Die stille Verschwörung

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Von Gastautor Dr. Wolfgang Hintze

Wir haben schon öfter darüber nachgedacht, unser Tagesspiegel-Abo zu beenden – manchmal wegen der Lieferausfälle, meist jedoch wegen des Inhalts – aber nach dem alten Grundsatz “man muss wissen, wie der Gegner tickt” sind wir weiter dabei. Und das ist auch gut so!

Heute, am 17. Jahrestag des bisher größten militärischen Überfalls von Islamisten auf den Westen in diesem Jahrhundert, hatten wir erwartet … Aha, hier: ein Bericht auf Seite 28 über ein Mahnmahl in Shanksville, wo die Passagiere ein entführtes Flugzeug zum Absturz gebracht hatten. Für die 3000 Toten aus den Twin Towers von New York hat es allerdings nicht zu einer Übeschrift gereicht. Das ist natürlich von den Redakteuren fürsorglich gedacht, denn es könnte die Menschen verunsichern …

Aber gemach. Auf Seite 4 kommt ein echter Knaller! Unter der Überschrift “Gestörtes Verhältnis” schreibt Maria Fiedler einen Artikel, den Sie gelesen haben müssen [1]. Ich gebe ihn deshalb hier nur leicht gekürzt wieder (alle Zitate daraus sind kursiv gesetzt, meine Anmerkungen aufrecht).

Die Sicherheitsbehörden haben seit 2015 ein gestörtes Verhältnis zur Kanzlerin.

Für Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen sind es anstrengende Tage. Mit seinen Äußerungen zu Chemnitz hat er sich gegen die Kanzlerin gestellt. Seit Tagen wird im politischen Berlin sein Rücktritt gefordert, weil er für seine Zweifel an der Echtheit eines angeblichen Hetzjagd-Videos zunächst keine Belege brachte.

Ich glaube, Maaßen ist ein Schlitzohr. Er hat die Meute kurzerhand auf die Frage der Authentizität des “Zeckenbiss”-Videos gelenkt, und die hat sich – wie eine Zecke – darin verbissen. Diese unerhebliche Behauptung kann er aber getrost zurücknehmen, um dann den Fokus auf den eigentlichen Kern seiner Aussage zu lenken, sinngemäß: keine Hetzjagden, sondern gezielte Falschinformation zur Ablenkung der Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz. Wortlaut hier [2].

Doch wenn Maaßen an diesem Dienstagabend beim Herbstempfang der Sicherheitsbehörden im Schloss Charlottenburg auf der Bühne steht, kann er zumindest einer Sache gewiss sein: dass im Saal viele sind, die ähnlich ticken wie er – und die Politik der Kanzlerin ebenfalls kritisch sehen.

Das Verhältnis der Sicherheitsbehörden zu Angela Merkel ist spätestens seit 2015 stark abgekühlt. Viele Beamte konnten kein Verständnis für die Entscheidung der Kanzlerin aufbringen, die Grenzen nicht zu schließen – und Hunderttausende Flüchtlinge, vor allem aus Syrien, aufzunehmen. Einer der schärfsten Kritiker war Bundespolizeichef Dieter Romann. Er wird beim Herbstempfang mit Maaßen und den Chefs von Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst und Militärischem Abschirmdienst die Besucher begrüßen.

Grenzschließung jederzeit möglich

Die Rolle Romanns im Jahr 2015 ist in dem Buch „Die Getriebenen“ dokumentiert. Darin berichtet der „Welt“-Journalist Robin Alexander über die regierungsinternen Vorgänge während der Flüchtlingskrise.

Er beschreibt, wie Romann schon im Frühjahr und Frühsommer 2015 versuchte, Kanzleramt, Innenministerium und SPD-Chef Sigmar Gabriel davon zu überzeugen, Flüchtlinge an der Grenze abzuweisen. Romann sei mit einer selbst gebrannten DVD durchs politische Berlin gezogen, darauf Aufnahmen von Flüchtlingen auf der Balkanroute.

Halten wir fest: bereits im Frühjahr 2015, also ein halbes Jahr vor Merkels Grenzöffnung, waren die Sicherheitskreise voll im Bilde über die drohenden Gefahren.

