutzung dieser Rolle zwar erfordert, aber über das Profane dieser Funktion hinausreicht, der ist auf die Auslesung spärlicher Zeugnisse ihres Selbstverständnisses angewiesen.
Ein solches Zeitdokument fiel mir kürzlich in die Hände. Qualitätspublizistisch hochwertiger würde man sagen „spielte“ mir in die Hände. Diese Ausführungen unserer Kanzlerin möchte ich samt meiner Interpretation, die natürlich an den Haaren herbeigezogen ist, hier gerne teilen, denn mir scheint hierdurch ihr gesamtes Verhalten nachvollziehbarer als zuvor.
Es handelt sich um nähere Ausführungen der Kanzlerin zu ihrem christlichen Glaubensbekenntnis, zu finden unter:
https://www.jesus.ch/magazin/politik/269850-warum_ich_christin_bin.html
Dort formuliert die Kanzlerin unter anderem:
„Seit meiner Jugend wusste ich also, dass ich durch mein Bekenntnis zu Gott und zu seiner Kirche einem inneren Kompass folgte, der vom Staat und der Mehrheit der Bevölkerung als Richtungsweiser abgelehnt wurde.
(…)
Durch meinen Glauben habe ich in dieser Zeit gelernt, dass es richtig sein kann, anders zu denken und anders zu entscheiden, als es andere Menschen tun. Das Christsein und meine Erfahrungen, die ich als Christ sammeln konnte, schützten mich davor (…). Es lohnt sich, sich für spezielle Ziele einzusetzen.“
Den letzten Satz führe ich nicht mit auf, um anhand der Formulierung „spezielle Ziele“ zu unterstellen, hiermit wäre irgendetwas „Verschwörerisches“ angedeutet. Nein, ich vermute es ist simpler. Denn dass ihre „Ziele“ aufgrund ihres „inneren Kompasses“ „speziell“ sind, ergibt sich bereits aus ihrer zuvor herausgestellten „Erfahrung“, dass ihr christlicher Kompass von „der Mehrheit der Bevölkerung als Richtungsweiser abgelehnt wurde“. „Speziell“ könnten ihre Ziele also allein schon deshalb sein, weil die Mehrheit sie oft genug nicht teilte. Nun gut, warum nicht?
Allerdings: In einer Situation, in der sie andere „Richtungen“, eben „spezielle Ziele“, einschlagen will als die Mehrheit (z. B. die 82%ige Mehrheit der Deutschen, die ihre Flüchtlingspolitik ablehnt, vgl. u. a. diese Quelle hier), fühlt sie sich durch das Christsein „geschützt“. Sie sagt zum Beispiel nicht: Das Christsein erlaubt es mir, Denkweisen und Entscheidungen abzulehnen, die ich damit für unvereinbar halte. Denn das hieße, sie zunächst als gleichberechtigt anzuerkennen und lediglich an einer Art christlichem Kriterium scheitern zu lassen. Was für den Regierungschef eines säkularen Staates ohnehin schon ein ziemliches Ding wäre. Man stelle sich vor, wir hätten einen buddhistischen Kanzler, der seine Entscheidungen im Sinne eines Dalai-Lama trifft (wo der doch kein arabisches Europa wünscht!). Doch so weit, dass sie Entscheidungsfragen zur Prüfung anhand christlicher Kriterien vordringen lassen muss, kommt es gar nicht erst, denn davor weiß sie sich eben: „Geschützt“. Ein anderes Wort wäre „immunisiert“. Oder „verschlossen“. Oder „selbstbezüglich“. Oder „selbstgerecht“. „Vernagelt“ ginge auch.
Bis hierhin könnte man dieses Geschütztsein aber auch nur als innere Standhaftigkeit in einem von materialistischer Gottlosigkeit geprägten sozialistischen Umfeld ihrer Jugendzeit interpretieren. Wobei man sich dann fragt, wie so eine FDJ-Karriere erklärbar ist. Nun gut, die Wege des Herrn…
Doch lauschen wir ihr weiter, dann wird klarer, was sie mit ihrem Geschütztsein tatsächlich meint:
„Jesus fällt vor allem dadurch auf (…), dass er querdenkt und dass er dadurch den Menschen neue Lösungen für ihre Menschheitsfragen gibt.“
An dieser Stelle gebe ich zu, nie in einem Priesterseminar gewesen zu sein und am Konfirmationsunterricht vielleicht zu unaufmerksam teilgenommen zu haben. Denn mir war nicht klar, dass Jesus „vor allem dadurch auffällt“ („fällt“ Jesus „auf“? Unter all den anderen vielleicht? Unter denen sich auch der – oder die – eine oder andere heutzutage womöglich wähnt?), dass er „Lösungen“ für „Menschheitsfragen“ „gibt“? War Jesus womöglich nur ein „Solution Provider“, so wie Accenture, IBM oder T-Systems? Oder so ein Alles-für-alle-Heini?
Denn sie präzisiert:
„Jesus hat sich mit Zuständen nie zufriedengegeben, weder mit weltlichen noch religiösen.“
Ausgeschlossen also, errungene und bewährte Zustände auch mal zu schützen, weiterzugeben oder Dinge zu pflegen. Alles muss immer bewegt werden, es ist nie genug, das wollte also schon Jesus so! Auch hier würde man gern mal die Meinung von Jesus dazu hören. Aber die Kanzlerin ist hiervor ja “geschützt“.
Ihr Finale:
„Das Christsein ist für mich daher (…) vor allem Gestaltungskraft in den Lebensphasen, die Impulse setzen sollen und Veränderungen bringen – denn in diesen gestaltet christlicher Glaube das eigene Leben und das der anderen mit.“
Beim letzten Satz denkt man unweigerlich an „Das Leben der Anderen“, aber dies ist vielleicht eine unzulässige Assoziation. Oder auch nicht.
Aus diesen Formulierungen ergeben sich nämlich zwei fundamentale Perspektiven auf die innere Verfasstheit unserer Kanzlerin: Erstens, Kritik ist etwas, was sie, wie sie andernorts gern sagt, „aushalten muss“. Das kennt sie von früher, das ist kein Problem, denn das Christsein „schützt“ sie davor. Wer sich jemals fragte, wie es sein kann, dass Kritik an ihr einfach abperlt, sollte sich klarmachen, dass es sich bei Frau Kanzlerin um ein hermetisch geschlossenes, „geschütztes“ Glaubenssystem handelt. Dieses bezieht sich zwar, laut ihrer Aussage, irgendwie auf Jesus. Aber darüber hinaus kann das auch alles Mögliche bedeuten. Wohin auch immer ihr innerer Kompass gerade zeigt. Und der steht immer, wie es ihr auch bei Jesus auffiel, auf Veränderungen, die das Leben auch der anderen gestalten.
Zweitens, es wird klar, dass ihr Mehrheiten ggf. zur Erringung von Abstimmungssiegen bedeutsam sind. Sonst aber keinesfalls. Denn gegen die Ablehnung durch die Mehrheit der Bevölkerung „schützt“ sie ihr Glaube.
Gut, technisch muss man Mehrheiten organisieren, aber was das Staatsvolk will, DARAUF KOMMT ES GAR NICHT AN! Denn genau diese „Erfahrung“ hat sie „seit meiner Jugend“ gemacht! Wir haben also eine religiös motivierte Kanzlerin, die sich verpflichtet fühlt, Höherem zu dienen als nur dem, was weltlich von irgendwelchen Menschen mal in ein Grundgesetz geschrieben wurde. War ja nicht Jesus, der das geschrieben hat.
Sie spricht letztendlich davon, dass sie sich niemandem anders als Jesus verpflichtet und dazu aufgerufen fühlt, Menschheitslösungen, die allein ihrem inneren Kompass folgen, auch gegen den Willen anderer, selbst wenn es die Mehrheit ist, durchzusetzen.
Das ist purer religiöser Wahnsinn. Das ist Verpanzerung. Im Auftrag der Weltheilung. So denken Menschen, die sich gleichermaßen als neue Propheten und Weltenlenker empfinden. Sie fährt allein mit sich und Jesus und dabei mit sich selbst als Navi im Weltheilungspanzer durch das Leben der Anderen.
Offensichtlich hat dieser stoische Messianismus, der sich bei jedem Widerspruch auf die Heilslehre Jesu zurückziehen kann, etwas unerhört Anziehendes für alle Menschen, die ihrerseits ein großes Unwohlsein an den Zuständen der Welt empfinden und gern dazu beitrügen, das Leben der anderen entsprechend anders zu gestalten. Was im Grunde die Motivation der meisten sein dürfte, die sich in Kunst und Medien „schaffend“ betätigen, denn in diesen Berufen geht es ja um die Breitenwirkung der eigenen „Botschaften“ und das Machtgefühl, diese Wirkung auf andere Menschen erzielen zu können. Die Kunst- und Medienschaffenden haben in einer Kanzlerin, die sich selbst den Freifahrtschein zur Weltheilung ausstellt, ihr Medium gefunden. Der atheistisch anmutende Kunst- und Medienbetrieb ist tatsächlich wohl nichts anderes als ein Protektionskranz der vom geistigen Leistungsdruck befreiten Zivilpriester um eine selbstreferenzielle Heilsverkünderin herum.
Hoffentlich habe ich sie nur falsch interpretiert, denn mir kommt es darauf an, dass die Welt nicht durch solche Motivationen zum Schaden aller Menschen verändert wird.