Romanns Tour mit der DVD durch Berlin muss man sich einmal bildlich vorstellen.

Romann – so beschreibt es Alexander – habe dafür gesorgt, dass eine Grenzschließung jederzeit möglich gewesen wäre. Container, Zelte, Lichtmasten – das Material sei noch vom G-7-Gipfel in Grenznähe gelagert gewesen. Die Schlüsselszene des Buches spielt am 13. September 2015 (Jahreszahl 2013 im Text von Fiedler von mir auf 2015 geändert), als der fertige Befehl, Asylbewerber an der Grenze abzuweisen, „in letzter Minute geändert“ worden sei.

“von Merkel in letzter Minute geändert” muss es natürlich heißen.

Romann und Maaßen kennen sich aus ihrer gemeinsamen Zeit im Bundesinnenministerium. Die beiden Sicherheitsexperten befürchteten 2017, den zeitweise unkontrollierten Zustrom von Menschen könnten Terroristen und andere Kriminelle für sich nutzen.

Bei dem verheerenden Terrorangriff des IS in Paris im November 2015 zeigte sich, dass diese Sorge nicht unbegründet war. Die Täter waren als Flüchtlinge getarnt nach Europa gereist.

Romann und Maaßen kritisierten auch die mangelhafte Identitätsprüfung in diesen Tagen. Sie befürchteten, dass sich selbst Flüchtlinge ohne böse Absichten durch die desaströse Lage in den Erstaufnahmeeinrichtungen radikalisieren könnten.

Angriff auf die Kanzlerin auf offener Bühne

Von den Ereignissen im Jahr 2015 erholt sich das Verhältnis von Kanzlerin und Sicherheitsbehörden nur schwer. Maaßen und Romann nehmen es Merkel offenbar übel, dass sie sich über ihre Bedenken hinweggesetzt hat.

Ob “übelnehmen” der richtige Begriff ist, Frau Fiedler? Auch Ihre Legende “Sauer auf Merkel” zum Foto von Romann in der Printausgabe fällt in die aus der Kleinkindbetreuung bekannte Kategorie “Verniedlichung”.

In diesem Zusammenhang verwundert der jüngste Zwist nicht: Als Maaßen sagte, er habe keine Belege für Hetzjagden in Chemnitz, war das ein Angriff eben auch auf die Kanzlerin. Diese hatte gesagt: „Wir haben Videoaufnahmen darüber, dass es Hetzjagden gab, dass es Zusammenrottungen gab, dass es Hass auf der Straße gab, und das hat mit unserem Rechtsstaat nichts zu tun.“

Zumindest an dieser Stelle hat die Kanzlerin offenbar ihr Volk angelogen, denn die von ihr genannten Videoaufnahmen konnte sie bis heute nicht vorlegen [3].

Aus Sicherheitskreisen ist zu hören, dass Maaßen das Gefühl hatte, es gebe in den Sicherheitsbehörden insgesamt Unmut über die Kanzlerin und ihren Sprecher, die sich früh sehr eindeutig zu den Ereignissen in Chemnitz positioniert hatten. Er war sich also des Rückhalts in den eigenen Reihen sicher.

Fassen wir kurz zusammen, was wir gelernt haben:

1. Die Sicherheitsbehörden haben die massive Gefährdung Deutschlands durch Merkels Politik rechtzeitig gekannt.

2. Sie haben trotzdem nichts unternommen, sondern drei Jahre lang die Faust in der Tasche geballt, so dass es jetzt im Zusammenhang mit Chemnitz eine “Maaßen-Bombe” gab, von der nicht wenige völlig überrascht wurden.

3. Die Medien haben ihr Selbstverständnis als Merkelschutzverein vorzüglich demonstriert.

Noch kürzer: anstatt sich rechtzeitig öffentlich gegen Merkel zu stellen und ihr in den Arm zu fallen, haben Sicherheitsbehörden und Medien uns im wahrsten Sinne des Wortes “ins Messer laufen lassen.”

Eine bittere Erkenntnis, die aber zum Jahrestag von 9/11 passt.



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